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Hintergrund

Struktur und Chaos

Der Bildhauer Manfred Holtkamp

Am Harkortberg in Wetter an der Ruhr verweist nur ein Firmenschild am großen Holztor auf eine hier früher ansässige Schreinerei. Ein Druck auf die Klinke öffnet den Weg durch den Innenhof, und schon kündet der aromatische, charakteristische Duft von der Arbeit mit Holz. Baumscheiben, Bretter, Klötze und Platten lagern überdacht, trocknen langsam im Schutz vor der Witterung. An der Glastür zur Werkstatt schließlich ein freundliches Lächeln, umrahmt vom grauen Bart, und ein fester Händedruck: Hier arbeitet der Bildhauer und Tischlermeister Manfred Holtkamp.

Werkstatt, Atelier, Lager, Büro und Showroom erstrecken sich großzügig über zwei Etagen mit hellem Tageslicht. Das Erdgeschoss kündet mit klassischen Werkzeugmaschinen von der Arbeit mit Holz: Die große Bandsäge, die Fräse, die Kreissäge, Band- und Kantenschleifmaschinen mit schwerem, eisernem Unterbau stammen teils aus den 1950er-Jahren. Viele langjährige Wegbegleiter fanden mit dem Umzug vor gut einem Jahr hier einen neuen Platz, so etwa die sorgsam aufgestapelten Lindenhölzer: Die Bäume dazu, gepflanzt um die Wende zum 20. Jahrhundert ein Stück den Harkortberg hinauf, hat Holtkamp vor etwa 25 Jahren aufgekauft, als sie gefällt worden waren. Ein Teil wartet nun in Bretter geschnitten auf die Verarbeitung, der andere Teil diente für große Skulpturen, deren gleichmäßige Struktur und typischer Duft auch nach 25 Jahren vom Leben der Linde erzählen: Etwa David und Goliath – zwei einander durchdringende und fast gleich große Stelen mit Astlöchern und Rissen in der samtig geschliffenen Oberfläche, geschnitten aus einem Stamm. Perfekt ausgewogen scheint diese Skulptur weniger vom schwertlosen Zweikampf des zukünftigen Königs von Israel gegen den riesenhaften Krieger der Philister zu berichten als vielmehr von einem fast tänzerischen Zueinander. „Jetzt sind die Linden wieder da, wo sie hingehören“, sagt Holtkamps Ehefrau Ruth Große-Ruyken-Holtkamp. Sie ist nicht nur Mitarbeiterin in der Werkstatt, sondern vor allem seine liebste Kritikerin – und natürlich diejenige, die seine Werke als erste begutachten darf: Sie weiß, wieviel Arbeit, Innovationskraft und Fingerspitzengefühl in den Werken stecken, und sieht das Besondere in jedem einzelnen Stück.

David und Goliath, 2007, Lindenholz, 166 x 43 x 30 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

David und Goliath, 2007, Lindenholz, 166 x 43 x 30 cm
© Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Überhaupt, das Holz. Von ihm weiß Manfred Holtkamp mit einer Leidenschaft und Sachkenntnis zu berichten, dass man stundenlang zuhören könnte. Von Edelhölzern wie demjenigen der Dalbergia-Arten, bekannt als Palisander, einst sehr en vogue in seinem rötlichen Schimmer und heute nur schwierig zu bekommen. Vom Teakholz der bis in die 1970er-Jahre noch vorhandenen uralten Bäume, satt vom eigenen Öl, das bevorzugt für Schiffsdecks verbaut wurde. Von Hölzern mit so hohem spezifischem Gewicht, dass sie im Wasser untergehen, und von der feinen, edlen Struktur von Nussbaum- oder Kirschholz. Eschenholz gehört zu seinen Favoriten, es ist hart, aber elastisch. Und natürlich berichtet er vom harten Holz der Eiche, das ihm in seiner Universalität das liebste ist: „Wir verstehen uns. Das ist einfach so.“

Oft bringt das Holz in seinen Händen eine Idee gleich mit, die zunächst diffus ist und sich erst im Prozess zu erkennen gibt. Meist arbeitet Holtkamp aus dem Material heraus, und die Gedanken und das Werden der Objekte sind gleichzeitig im Fluss. Unabdingbar dafür sind natürlich die Werkzeuge, sorgsam gepflegt, geschliffen und sortiert: Stechbeitel, Hohlbeitel, Stemmeisen, japanische Zugmesser, Hämmer natürlich und Sägen. Elektromechanisches Schnitzwerkzeug ist ihm lieb, „weil es schneller geht“ in der vorausschauenden Ungeduld des Schaffensprozesses. Und die große Bandsäge natürlich, die in seinen Augen ideal ist für die großen Skulpturen aus dem vollen Holz: Sie überträgt ihre lang geschwungenen Linien auch in großen Formaten in präzise, glatte Schnitte.

