In Weiß gehaltene Porträts auf schwarzer Leinwand, inspiriert von Holbein und Memling, wirken nahezu entrückt und jeglicher Natürlichkeit beraubt.
Weiß ist nicht gleich Weiß – zumindest in den Assoziationen, die mit der Farbe verbunden sind. Weiß hat mehr als zwei Gesichter: Man denkt an Kühle und Eleganz, an Schönheit oder einen Neubeginn; es begeistert Puristen mit Reinheit und Schlichtheit. Gleichzeitig ist Weiß in vielen Kulturen der Welt eine Trauerfarbe, und oftmals steht es für eine ungemütlich steril-klinische Atmosphäre. Für Wassily Kandinsky (1866–1944) galt Weiß gar als „ein großes Schweigen, welches für uns absolut ist. Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches plötzlich verstanden werden kann.“
Ein Raum mit Mobiliar nur in Weiß, teils auf schwarzem Grund und ohne Schatten, scheint eher verfremdet als real.
Trotz aller unterschiedlicher Ansätze bleibt Weiß immer in gewissem Sinne ein unbeschriebenes Blatt. Da ist zum Beispiel die Kreide, die nicht nur verborgene Talente hat: Sie ist in vielen Grundierungen enthalten, und wer das Uffington White Horse in den südenglischen Berkshire-Downs kennt, sieht die Umrisse des stilisierten Pferdes kreideweiß über die grüne Hügelflanke galoppieren. Entstanden ist es in der späten Bronzezeit mittels ausgehobener Gräben, die mit Kreide aufgeschüttet wurden (und seither in jeder Generation mindestens einmal neu gefüllt werden). Die besondere Materialität und Farbe von Kreide bzw. Kalk spielt in den Klippen von Dover eine ebenso bedeutende Rolle wie malerisch festgehalten im Kreidefelsen auf Rügen von Caspar David Friedrich.
Natürlich gibt es weit mehr als das Weiß der Kreide, etwa das spröde Zinkweiß, das gelbliche Weiß des Elfenbeins, das Off-White naturbelassener Schafwolle, das Bleiweiß des Bleikarbonats sowie andere Weißtöne von Silber bis Beige. Eins aber hat Weiß immer an sich: etwas Abstraktes, exklusiv und mitunter beunruhigend.
Die Deckkraft hoch pigmentierter Acrylfarben macht vor Weiß nicht halt: Es steht auch auf schwarzem Grund perfekt.
Bis in das 19. Jahrhundert hinein war Bleiweiß das einzige verfügbare Weißpigment, und schon Plinius der Ältere beschrieb in seiner „Naturkunde“ seine Herstellung. Später kam es in Pulverform, in Barren, Hütchen oder Brocken in den Handel. Durch seine hohe Deckkraft und Lichtbeständigkeit, aber auch durch den günstigen Preis war es lange das Weißpigment der Wahl (und wurde auch gern in der Kosmetik eingesetzt). Doch mit steigendem Bewusstsein für die giftige und durchweg stark gesundheitsschädliche Wirkung begann die Suche nach anderen Weißpigmenten. Im 18. Jahrhundert wurde Bleiweiß von Zinkweiß und später Titanweiß ergänzt und allmählich ersetzt. Zinkweiß war vergleichsweise teuer in der Herstellung, bis 1834 Winsor & Newton Zinkweiß als Aquarellfarbe China-Weiß in den Handel brachten. Erstmals 1821 hergestellt, ist schließlich Titanweiß mit seinem Hauptbestandteil Titanoxid bis heute das gebräuchlichste Weiß. Bleiweiß bzw. Kremserweiß darf in Deutschland nur zur Erhaltung und Wiederherstellung von denkmalgeschützten Kunstwerken eingesetzt werden.
Durch seine Reflexionskraft wird Weiß mit Helligkeit und Licht assoziiert. In der Kunst dient es darüber hinaus zum Aufhellen von Farben, zur Höhung und Modellierung von Körpern. Im Normalfall ist Malerei ohne Weiß nahezu unmöglich: Im Vergleich zu anderen Farben braucht jeder Maler in der Regel ein Vielfaches an Weiß. Weiß gilt als die bevorzugte Farbe von Klassizismus und Moderne und hier insbesondere des Jugendstils. Eher selten kommt es in der Malerei als reines Weiß daher – ein Schuss Gelb, etwas Blau, ein wenig Grau oder Umbra mischen gern ein bisschen mit. Doch: „Weiß als die wahre, wirkliche Idee der Unendlichkeit und folglich befreit vom Farbhintergrund des Himmels“, schrieb Kasimir Malewitsch (1874–1935), „Schwebt hinaus! Der weiße, freie Abgrund, die Unendlichkeit, liegt vor uns …“