Stillleben überlassen nichts dem Zufall
Spätestens seit dem Zeitalter des Barocks gilt das Stillleben als selbstständiges Genre, das durch prachtvolle Opulenz oder aber bewusste Reduktion auf das Wesentliche fasziniert. Bis heute ist es die Liebe zum Detail, die das Stillleben auszeichnet, der besondere Blick auf die Dinge, der nichts dem Zufall überlässt.
Die Bildinhalte sind so vielfältig wie die Künstler, die sich im Verlauf der Epochen der Stilllebenmalerei widmen. Stehen etwa in Caravaggios berühmtem Mailänder Früchtekorb Merkmale der Vergänglichkeit – faulende Stellen oder welke Blätter – im Fokus, so sind es in niederländischen Prunkstillleben inszenierte Kostbarkeiten vom Nautiluspokal über edle Metalle bis hin zu kostbarem Kristall und feinen Stoffen, die von Wohlstand und Fülle künden. Die schlichten spanischen Stillleben des 17. Jahrhunderts berichten demgegenüber von der Anmut des Wesentlichen in Farbe und Form. Am Anfang jeder Stilllebenmalerei steht auf jeden Fall das gezielte – und oft langwierige – Arrangement der Objekte, die ins Bild gesetzt werden sollen.
In diesem klassisch aufgefassten und trotzdem ganz heutigen Küchenstillleben versammeln sich auf einem Holztisch rund um einen großen Topf Gemüse- und Obstsorten, die offenbar darauf warten, verarbeitet zu werden: Schwarze und rote Rüben, eine Zitrone, ein Kopf Wirsing, eine Stange Lauch, eine rotwangige Birne und eine glänzende Aubergine auf einem rotkarierten, groben Küchentuch. Dazu gesellen sich eine angebrochene Flasche Wein, eine Wasserkaraffe, eine Schüssel und die beiden aufgehängten blauen Schürzen an der Wand, die den Hintergrund bildet. Die arrangierende Hand der Künstlerin hat im Vorfeld kein Element dem Zufall überlassen – die Komposition ist ausgewogen in Volumina und harmonischem Farbenspiel.
Der Arbeitsprozess ist beispielhaft für eine traditionelle Herangehensweise: Nach dem Arrangement folgt eine lockere Kohleskizze auf Leinwand, bevor erste Farbspuren angelegt werden. Den Anfang machen einzelne Elemente, die in ihrer Farbigkeit dominant sind, etwa die Rüben und die Zitrone. In diesem Prozess bleibt auch die Freiheit, auf einzelne Komponenten zu verzichten, die sich in der malerischen Ausführung als überflüssig oder störend erweisen – so musste etwa die Glaskaraffe im Hintergrund weichen.
In der Malerei nach der Natur ist die Lichtsituation für die Entwicklung des Bildes maßgeblich – das Licht wechselt mit dem Wetter, mit den Tageszeiten und natürlich mit der Position von Objekten und Staffelei. Farben, Schatten und Höhungen ändern sich mit dem Lauf des Lichts und können bei naturalistischen Darstellungen unter Umständen zu notwendigen Anpassungen führen. Im Laufe der Zeit wird sich eine identische Lichtsituation wie zu Beginn der Arbeit nur schwerlich wiederfinden lassen – dies ist insbesondere bei großformatigen Stillleben mit einer Vielzahl von Details zu berücksichtigen. Daher ist es ideal, wenn die Arbeit zu vergleichbaren Tageszeiten ausgeführt werden kann. Natürlich kann mit Blick auf die gewünschte Wirkung auch das anfänglich geplante Arrangement wieder modifiziert werden – bis alle Farben durchgetrocknet sind, erlaubt die Ölmalerei Änderungen problemlos.
Die verschiedenartigen Texturen in diesem Stillleben veranschaulichen die virtuose Behandlung der Oberflächen: Die rau-erdigen Schalen der Rüben, das verhaltene Schimmern der Flasche und des Topfes, Küchentuch und Schürzen in ihrer unterschiedlichen Stofflichkeit und die spröden Blattspitzen des Lauchs tragen zum Reiz der Komposition bei.