Atelierimpression Foto: J. L. Maeso Madroñero

Atelierimpression
Foto: J. L. Maeso Madroñero

Schon seit mehr als vier Jahrzehnten prägt die Arbeit mit Holz seinen Weg: Geboren 1960 im münsterländischen Warendorf, begann Manfred Holtkamp dort als knapp Fünfzehnjähriger eine Tischlerausbildung und absolvierte schließlich 1986 seine Meisterprüfung. 1987 kam er ins Ruhrgebiet. Meist war er selbstständig und arbeitete auch für verschiedene große Musicaltheater der Region. Seine Arbeit war ihm die beste Empfehlung, und so ist er heute gemeinsam mit seiner Frau für renommierte Museen tätig, etwa für das Dortmunder U oder in Düsseldorf für die Kunstsammlung NRW und das Museum Kunstpalast. Sie unterstützen Kuratoren und Künstler bei der Realisierung ihrer Pläne, bauen Wände auf Maß, Vitrinen und Schaukästen und bereiten den ausgestellten Werken Räume für ihre ansprechende Präsentation.

Die eigene Kunst war trotz aller zeitraubenden Herausforderungen des Arbeitslebens schon immer da: In jungen Jahren arbeitete er mit Ton, naturalistische Figuren auf der Suche nach der Form im Abstrakten, und später kamen auch einzelne Marmorarbeiten hinzu. Nach einer persönlichen und beruflichen Krise begann er, künstlerische Kurse und Workshops zu absolvieren, bevor sich ein Studium der Bildhauerei bei Arnold Szymanski (1940–2022) am IBKK in Bochum anschloss. Als wichtige Initialzündung für seine Hinwendung zur Kunst bezeichnet Holtkamp etwa ein Land-Art-Projekt in Courdemanche während eines Frankreich-Aufenthalts 1998. Seither präsentierte er seine Werke in Gruppen- und Einzelausstellungen der Region und nach der Jahrtausendwende auch mehrfach in New Yorker Galerien.

Zwei Seiten, 2022, Pflaumenholz, 114 x 97 x 18 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Zwei Seiten, 2022, Pflaumenholz, 114 x 97 x 18 cm
© Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Eine Konstante seines Schaffens bilden die großen Skulpturen aus dem vollen Holz. Hauptsächlich ungegenständliche Solitäre, die, teils farbig gefasst, bevorzugt für sich allein wirken, und auch Gruppen großer Stelen, die stehend oder hängend präsentiert sind. Manche tragen Titel, wie der Engel, dessen strukturierte Oberfläche und gezackte Ränder an Luft in den Schwingen denken lassen. Oder der Fisch (Abb. *), der eigentlich Zwei Seiten heißt, aus dem lebhaft gefärbten Holz der Pflaume und drehbar auf seinem Sockel installiert. Die langen, geschwungenen Rundungen der Skulpturen sind für Holtkamps Werk typisch, der Formenwelt der Natur folgend, für ihn die wichtigste Inspirationsquelle neben dem Material selbst. Andere Skulpturen greifen den Ansatz der früheren Wandarbeiten auf: ebenfalls aus einem Stück gefertigt, wurden sie in Teile geschnitten. Erst neu bearbeitet und teils bemalt („Ultramarin ist meine Farbe!“) wurden sie schließlich wieder zusammengefügt.

Atelierimpression Foto: J. L. Maeso Madroñero

Atelierimpression
Foto: J. L. Maeso Madroñero

Charakteristisch für Holtkamps Werk ist seine besondere Arbeitsweise. Der große Arbeitstisch in der Werkstatt legt Zeugnis davon ab, wieviel filigrane Arbeit in vielen seiner Werke steckt: Hier bilden kleine und größere Hölzchen, Stäbe, Streifen ein buntes Durcheinander. Manfred Holtkamp schneidet Holz unterschiedlichster Färbung in präziser Feinarbeit in dünne Streifen und schmale Stäbe, die er in grafischen Mustern bis zur gewünschten Farbstruktur und Größe verleimt, um daraus wiederum seine Werkstücke zu schneiden. Es sind auch diese geometrischen Muster, die sein Werk so besonders machen und den Blick fesseln im erst allmählich reifenden Verständnis, dass es sich dabei nicht um klassische Einlegearbeiten handelt.

