Der Maler Sven Kroner
Es klingt paradox. Es gibt hierzulande kaum einen Maler, der Menschen so greifbar, so physisch anwesend darstellt wie Sven Kroner. Der ihnen derart Raum gibt mit ihrer Präsenz, ihrer Sicht auf ihre Umgebung und im Nachempfinden ihrer Biografie. Und dabei sind sie selbst meist nicht zu sehen: Kroner malt nur selten Menschen.
Über die Jahre und im Wechsel der Werkgruppen sind die Menschen allmählich aus seinen Gemälden verschwunden, haben sich inmitten von dichter Bepflanzung und weiten Landschaften oder hinter Hauswänden regelrecht zurückgezogen oder unter dicker Winterkleidung vermummt. Falls sie in seinen neueren Bildern, die Arbeitssituationen im Atelier und Fragmente urbaner und landschaftlicher Modellanlagen zeigen, doch vorkommen, dann treten sie winzig und vereinzelt als Spielzeug-Figuren auf, teils als Kinder. Sie stehen fest auf dem Boden und befinden sich an der Hand eines Erwachsenen, der sie führt und behütet. Und so verweist auch in diesen Gemälden alles auf den Menschen, sein Zurechtfinden in der Welt und deren Aneignung. Es ist, als taste man sich über die gemeinsamen Erfahrungen und die kollektiven Geschichten zu den Verhaltensweisen der Menschen zum einen und zur Geschichte der Erde zum anderen vor.
Zu den Beobachtungen, die sich durch die Malerei von Sven Kroner ziehen, gehören die Einrichtung im urbanen Alltag zwischen Duldsamkeit und einem stillen Grauen unter dem Mantel der Ereignislosigkeit, die Vereinnahmung der Erde und die Globalisierung mit dem Warenverkehr und dem Tourismus. Dazu ist die Fortbewegung mit ihrem technischen Fortschritt ein Leitmotiv. Der Mensch rast auf Skiern buchstäblich den Rücken der Natur hinab, nachdem er den Berggipfel mit seinem Auto befahren hat. In späteren Bildern sehen wir Ozeandampfer und Zeppeline zwischen Himmel und Erde, weiterhin Eisenbahnen – Güter- und Personenzüge – auf ihren Schienen inmitten der Landschaft und sodann Hinweise auf Flugzeuge. Autos parken in Reihen am Straßenrand, und zu Füßen einer Wolkenwand, die sich mächtig wie ein Gebirge auftürmt, lehnt ein Fahrrad am Nachbargebäude eines kleinen Bahnhofs. Meist großformatig, bietet ein Teil der Gemälde einen sensationell aufgefächerten Überblick in perspektivischer Verkürzung, als habe man ein Weltpanorama à la Albrecht Altdorfer vor sich und blicke durch ein Fernglas und finde sich nun an irgendwie vertrauten Orten wieder, die der eigenen Kindheit und lange zurückliegenden Aufenthalten auf dem Land entstammen könnten.
Aber da in den frühen Malereien eine Pension mit dem Namen Kroner vorkommt; da später einzelne Bilder nach realen Ereignissen benannt sind (Bei Geltendorf oder Sturmschaden Lothar); da die aktuellen Bilder die Situation in einem Atelier – also den Beruf des Malers – wiedergeben; und zumal Kinder mit ihren Spielsachen auftauchen und sich bestimmte Motive sowieso durch das gesamte Werk ziehen, stellt sich die Frage, ob Sven Kroner in seiner Malerei nicht die Geschichte seines eigenen Lebens erzählt – aber so, dass sie uns alle betrifft: Daher rührt die Authentizität und auratische Dichte, die seine Kunst auszeichnet, auch dort, wo sie surreale Züge besitzt oder als Bild im Bild Miniaturmodelle und deren Einzelteile zeigt. Etwas Heimeliges stellt sich ein, auch das ist ein Thema dieses Werkes: Was macht Heimat aus und wie richten wir uns in ihr und mit der Erinnerung an all das Tradierte in der Gegenwart, die wir immerhin mitgestalten, ein?
Derartigen Fragestellungen geht Kroner in seinem Werk von dessen Anfängen Mitte der 1990er-Jahre bis heute konsequent nach: in den Themen, kreisend um das Verhältnis von Mensch und Natur; in den Motiven und in der perspektivischen Ausrichtung, als Überblick von erhöhtem Standpunkt. Mitte der 2000er-Jahre hat er sich der realistischen Wiedergabe seiner Motive zugewandt, gleichzeitig mit der Verwendung eines tonigen Grüns, welches – häufig, aber nicht immer – als Nacht die Szenerien umhüllt. Dementsprechend sind die Fassaden und die Dächer mit einer pastellfarbenen Tonalität überzogen, die wie überaltert und papiern fragil auftritt. Erst recht dadurch wirken diese Bilder wahrhaftig und entrückt-unwirklich zugleich. Die Geschehnisse sind genau, hingebungsvoll notiert. Aber die Realität verschachtelt sich, schon die Größenverhältnisse verschieben sich, als hätten wir es inmitten von Wirklichkeit mit Modellen, also mit der Wirklichkeit von Modellen der Wirklichkeit zu tun – und so ist es ja auch bei den aktuellen Bildern, die die Dinge, Motive verteilt auf dem Atelierboden oder arrangiert im Diorama zeigen.
