In den Ölbildern von Nicola Hanke wird Unsichtbares sichtbar
Industriell gefertigte Spitzen und Häkelbordüren, bedruckte Baumwolle und griffiger Frottee, Stickereien und Knöpfe, Glasbausteine und Fensterscheiben … Nicola Hanke arbeitet fotorealistisch. Ihr besonderes Interesse gilt der Darstellung von Stofflichkeit und der Sichtbarmachung von Transparentem oder Durchsichtigem.
Der Trompe-l‘oeil-Effekt, den Nicola Hanke damit erzielt, verweist auf eine kunstgeschichtliche Tradition: Er erinnert an die barocke Stilllebenmalerei, an Hans Holbein, Jan van Eyck oder Jan Vermeer. In ihrer Vielschichtigkeit verleiht die Künstlerin ihren Werken jedoch eine individuelle Handschrift, die weit über die Transformation der Technik ins Zeitgenössische hinausreicht.
Textile und gläserne Strukturen, denen wir eher beiläufig unsere Aufmerksamkeit schenken, stehen im Fokus ihres Interesses. Die gebürtige Münchnerin malt sie in extremer Nahsicht und radikal vergrößert. Als Protagonisten ihrer Bilderzählungen eröffnen die formatfüllenden Ausschnitte Blicke in scheinbar Privates und wecken die Neugier: Was geschieht hinter den Gardinen? Hat auf dem Bettlaken gerade noch jemand gelegen? Was schimmert so bunt durch das Türglas?
Für ihre präzise, mit altmeisterlicher Sorgfalt ausgeführte Primamalerei bringt Nicola Hanke die Ölfarbe ohne Untermalung in sehr dünnen Schichten direkt auf die Leinwand. Die Bilder erscheinen dann matt und kommen der Stofflichkeit der dargestellten Oberflächen möglichst nahe, denn deren Materialität wird durch die Struktur der Leinwand unterstützt. Auf diese Weise muten sie so haptisch an, dass man die abgebildeten Texturen am liebsten ertasten, dass man sie anfassen und überprüfen möchte, ob sie sich anfühlen, wie sie aussehen.
Nicola Hankes Arbeitsweise nimmt viel Zeit in Anspruch. Wenn sie in ihrem Frankfurter Atelier mit kaum erkennbarem Pinselstrich jede kleine Faser malerisch erforscht und umsetzt, dauert es viele Monate, bis ein Bild fertig ist, sagt sie: „Ich male sehr langsam. Bei besonders detaillierten Vorlagen kann es vorkommen, dass ich nur fünf Quadratzentimeter am Tag male.“
Die Liebe zum fotorealistischen Arbeiten hat die Künstlerin schon früh in sich verspürt. Von den Eltern gefördert, vom künstlerisch tätigen Großvater und dem Modedesign-Studium der ältesten Schwester angeregt, „habe ich schon als Kind gerne gemalt,“ stellt Nicola Hanke rückblickend fest.