Leichtigkeit, 2020, Eichen-, Ahorn-, Eschen- und Nussbaumholz, 195 x 70 x 60 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Leichtigkeit, 2020, Eichen-, Ahorn-, Eschen- und Nussbaumholz, 195 x 70 x 60 cm
© Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Das Leitmotiv von Chaos und Struktur findet sich insbesondere in einer anderen Werkgruppe wieder: Vielgestaltig und detailliert fordern diese Skulpturen geradezu auf, sie in Ruhe zu umrunden und von allen Seiten zu betrachten. Erst in der Bewegung setzt sich die Fülle an dargebotenen Formen für das Auge zusammen. Assoziationen an die Vielfalt von Jean Tinguelys beweglichen Maschinen kommen auf, und was auf den ersten Blick chaotisch und zufällig scheint, entpuppt sich im Verstehen des Prinzips als gezielte Anordnung kleiner Skulpturen. Bei diesen Arbeiten Holtkamps werden die klassischen, trennenden Begrifflichkeiten von Skulptur und Plastik fließend: Zunächst entstehen die kleinen Stücke, jedes für sich geschnitzt, geschnitten, mit Kerben versehen oder gemustert, meist geschliffen, auch mal im rauen Zustand. Stück für Stück fertigt Holtkamp daraus seine Objekte, baut im klassischen Sinne auf, nimmt wieder weg, was zu viel erscheint und ordnet neu, bis es passt. Derzeit arbeitet Holtkamp an der großen Skulptur Balance aus rohen Holzplättchen und -klötzchen, teils Reste, mit der Hand gebrochen: Ihre Gestalt ist veränderlich, Teile werden wieder abgetragen, woanders angesetzt – alles ist im Fluss.

Balance, 2021 (Detail), Eichen- und Nussbaumholz © Manfred Holtkamp, Foto: J. L. Maeso Madroñero

Balance, 2021 (Detail), Eichen- und Nussbaumholz
© Manfred Holtkamp, Foto: J. L. Maeso Madroñero

Einen wichtigen Platz in seinem Œuvre nimmt der Schwarze König ein, eine Schachfigur von etwa 1,50 Metern Höhe. Manfred Holtkamp hat bereits vor Jahren mit solchen Schachfiguren begonnen. Alle 32 in Planung, und bislang hat er zwei Türme, zwei Läufer und eben den König geschaffen, der aus etwa 500 verwirrenden Einzelteilen besteht. Keines von ihnen gleicht dem anderen, es steht für sich und fügt sich dennoch harmonisch in ein hoch komplexes, nur scheinbar fragiles und überaus stabiles Gebilde. All dies scheint vom selben Kristallisationspunkt auszugehen: Dem Gedanken, dass sich erst durch Adaption und Integration bei vollständiger Individualität ein stabiles Gesamtbild im Kleinen wie im Großen ergeben kann.

Schwarzer König, 2012, Eichenholz, 160 x 40 x 40 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Schwarzer König, 2012, Eichenholz, 160 x 40 x 40 cm
© Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald

Die Zeiten der Pandemie stellten auch für Manfred Holtkamp manches auf den Prüfstand. Die Tätigkeit für Ausstellungshäuser wurde anfangs weitestgehend ausgesetzt, die anschließenden bewegten Zeiten von Neuausrichtung und Atelierumzug forderten eine Menge Kraft. Und doch haben die auch in persönlicher Hinsicht schwierigen Jahre tiefe Eindrücke hinterlassen, die sich heute in ungebrochener Kreativität ihren Weg bahnen: Stetig neue Werke finden ihre Form, die bald in Ausstellungen zu sehen sein werden.

Engel, 2006, Kirschholz, 173 x 39 x 20 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald
Engel, 2006, Kirschholz, 173 x 39 x 20 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald
Leichtigkeit, 2020 (Detail), Eichen-, Ahorn-, Eschen- und Nussbaumholz, 195 x 70 x 60 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald
Leichtigkeit, 2020 (Detail), Eichen-, Ahorn-, Eschen- und Nussbaumholz, 195 x 70 x 60 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald
Balance, 2021 (Detail), Eichen- und Nussbaumholz © Manfred Holtkamp, Foto: J. L. Maeso Madroñero
Balance, 2021, Eichen- und Nussbaumholz, 115 x 40 x 48 cm © Manfred Holtkamp, Foto: Jürgen Theobald
Schwarzer König (Detail), 2012, Eichenholz, 160 x 40 x 40 © Manfred Holtkamp, Foto: J. L. Maeso Madroñero
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Profile

Manfred Holtkamp, geboren 1960 in Warendorf, machte zunächst eine Tischlerlehre und absolvierte schließlich 1986 die Meisterprüfung im Tischlerhandwerk. Als „Initialzündung“ für die Kunst bezeichnet er ein Land-Art-Projekt 1998 in Courdemanche (F). Nach ersten künstlerischen Kursen studierte er von 2004 bis 2008 Bildhauerei bei Arnold Szymanski am IBKK in Bochum. Seit 2004 hat er zahlreiche Ausstellungen bestritten, so etwa in Köln, Dortmund, Hattingen und in New Yorker Galerien. Manfred Holtkamp lebt und arbeitet in Wetter an der Ruhr.

www.manfred-holtkamp.de

Bildnachweis:
Foto: Jürgen Theobald

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