Zum irrealen oder visionären Charakter trägt schon davor die Präsenz der Natur bei, die so intensiv und saftig beschrieben ist wie später die Hauswände oder deren Fußböden minutiös ausformuliert sind. Die Landschaft ist überschwemmt, im sumpfigen Unterholz üppig blühender Naturlandschaften stecken Möbel und Waschmaschinen, die wild entsorgt scheinen. Oder wurde nicht doch ein Haus überflutet, von Wassermassen zerstört und mitgerissen? Kann sein, dass einige Jugendliche bereits wieder ganz in der Nähe campen und in einem Gebirgssee baden, dem Schwarzen See (2006). Bei einer Werkgruppe ragen Gruppen von Zelten verteilt in der Landschaft wie Behausungen der Eingeborenen in fernen Kontinenten oder im Pfadfinderlager hierzulande auf. Dann tritt der Blick weiter auf Abstand und die Nacht legt sich über eine andere Szene nahe an einem Fluss. In der flirrenden Kleinteiligkeit, im Dunkel erhellt von einem Blitz (2010), fügen sich einzelne Mikroerzählungen zu einem großen Ganzen zusammen. Oder in sonnenbeschienene ockergelbe Kornfelder sind wie von Außerirdischen seltsame Kreise gefräst, auf der Anhöhe von einem markanten Paar begutachtet: die Englische Landschaft (2009). Natürlich sind solche Bilder humorvoll und im Pittoresken verspielt, ebenso wie sie etwas Geheimnisvolles, Unerklärliches besitzen. Ein Schiff liegt auf einem Feld, als wäre meterhohes Wasser mittlerweile wieder versickert. Und wenn das Schiff vom Himmel gefallen ist? 2014 hat Kroner ein solches unbetiteltes Bild gemalt, welches ein Schiff kurz vor dem Aufprall auf einer Waldlichtung zeigt. Bei einem anderen Gemälde wuchert der Wald über ein gestrandetes Frachtschiff, während am unteren Bildrand ein einsamer Stuhl wie bei einem Filmsetting steht. Parallel dazu widmet er sich den monotonen Vorstädten, in denen die Natur domestiziert in den standardisierten Vorgärten erhalten ist. Die Bewohner bleiben verborgen. Auf der Straße sind die Reifenprofile gefroren, und in die Schneeschicht auf den Autos sind unsinnige Parolen geritzt. Die Szene wird von verstreuten künstlichen Beleuchtungsquellen erhellt. Damit meldet sich das Haus als Rückzugsort des Menschen zu Wort. Mit seinen Fensteröffnungen ermöglicht es aber noch den Austausch mit dem Außen: Das ist ein zentraler Gedanke der Malerei von Sven Kroner, seit er vor einigen Jahren die Darstellung landschaftlicher, „äußerer“ Situationen durch die Wiedergabe von Räumen ersetzt und sogar buchstäblich das Draußen nach Drinnen verlegt hat.
Durch die Fenster „blicken“ nun Hausfassaden in das Interieur, so wie Licht in den Raum hineinfällt. Seit 2014 malt Kroner mitunter farbige Glasscheiben, weiterhin legen sich die Schatten gerastert oder verzogen über die Wände und den Boden des Raumes, und der Ort, den er dabei eigentlich immer zeigt, widmet sich der Kunst und der Kulturgeschichte: das Atelier oder das Museum. Im Atelier zeigt Kroner die Entstehung der Bilder selbst mit den Modellbauten auf dem Boden, den Leinwänden und Farbspritzern an der Wand. Zunächst begann er mit Gemälden, die nach dem damaligen Ort – einer Industriehalle bei Düsseldorf – Atelierfenster Lörick (2014) betitelt sind und den Fensterblick auf eine Siedlung oder einen Zeppelin liefern und auf dem Fensterbrett ein Modellhäuschen zeigen. Dazu lehnen Glasscheiben an den Atelierwänden und umreißen dort ein transparentes, spitzwinklig dreieckiges Terrain. Sie erhalten nun, in seinen neueren Bildern, die im Atelier in Neuss entstanden sind, eine andere Verwendung. Zu sehen sind jetzt raffiniert reflektierende Glasschränke, auf deren Fächern Spielzeug-Dinosaurier, Hausmodelle und Bücher wie in einem Archiv stehen. Die Glasscheibe trennt und fördert die kritisch differenzierte Sicht auf unsere (frühere) Zivilisation, gesehen im Heute.
