Zu Besuch bei dem Glaszeichner Stephen Cone Weeks
Glas kommt als Bildträger in der zeitgenössischen Bildenden Kunst selten zum Einsatz. Einer, der die Eigenarten des Mediums für seine Arbeit zu nutzen weiß, ist Stephen Cone Weeks. Seine virtuos auf diesem Bildgrund ausgeführten Zeichnungen versetzen Betrachterinnen und Betrachter in eine eigene Welt. Wir haben den Künstler in seinem Atelier besucht.
In Düsseldorf, im Stadtteil Derendorf, liegt im Innenhof eines mehrgeschossigen Altbaus, versteckt hinter hochgewachsenen Hecken, eine alte Bäckerei. Hier ist das Reich von Stephen Cone Weeks. Der Künstler hat das Gebäude zu seinem Atelier umgebaut. Der nahezu ebenerdige Raum wird über eine große Fensterfront mit Tageslicht erfüllt und öffnet gleichzeitig den Blick auf einen kleinen, formal angelegten Garten, der durch eine Taxus-Hecke begrenzt wird. Sie verleiht nicht nur dem Gärtchen einen Rahmen und begrenzt die Szenerie optisch zur Vorderhausfront, sie hält auch den Alltag fern, den das Leben in einem Mehrfamilienhaus mit sich bringt. Er spielt sich hinter der dicht gewachsenen Baumbegrenzung ab. Das Atelier liegt geschützt und ist umgeben von einer Atmosphäre der Kontemplation.
In diesem Umfeld entfaltet sich die märchenhaft anmutende Welt des Stephen Cone Weeks. Ein Hauch von Nostalgie durchweht das Atelier, in dem geschichtsträchtige Kleinodien allgegenwärtig sind. Wie in einem Trödelladen finden sich überall im Raum, in Schränken und Vitrinen, Dinge aus längst vergangener Zeit: barocke Porzellanfiguren, mittelalterliche Madonnen, handgearbeitete Spielzeugfiguren, angestoßene Kinderbücher mit Illustrationen aus einer anderen Epoche, Glanzbilder, Postkartengrüße, Devotionalien, Erinnerungsstücke … Dazwischen, auf Tischchen und Rollwagen, Farbtuben und Kreiden, Gläser mit Pinseln, daneben Bleistifte, Radiergummis, Schmirgelpapier.
Dieses Kuriositätenkabinett ist Ausgangspunkt für Stephen Cone Weeks surreale und stilllebenhafte Werke. „Schon mit 16 Jahren wusste ich, dass ich nicht aufhören wollte, in meinem Zimmer zu spielen. Und ich wollte Künstler werden, wie mein Großvater“, sagt der humorvolle Künstler von sich selbst. Heute dient ihm sein Atelier als Spielfeld grenzenloser Fantasie, auf dem die Inspiration und die Instrumentarien ihrer Umsetzung Hand in Hand gehen. Hier wird sichtbar, was Stephen Cone Weeks über seinen Arbeitsprozess sagt: „Zu Beginn einer Arbeit sind der Gedanke und das Zeichnen eins.“
Verschiedene Motive setzen sich in seinen Arbeiten immer wieder neu in Beziehung zueinander. So etwa bringt der Künstler mit den vom Großvater in den 1930er-Jahren geschnitzten Holzspielzeugen stets autobiografische Züge in seine Werke ein. Wie Ausschnitte aus einem Märchendiorama werden sie mit barocken Porzellanfiguren, mit einem Hund, einer kleinen Ente oder einem Blechschwein arrangiert, mal auf einem Kissen drapiert, mal vor einer Kulisse von Spiegeln und architektonischen Fragmenten. Auch Schlösser und Bäume finden Eingang in die Bildgeschichten, die Stephen Cone Weeks auf einem Tisch im Atelier in einem kleinen Modell zusammenführt. Solche Miniatur-Bühnenbilder versteht er als Skizzen, die er anfertigt, bevor er mit der künstlerischen Arbeit auf dem Bildträger beginnt.
Bildträger – das sind in diesem Fall Glasplatten. Der ausgebildete Bleiglasmaler kann je nach Größe mit bis zu acht Platten arbeiten, die hintereinandergelegt bzw. auf eine eigens gefertigte Schiene gestellt werden. Schon immer habe ihn der Blick in die Tiefe von Wasser fasziniert, erklärt Stephen Cone Weeks. Auch deshalb ist ihm die Transparenz des Glases wichtig.
