Irmhild Schaefers Malerei vermittelt Lebensfreude
Irmhild Schaefers Bilder leuchten, das ist das unübersehbar Erste und das bleibend Begleitende, wenn man an ihre Kunst denkt, nicht nur an die Farben vor dem inneren Auge, sondern auch an die Gestimmtheit der Werke, die Schönheit und Lebensfreude ausstrahlen, ohne das Schwere und Schwierige des Lebens zu leugnen.
Da ist zum Beispiel eine Frau, deren zum Knoten gestecktes schwarzes Haar und expressive Gesten sich mit den feuergelbroten Rüschen ihres Kleides zum leidenschaftlichen Flamenco vereinen. In ihrem gesenkten Gesicht drückt sich zugleich eine Traurigkeit aus, die den Ursprüngen dieses Tanzes aus der schmerzhaften andalusischen Geschichte ebenso entsprechen könnte wie einem persönlichen Schicksal, das sie in diesem eindringlichen Moment erlebt und überwindet. „Dance and feel free“ (2019) nennt Irmhild Schaefer dieses Werk.
Die Malerin begann 1968 mit ihrem Studium in Bochum, als Hans-Jürgen Schlieker, einer der bedeutenden Vertreter des deutschen Informel, im Musischen Zentrum an der Ruhr-Universität den Bereich Bildende Kunst aufbaute – inmitten der gesellschaftlich umwälzenden Phase des Sich-Freidenkens und Sich-Aussprechens, während der auch die Künstler*innen zu neuen Ufern aufbrachen. Wer Irmhild Schaefer heute begegnet, ihre Offenheit, Begeisterungsfähigkeit und ihre kreative Begabung kennenlernen, kann sich vorstellen, wie überzeugend sie als Lehrerin ihre Schüler zur Entdeckung der Welt ermutigte und wie anregend sie als Dozentin später unterrichtete. Nach ihrer pädagogischen Tätigkeit konnte sie sich, angeregt durch Studien bei Günter Sponheuer, Markus Lüpertz und Norbert Bisky, ganz ihrem freien Schaffen widmen.
Ihr Œuvre gliedert sich in Reihen und Serien, die um mehrere Schwerpunkte kreisend sich erweitern und verbinden: die „Wonderworld“ des Zirkus und das Universum im „Tanz“, der „body and soul“ zum Ausdruck bringt, nicht nur für die „Frauen“, die Irmhild Schaefer in vielen Situationen porträtiert. Der Himmel und seine Wolken interessieren sie wie das Wasser und seine Wellen, auch die Wiesen, Wälder und Felder und das Paradies der Blumen. An der Schnittstelle vieler Themen liegt die „Kaimauer“ (2, 2021) im Hafen zwischen Land und Meer, ein ruhiges Bild, in dessen Zentrum zwei Frauen sitzen, einander zugewandt und doch jede für sich: die eine lesend, die andere in die Ferne sehend, verbunden durch manche äußere Ähnlichkeit und die spürbare innere Vertrautheit, die andere gelten lässt. Hinter ihnen liegt blau das Wasser, jenseits erheben sich grüne Hügel, und die gesamte Vignette wird umwölkt von einem Rahmen rosiger und aprikosiger Töne, in denen das sinkende oder steigende Licht zusammenfließt. Die Sanftheit der Farben und ihre kühlwarme Harmonie schenken uns Leichtigkeit und Frieden.
Wir fragen uns, wo und wie diese vielschichtigen Bilder Irmhild Schaefers entstehen und besuchen sie in ihrem Atelier, das sie in dem Haus in Sprockhövel eingerichtet hat, das sie und ihr Mann bewohnen. Die Künstlerin arbeitet unter dem Dach, vor allem des Lichtes wegen, das durch die großen Fenster einströmt oder durch Vorhänge filtriert und durch zusätzliche Lampen gezielt unterstützt werden kann. In Kisten, Kasten und handlichen Werkzeugkoffern werden Farben, Grundierungen, Papiere, Stoffe und andere Materialien aufbewahrt. Pinselgläser, Kreideschachteln, Malschüsseln und Sprühdosen stehen in den Regalen, ebenso eine Bibliothek internationaler Kataloge und Kunstbände.
Abgesehen von den gut zu stapelnden Skizzenbüchern und Mappen mit Zeichnungen und Druckgrafiken, benötigen die Werke auf Leinwand – viele professionell verpackt für den nächsten Transport – ihren Platz, darunter auch viele Ölgemälde, auf denen die Künstlerin ihre Familie und Freunde seit Jahrzehnten in konventionellerer Manier darstellt als die freieren Exponate in Acryl. Auf den Böden, Paletten und Staffeleien haben sich die Spuren vieler Arbeiten abgelagert, erzählen tropfenweise von ihrer Genese.
Am Schreibtisch werden flach liegend die kleineren Formate in Aquarell, Tusche und Gouache ausgeführt, während in dem höheren Raum nebenan die großen Formate gestellt werden können, für die die Künstlerin manchmal eine Fußbank herbeiholt, damit sie ihre imposanten Figuren nicht aus der Hand verliert. Wie die „Artistinnen“ (2021) auf dem Doppelbild von einem Meter vierzig mal zwei Meter zwanzig. Es zeigt nicht den atemraubenden Höhepunkt eines Auftritts, sondern eine Episode alltäglichen Trainings in der Manege. Durch formale und inhaltliche Aspekte gewinnt das Motiv eine merkliche Spannung: Eine dritte rätselhafte Gestalt am linken Bildrand geht in ihrer kubistisch verdrehten Haltung nahezu im dunkel ultramarinfarbenen Hintergrund auf, von dem sich die mittlere Protagonistin im roten Trikot wirkungsvoll abhebt. Ihr Körper wird durch die Formatgrenzen zerschnitten, und wie abwehrend streckt sie den Betrachter*innen eine Hand entgegen. Über dem nach rechts auslaufenden blauen Schwung steigen vereinzelt vielfarbige Sprengsel für den glitzernden Flitter unter der Zeltkuppel auf.
