Das ausklingende Jahr bringt viele Gedanken mit sich – man zieht Bilanz, erinnert sich an schöne Momente, aber auch an diejenigen, die sich möglichst nicht wiederholen sollten. „Sai quel che lasci, ma non sai quel che trovi” sagt ein italienisches Sprichwort: „Du weißt, was Du hinter Dir lässt, aber nicht, was Du finden wirst“. Wer das Jahr Revue passieren lässt, schöpft Freude und Erfüllung insbesondere aus den Augenblicken, die das Leben in den vergangenen zwölf Monaten bereichert haben.
In der Kunst gibt es einige solcher Momente: Das vollendete Werk, das mit Stolz erfüllt und Zufriedenheit spüren lässt. Die gelungene Ausstellungseröffnung vielleicht, die das Publikum begeisterte. Neue Kontakte, die vielversprechend sind, und bewährte, die frischen Schwung verheißen. Und vor allem ist es immer wieder die Kunst selbst, die neue Perspektiven eröffnen kann.
Mein ganz besonderer Kunstmoment des Jahres 2024 verortet sich im Herzen von Madrid. Die wunderbar quirlige und doch so entspannte Metropole wartet mit großzügigen Boulevards ebenso auf wie mit ihrer verwinkelten Altstadt, die so gar nichts Museales hat und vielerlei Überraschungen bietet. Die Straßen sind mit geschäftigem Treiben erfüllt, Bars und Restaurants mit Lärm und Leben. Und mittendrin erfreut der Retiro-Park mit seiner zauberhaften Atmosphäre, mit dem Palacio de Cristal, mit Flaneuren und Musik. Direkt nebenan schließlich locken die international berühmten Museen der Stadt, Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt.
Nur einen Katzensprung vom hoch angesehenen (und bereits früher beeindruckt besuchten) Prado entfernt befindet sich das Museo Thyssen-Bornemisza, das sich vollkommen anders zeigte als erwartet: Statt eines ehrwürdigen Kunsttempels empfing uns buchstäblich „El Museo de Todos“ (so in großen Lettern vor dem Eingang): „Das Museum für alle“, beheimatet im prächtigen, neoklassizistischen Palacio Villahermosa und seinen modernen Erweiterungsbauten. Allein die Künstler*innen der hier präsentierten Sammlung lesen sich wie ein Who‘s who der Kunst: Dürer, Cranach und van Eyck, Ghirlandaio und Holbein, Caravaggio, Rembrandt, Rubens, Manet, Picasso und Kirchner, um nur einige zu nennen. Den Augen bietet sich eine atemberaubende Geschichte der Kunst vom 14. bis zum 20. Jahrhundert. Die Sammlung wurde mit viel kenntnisreicher Leidenschaft zusammengetragen von nur zwei Generationen einer Familie, war einst in Lugano beheimatet und ist seit 1993 im Besitz des spanischen Staates. Sie präsentiert sich nun sorgfältigst kuratiert, wissenschaftlich fundiert bearbeitet und in lichtdurchfluteten Sälen von kundiger Hand chronologisch gehängt – Porträt zu Porträt, Landschaft zu Landschaft. Und wirklich: Es ist ein Museum für alle, erfüllt von begeisterten Gesichtern mit staunenden Augen und mit lächelnder Gelassenheit statt ehrfürchtigen Schweigens unter strengen Blicken des Aufsichtspersonals. Ob es Schulklassen sind, die vor den Meisterwerken auf dem Boden sitzen, leise plaudernde Touristen oder einzelne Kenner, die sich freuen, ihre Lieblingsbilder wie alte Freunde zu begrüßen – das Museum Thyssen-Bornemisza bietet Kunstgenuss für jeden!
Für unseren Besuch war ein halber Tag eingeplant – daraus wurde ein ganzer, der ruhig viel länger hätte sein dürfen und auch in den nächsten Tagen für angeregte Gespräche sorgte. Und bei allem schwang die Frage mit: Warum eigentlich nicht öfter? Und gleichzeitig die Gewissheit, dass es unbedingt einen nächsten Besuch geben wird. Das Museo Thyssen-Bornesmisza zeigt beispielhaft, was ein Museum alles kann – große Kunst leichtfüßig vermitteln, unterschiedlichste Interessen bündeln und Gegensätze charmant vereinen. Begeisterung (und Verständnis) wecken für die Kunst, alles unter einem Dach und mitten im Leben – eben dort, wo die Kunst hingehört.
Ich wünsche Ihnen mit der Kunst ein glückliches, gesundes und anregendes Jahr 2025 voller schöner Momente!
Ihre Sabine Burbaum-Machert
PS: Welches war Ihr Kunstmoment des Jahres 2024? Erzählen Sie es uns – wir sind gespannt und lesen es gern in den Kommentaren.