Erkenntnisse und Entdeckungen aus 4000 Jahren
Woher kommt unser aktuelles Wissen über den Körperbau von Mensch und Tier? Wann und wie hat sich dieses Bild verfestigt? Worauf basiert unsere Vorstellung von Körper – Geist – Seele? Solche und weitere Fragen beantwortet das gerade im Haupt Verlag erschienene Buch „Die Geschichte der Anatomie“. Diese wird darin anhand von über 150 Büchern aus der ganzen Welt als wichtiger Teil der Erkenntnisgeschichte nachgezeichnet.
„Bücher sind Zeitkapseln. Sie bewahren das Wissen und Denken ihrer jeweiligen Zeit. Das gilt besonders für Sachbücher, die die Wahrheit so wiedergeben, wie sie zum Zeitpunkt der Niederschrift verstanden wurde. (…) Die Anatomie ist eine der ältesten Wissenschaften. Ihre niedergeschriebene Geschichte reicht Tausende Jahre zurück. Dieses Buch kann nur einen Bruchteil der veröffentlichten Werke zur Anatomie vorstellen. Doch allein hier kommen über 150 Bücher aus rund 4000 Jahren zur Sprache. Vom Papyrus Edwin Smith, der die chirurgische Behandlung von Kopfverletzungen im alten Ägypten umschreibt, bis hin zur aktuellen Ausgabe von Muscosceletal MRI, in der sich die technologischen Fortschritte des 21. Jahrhunderts widerspiegeln.“
Das schreibt der Wissenschaftsjournalist und passionierte Buchsammler Colin Salter in der Einleitung zu „Die Geschichte der Anatomie“. Die umfassende Auswahl bekannter Bücher aus unterschiedlichen Epochen, die er für seine Publikation herangezogen hat, berücksichtigt gleichzeitig verschiedene Länder und Kulturen, wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, das Vereinigte Königreich, das alte Persien und Japan.
Anatomie ist die Lehre vom Körperbau. In Anlehnung an den ursprünglichen Wortsinn bedeutet Anatomie das Öffnen und Zerteilen des Körpers in seine Bestandteile. Dieser Vorgang war allerdings bis zur Antike tabu, soweit wir es heute nachvollziehen können. Hier setzt Salter ein und führt in sechs Kapiteln (Anatomie seit der Antike; Anatomie im Spätmittelalter; Anatomie in der Renaissance; Das Zeitalter der Mikroskopie; Das Zeitalter der Aufklärung; Große Erfindungen) durch die Entwicklungsgeschichte der Anatomie.
Kurzweilig veranschaulicht er, wer was wann wo und unter welchen Bedingungen entdeckte: Bis zur Neuzeit steigerte sich die Kenntnis über den menschlichen Körper kontinuierlich und die Wissenschaft der Anatomie drang immer tiefer in die „wunderbare Maschine“ Mensch vor, mit ihrem „fein abgestimmten und gleichzeitigen Chaos voneinander anhängiger Systeme, die ständig Gefahr laufen, zu versagen.“ Salter zeigt, wie Knochen, Muskeln, Nerven-, Blut- und Lymphbahnen, innere Organe und unsere Haut, wie Wachstum und Entwicklung detailreich und unter manchmal kuriosen Bedingungen erforscht wurden. Diese Erkenntnisse wurden niedergeschrieben und in zum Teil akribisch angefertigten Illustrationen, in Malereien, Skizzen, Notizen und später auch in Fotografien festgehalten. Sie zeugen vom Aufbruch und der unstillbaren Neugier der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die darin auch heute noch spürbar wird.
Neben der wissenschaftlichen Entwicklung vermittelt das Buch auch den technischen Fortschritt, der zu neuen Erkenntnissen in Sachen Anatomie führte, etwa das Mikroskop oder die Entdeckung der Röntgenstrahlen. Das Buch endet im 20. Jahrhundert, wo eine neue Ära der Anatomie begann, „die sich auf die zellulären und subzellulären Bestandteile des menschlichen Körpers konzentrierte.“
Colin Salter ist ein informativer, kenntnisreich geschriebener und wunderschön illustrierter Bildband über die Geschichte der Anatomie gelungen. Mit der Auswahl der von ihm zurate gezogenen Bücher stellt er anschaulich unter Beweis: „Die Beziehung zwischen Kunst und Anatomie ist symbiotisch, und die Illustrationen in Anatomiebüchern erzählen über den Lauf der Jahrhunderte eine ebenso relevante Geschichte wie der Text selbst.“ Ganz nebenbei erzählt Salters Publikation auch von dem unermesslichen Wert der Bücher.