Er ist Maler, Bildhauer und Filmemacher, und er gilt als wegweisende Persönlichkeit der zeitgenössischen Kunstszene: Im Laufe seiner Karriere hinterfragte Julian Schnabel Konventionen und verwendete gefundene Materialien sowie zufallsbasierte Prozesse. Seine Werke sind weltweit in den Sammlungen renommierter Museen vertreten. Nun hat der Taschen-Verlag eine umfassende Monografie veröffentlicht, die alle Facetten seiner künstlerischen Karriere bildreich würdigt.
Julian Schnabel macht Kunst aus dem Leben und findet seine Materialien in der Struktur des Alltags. Der Erfolg kam für ihn über Nacht mit seiner ersten New Yorker Einzelausstellung im Jahr 1979 und nahm mit seinen bekannten „Plate Paintings“ (übersetzt: „Tellergemälden“), für die er zerbrochenes Geschirr als schwer zu bemalenden Bildgrund nutzte, einen rasanten Aufschwung. Es folgen Arbeiten auf Samt, Markt – stand- und Armeeplanen, Kabuki-Theaterkulissen, Boxring-Böden … Er verwendet zudem Materialien, die sich malerischen Experimenten etwa mit Zahnpasta, Autokitt oder Öl auf Holzkonstruktionen verdanken und ihm auf Reisen oder in seinen Außenstudios in die Hände fallen.
Der Name Julian Schnabel wird zum Synonym für eine neue Relevanz der Malerei, insbesondere in den Vereinigten Staaten der 1970er- und 1980er-Jahre, wo zu dieser Zeit die Konzeptkunst dominiert. Der Künstler gilt neben Protagonisten wie Jean-Michel Basquiat und Eric Fischl als zentrale Figur des amerikanischen Neoexpressionismus.
Mit seinem experimentellen Ansatz hinterfragt Julian Schnabel stilistische Grenzen zwischen Abstraktion und Figuration und verbindet in seiner großformatigen Malerei Objets Trouvés und vom Zufall bestimmte Prozesse zu unkonventionellen Formaten. Eines seiner größten Bilder hat der Künstler 2009 als Auftragsarbeit für den Frankfurter Opernturm geschaffen. Auf dem mehr als zwölf Meter hohen und rund 13 Meter breiten Segeltuch setzt es das Motiv von Moby Dick und Kapitän Ahab als zwei abstrakte, langgestreckte Figuren um, die sich dezentral überkreuzen.
Schnabels gestischer Duktus lässt Spritzer und Schlieren zu. Seine raumgreifenden Arbeiten haben nichts Kleinteiliges, zeugen aber von einem untrüglichen Gespür für Material, Farbe und Raum. Vor Leerstellen fürchtet er sich nicht, auch nicht davor, dass seine „Bad Paintings“ titelgebend ausfallen. Julian Schnabel versteht Malerei als eine Form der Kommunikation, die zeitliche Grenzen überschreitet. In seinen Augen können Gemälde durch ihre dauerhafte Stabilität über das Leben des Künstlers hinaus Bestand haben und somit auf einzigartige Weise dauerhaft Botschaften vermitteln. Der Ort spielt dabei für seine Arbeiten eine wichtige Rolle, sowohl für ihren Entstehungsprozess als auch für die spezifische Installation, die den Bedeutungsschichten der Arbeit ihre jeweils eigene reichhaltige Vergangenheit hinzufügen.
Schnabels Kunst kennt keinen Unterschied zwischen abstrakt und figurativ, und manche seiner gegenständlichen Formen kommen erst in Bildern zur Geltung, die als grob gehauene, von der Zeit verwitterte oder scheinbar abgenutzte Artefakte skulptural in den Raum ragen.
Neben seiner Karriere als bildender Künstler ist Julian Schnabel auch als Filmemacher erfolgreich. Seine Filme, wie „Basquiat“ (1996; eine Innenansicht der New Yorker Kunstszene der späten 1970er- und 1980er-Jahre als intimes Porträt seines Titelhelden), „Bevor es Nacht wird“ (2000; erzählt die Geschichte des kubanischen Schriftstellers Reinaldo Arenas) und „Schmetterling und Taucherglocke“ (2007; die Geschichte einer Person mit Lockedin- Syndrom, die sich gegen ihr Schicksal stemmt) sowie nicht zuletzt sein Van-Gogh-Porträt „An der Schwelle zur Ewigkeit“ (2018), mit dem er den Geist der Kreativität beschwört, erhielten Anerkennung und Auszeichnungen auf wichtigen Filmfestivals. „Ich möchte, dass mein Leben in meinem Werk steckt, komprimiert in meiner Malerei wie ein Auto in einer Schrottpresse. Sonst wäre meine Arbeit nur irgendwelches Zeugs“, sagt Julian Schnabel. Diese Dringlichkeit zieht sich durch sein Schaffen, ganz gleich, welche Mittel oder Medien er wählt.
Nach einer streng limitierten Sammleredition legt der Taschen-Verlag nun eine preisgünstigere Monografie vor, die das ganze Spektrum des Schnabel’schen Werks umfasst. Das Buch wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler geschaffen, der die Werke selbst ausgewählt und auch das Cover gestaltet hat. Die Texte steuern Freunde, Kuratoren und Kunsthistoriker bei: Laurie Anderson zeichnet ein vertrauliches Porträt des Künstlers; Éric de Chassey widmet sich den Gemälden, Bonnie Clearwater den Skulpturen und Max Hollein der ortsspezifischen Arbeit; Donatien Grau schreibt über den Palazzo Chupi, das vom Künstler selbst entworfene Haus im New Yorker West Village; der Schriftsteller Daniel Kehlmann taucht in das filmische Werk ein. Die großformatige Ausgabe ermöglicht es dem Betrachter, die Oberflächen und mannigfachen malerischen Ereignisse in Julian Schnabels Arbeiten genau zu studieren und seine Kunst auf eine Weise zu erleben, wie es ansonsten nur in der persönlichen Begegnung mit den Werken möglich ist.