Irmhild Schaefers Arbeit beginnt mit der Betrachtung ihrer Sujets, deren poetisches Potenzial sie durch ihre Oberfläche hindurch zu ergründen sucht. Dazu greift sie mitunter zum Stift und eignet sich Details in naturalistischen Zeichnungen an. Ausgehend von diesen Erfahrungen erfolgt in den Skizzen eine gestaltende Verwandlung der Realität, eine Konzentration, in der sich das für die Künstlerin Wesenhafte eines Gegenstandes, einer Person, einer Landschaft, einer Bewegung oder Konstellation ausdrückt. Gleichzeitig experimentiert sie mit verschiedenfarbigen Hintergründen, bevor sie die Entwürfe mit Tafelkreiden auf die Leinwand überträgt und Zug für Zug in vielen sich verdichtenden Schichten der Acrylfarbe füllt. Alles ist in Bewegung, wie die Künstlerin ihre Technik selbst umreißt: „Ich lasse Farben verlaufen, nehme natürlich gerne kräftige Farben, habe nicht immer ganz genau die Konturen angelegt. Mir ist eigentlich das Impulsive, Plötzliche und trotzdem eine Form Findende bei einem Bild sehr wichtig und dass man auch immer diesen malerischen Prozess miterkennt, die einzelnen Pinselstriche. Die Untergründe lasse ich teilweise durchscheinen.“
Die transparenten Lasuren werden zu zerfließenden atmosphärischen Kulissen, deren Perspektivität sich zumeist durch die Anordnung der Objekte ergibt, die sich aus einander überlagernden Farbfeldern mosaikartig zusammensetzen. Die Gesichter der Figuren sind oft nur angedeutet, ihre Individualität tritt vor allem mit ihrer Körperlichkeit und Kleidung kontrastreich und plastisch hervor.
Die Anschnitte der Motive sind bisweilen außergewöhnlich: Unter dem ironisch gereimten Titel „Shop till you drop“ (2016) sind drei weibliche Unterkörper auf einer Bank nebeneinandersitzend zu sehen. Leger gekleidet in Hose, Shorts, kurzem Rock und Sandalen strecken die halben Damen die Beine aus, zu ihren Füßen in Taschen und Tüten der Ertrag ihrer Einkaufsjagd. Für Irmhild Schaefer ist es ein Symbol der Freiheit, sich diesem Erlebnis ohne schlechtes Gewissen entspannt hingeben zu können, um zufrieden erschöpft auszuruhen.
Die keineswegs – schon gar nicht global – abgeschlossene Emanzipation ist für die engagierte Künstlerin eine wiederkehrende Problematik. Unter anderem im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in der GEDOK, einer bundesweiten interdisziplinären Künstlerinnenorganisation, zeigt sie ihre Serien zu starken Frauen, die ihr „am Herzen liegen“. Darin erinnert sie an die berühmten Pionierinnen des frühen 20. Jahrhunderts und lässt mutige Frauen der Gegenwart auftreten, die erfüllt von ihrem Sein und Tun eine selbstbewusste Weiblichkeit leben und in den Werken der Malerin mit ihrer Zwanglosigkeit und Unabhängigkeit berühren.
Die schöpferische Intensität Irmhild Schaefers dokumentiert sich in weiteren aktiven Mitgliedschaften im WBK Essen und GFjK Baden Baden sowie in der Ausstellungsfrequenz, die auch unter einschränkenden Corona-Bedingungen und trotz einiger dadurch begründeter Absagen kaum nachließ. Mehrfach war sie vertreten in dem Wuppertaler Projekt „Out and about“, für das ein Fachgremium Werke aussuchte, die auf Plakatwänden in der Stadt präsentiert wurden. Und die zwischenzeitlichen Lockerungen nutzte die Künstlerin für Ausstellungsbeteilungen, unter anderem mit einer neuen Werkphase zum Thema „Wasser“, mit dem sie sich schon 2002 beschäftigt hatte.
Dazu gehört der faszinierende Blick auf eine Flusslandschaft („River so deep“, 2021), den wir auftauchend zwischen zart mit Ölkreide betonten Algen und Binsen über die hell gewölbte Mitte genießen, in der sich die gegenüberliegenden Hügel mit Feldern und Wiesen im letzten Abendrot spiegeln. Die heimatliche Ruhr erfährt in der künstlerischen Metamorphose eine geheimnisvolle Tiefgründigkeit, die durch den Titel, der auf einen Song der 1960er Jahre anspielt, zusätzliche Bedeutungsräume öffnet.
Irmhild Schaefers Bilder sind verheißungsvoll: Mit jedem zweiten und dritten Blick entdeckt man unerwartete Facetten und Aspekte, die sie enthalten und entfalten und die Fantasie anregen, das unendliche Panorama der Schönheit der Welt, auf das sie verweisen, zu allen Seiten in alle Zeiten fortzusetzen. Des Leuchtens und der Freude ist kein Ende.