In anderen Bildern kippt Kroner den vertikalen Aufbau in die Horizontale mit ihrer Panorama-Sicht: Die Natur und die Bausteine unserer Zivilisation fügen sich zur Landschaft in Dioramen zusammen, wie wir sie von naturkundlichen Museen kennen, ja, er zeigt den Ausschnitt der Museumsräume mit diesen Ansichtskästen. Aber es handelt sich auch weiterhin um Malerei, die noch dazu mittels Malerei – Lampen, die von der Decke hängen oder das nächtliche Licht, das von der Straße hereinscheint – beleuchtet ist. Nun aber stehen wir nicht mehr auf einem hohen Berg und schauen ihn hinab, sondern blicken auf einen künstlichen Nachbau der natürlichen Landschaft und empfinden das, was vorher monumental auftrat, als Miniatur.
In dieser Zeit ist auch das Gemälde „Der Mond“ (2018) entstanden, Es erlaubt einen – fiktiven – Einblick in die Arbeitssituation. Alles wirkt provisorisch, aber auch wohnlich. Offen bleibt, was von den Dingen auf dem Boden Vorlage zum Malen, Erinnerungsstück oder eigentlich Spielzeug der Kinder ist. Ohnehin verschmelzen diese Ebenen in den Gemälden. Hier handelt es sich um astronomische Lehrbücher, die ihrer Typografie nach schon älter sind; weiterhin führen die Schienen einer Modelleisenbahn vom Bildrand (also vielleicht durch die Türöffnung) in das Zimmer hinein, wo sie sich teilen; eine Lokomotive ist darauf zu sehen. Zu jeder Seite der Schienen befindet sich ein Gehöft, begleitet von Landschaftsinseln. Zwischen all dem, was scheinbar wahllos auf dem Boden liegengeblieben, als Gemälde aber genau organisiert ist, befinden sich die Malutensilien: der breite Pinsel, die umgedrehten, auf den Keilrahmen gespannten Leinwände sowie fotografische Aufnahmen eines Hauses und einer Eisenbahn mit Reisenden. Je eine Ecke davon ist umgeknickt und entlarvt so die flächige Reproduktion als solche. Zu sehen sind weiterhin, wie Kompensationen für die Gebirgslandschaften, ein Stuhl und ein Beistelltisch, auf dem eine Lampe – stellvertretend – künstlich leuchtet.
An der Wand befindet sich eine Übersetzung dieser oder derartiger Modelle bereits in Malerei, vielleicht aber handelt es sich dabei lediglich um eine ergänzende Fototapete. Die Leinwand löst sich seitlich und ist auf beiden Seiten eingerissen – auch sie ist „flach“, Erfindung und Vorgaukeln einer Landschaft. Also, in der Malerei selbst ist die Malerei einer Landschaft und das Setting für die Malerei dieser (oder einer anderen) Malerei zu sehen. Keine Landschaft. Und dann, mit dem atemberaubenden Zusammenspiel von Licht und Schatten, wirkt das Zimmer plötzlich verlassen, alles wird ungewiss. Eine lautlose Dramatik erfasst die Unordnung auf dem Boden und die verfallende Ordnung an der Wand, die sich in einem privaten, inneren Raum ereignet und doch vom „Draußen“ berichtet: Als wären wir in den Kopf des Malers dieser Bilder gestiegen.
Sven Kroner zerlegt im Atelier die Welt, als wäre ein Sturm über sie hinweggezogen. Und er sortiert sie und fügt sie als Regisseur wieder zusammen und lässt uns an Analyse und Synthese anschaulich teilhaben. Der Trick dieser Metamalerei aber ist: Wir sehen dem (abwesenden) Maler beim Konstruieren und Malen seiner Bilder zu und merken dabei kaum, dass sie schon längst gemalt sind. Und gerade indem sich Kroners Bildwelten mit dem Klang des Gewöhnlichen, Vertrauten tarnen, stellen sie die Frage nach der Wirklichkeit in postfaktischen, digitalen, virtuellen, netzbasierten Zeiten unter den Bedingungen eines körperlich erfahrbaren Klimawandels. Oder, wie es in der Schlusssequenz in David Cronenbergs „eXistenZ“ (1999) heißt: „Tell me the truth: Are we still in a game?“
Ganz große Begeisterung, endlich mal wieder ein sehr,sehr guter Maler…
Supersicht in die Welt. Gibt es eine aktuelle Ausstellung?
Wegen gesundheitl. Einschränkung kann ich das leider nur so ähnlich fotografieren.
Malen fällt wegen der Motorik aus.
Aber es gibt eine Galerie wo Kroner angeboten wird?