Der schulische Kunstunterricht erweckte dann ihre Liebe zum Detail und zum fotorealistischen Zeichnen. Als Nicola Hanke während des Studiums der Kunstpädagogik an der Kunstakademie in München zufällig das Bild einer Frau, die auf Stoff liegt, von einer Karin-Kneffel-Studentin durch die geöffnete Aula-Tür sah, „war das wie eine Erleuchtung für mich, denn es zeigte genau das, was ich machen wollte.“
Die Arbeiten von Karin Kneffel, die damals noch in Bremen lehrte und deren Meisterschülerin sie später werden sollte, hatte Nicola Hanke bis dahin nicht gekannt, nun wollte sie unbedingt bei dieser Professorin studieren. Sie bewarb sich und wurde für ein Jahr zunächst als Gaststudentin in deren Klasse an der Hochschule für Künste in Bremen angenommen. Dort hat sie entscheidende Impulse für ihre künstlerische Laufbahn erfahren, hat gelernt ihr Thema zu finden, im Kontext der Klasse Inspiration gespürt und zum fotorealistischen Malen gefunden. Aber „jeder nimmt auf seine Weise wahr und malt auch auf seine eigene Weise,“ stellt sie fest, „deshalb gibt es eigentlich wenig, was man über die Technik vermitteln kann.“
Neben maltechnischen Aspekten interessieren die Künstlerin auch Farben: „Ich liebe Farben. Mir geht es in einem Bild auch um die Farbkomposition. Die muss ausgewogen sein. Farbharmonie ist bei mir gleichwertig zum Wunsch nach Realismus. Ich versuche also in meinen Arbeiten zwei Wege zu vereinen, die sich im Grunde genommen ausschließen, denn wenn man nur nach Farbe arbeitet, müsste man eigentlich abstrakt arbeiten.“
Damit ihr dieser Brückenschlag gelingt, geht der malerischen Umsetzung ein langwieriger Kompositionsprozess voraus. Anders als ihre Arbeiten vermuten lassen, sind die von Nicola Hanke gewählten Ausschnitte nicht dem Zufall geschuldet, sondern das Ergebnis eines sorgfältigen Arrangements. Erst wenn die Künstlerin damit zufrieden ist, hält sie es fotografisch fest. Diese Fotografie wird dann mithilfe eines Episkops auf die Leinwand projiziert, um das Motiv als grobe Umrisszeichnung darauf zu übertragen.
Häufig treffen in Nicola Hankes Gemälden zwei Stoffe aufeinander, ohne dass diese ihren individuellen Charakter verlieren. Die Malerin erspürt deren Beziehung zueinander und überprüft im Zusammenspiel von Farben und Strukturen, welche Bilder dabei in ihr entstehen. Geleitet von ihren Assoziationen verändert sie den Blickwinkel, lässt die Stoffe sich gegenseitig berühren und in einen Dialog zueinander treten. So entstehen mal humor-, mal geheimnisvolle Kompositionen oder auch Vanitasmotive. Solche Eindrücke und Erinnerungen möchte Nicola Hanke subtil auch bei den Betrachtenden hervorrufen, „deshalb haben meine Arbeiten auch keine Titel.“
Für die Glasbilder sind die fotografischen Vorarbeiten ebenfalls von entscheidender Bedeutung. Auf den Fotografien zeigt sich, was das Auge nicht wahrnimmt bzw. unser Gehirn ausblendet, etwa die Reflexionen auf einer unstrukturierten Glasscheibe, wenn der neugierige Blick eigentlich durch einen Gardinenspalt in einen Raum gelenkt wird. Die Überlagerung, die durch die transparente Glasschicht entsteht, die Gleichzeitig- und Gleichwertigkeit, interessiert Nicola Hanke. Sie überträgt sie in ihre Malerei und löst damit beim Betrachten Irritationen aus. Diese Irritation entsteht bei Arbeiten, die Ausschnitte von geschliffenen oder gegossenen Glasflächen zeigen, durch die bilddominierenden Strukturen, die die Transparenz zurücknehmen. Das Spiel mit sich überlagernden Flächen ergibt sich hier durch die im Glas schemenhaft gebrochenen Farbflächen, die – ähnlich den Reflexionen – lediglich andeuten, was sich hinter dem Glas verbirgt.
In ihren Werken wird Nicola Hanke sichtbar. „Sobald ich etwas Schönes sehe, habe ich immer schon das Bedürfnis gehabt, es noch einmal durch mich durchzuziehen,“ beschreibt Nicola Hanke ihre Motivation. Mit ihrer fotorealistischen Malweise lädt sie uns ein, das Stoffliche, Materielle, zu ergründen, Dahinterliegendes mithilfe von Ein- und Durchblicken zu erkunden, ihren Assoziationen zu folgen und eigene zu entwickeln.