Seit er 1997 durch Zufall entdeckte, dass er auf Glas zeichnen kann, wenn er der glatten Oberfläche durch Spachtelmasse einen guten Haftgrund für seine Zeichnungen verleiht, der zudem mehrschichtiges Arbeiten ermöglicht, nutzt er diese Eigenschaften des Glases, indem er es als Bildträger verwendet. Seit 2017 arbeitet Stephen Cone Weeks großformatig, derzeit an 5 mm dicken Platten im Format 100 x 83 cm. Das Gewicht erlaubt es nicht, mehr als acht dieser Platten hintereinanderzustellen, er entscheidet sich meistens für die Arbeit mit sechs Glasplatten. „Die Spachtelmasse kommt dann dort auf die Platte, wo ich zeichnen muss. Sie wird sehr gestisch aufgetragen. Wenn sie getrocknet ist, kann ich darauf arbeiten wie auf Papier. Ich habe nachher ein sehr abstraktes Bild, aber ich sehe darin schon alles – die Linien rufen regelrecht nach mir,“ beschreibt Stephen Cone Weeks die Arbeitsschritte. Als wir ihn besuchen, arbeitet er an einem Bild, in dem der Hund, „my faithful friend“ und in diesem Fall der Beobachter der Szene, im Bild bereits angelegt war, aber nur schemenhaft.
Die Wahl der Motive mag manchen Betrachtenden kitschig erscheinen, dass diese dennoch nie ins Kitschige abrutschen, liegt an dem Zugang, den Stephen Cone Weeks zu seinen Arbeiten hat. „In meinen Bildern erzähle ich Geschichten, die ich nicht kenne“, erklärt er. Sie entstehen während des Arbeitsvorgangs, denn „die Ästhetik erzählt die Geschichte.“ Stephen Cone Weeks betrachtet die Gegenstände auf seinem Bühnen-Modell als abstrakte Flächen, die ihm zeichnerisch viel anbieten. Dabei kommt es ihm zugute, dass sie aus einer anderen Zeit stammen und ihn als Künstler somit vom Jetzt, vom einengenden Gegenwärtigen, befreien. „Um der Dynamik im Bild Raum zu geben“, sagt der Zeichner, „muss man Unwissenheit aushalten.“ Im Schnitt lässt eine Arbeit ihm etwa 6–7 Wochen Zeit, um die Möglichkeiten von Dynamik und Ästhetik auszuloten, „dann verbietet mir die Arbeit, daran weiterzumachen.“
Die Buntheit der Gegenstände kommt über Pigmentpulver ins Spiel. Es wird auf die Spachtelmasse aufgetragen oder mit ihr vermischt. Dabei umfasst das Farbspektrum vorrangig Pastelltöne, zeitweise hatten die Zeichnungen aber auch nahezu monochromen Charakter. Um dem „Ruf der Linien“ gerecht zu werden, arbeitet Stephen Cone Weeks nicht nur mit Blei- oder Buntstiften, es wird auch viel geschmirgelt und radiert. Die Dreidimensionalität kommt sowohl durch die Vielschichtigkeit des Glases als auch von den vielen möglichen narrativen Ebenen der Arbeiten. Die gegenständlichen Akteure in den Arbeiten schweben nicht wie Cut-outs auf dem Glas, sondern werden auf der Spachtelmasse als Illusionen von Objekten im Raum gezeichnet – Illusionen, die durch die Schichtung des Glases intensiviert werden. Stephen Cone Weeks bringt seine dreidimensionalen Modell-„Skizzen“ in die zweidimensionale Zeichnung. Dieser verleiht er durch die Illusion von Raum wiederum Tiefe und Dimension, die durch die Transparenz und die Schichtung der Glasscheiben ihrerseits real vertieft wird.
Auf diese Weise gelingt es Stephen Cone Weeks einen Spannungsbogen aufzubauen, der viel Raum für Gedankenspiele lässt. Es ist ein Vergnügen, sich dem Betrachten dieser narrativen Bilder hinzugeben: Die leichten, wattig-pastellfarbenen und geradezu fragilen Zeichnungen auf und unter dem distanziert-kühlen, lediglich in der Vorstellung fragilen Glas verleiten zur Suche nach den offenbaren und den verborgenen Geschichten der Bilder – sowie nach den Geschichten, die beim Betrachten in uns selbst zutage treten. Das macht den poetischen Zauber der Arbeiten von Stephen Cone Weeks aus. Um es mit Gundula Caspary zu sagen: „In der künstlerischen Übertragung zwischen abstrakter Farbmasse und leerem Glasraum gelingt es ihm, die Figuren zu ent-individualisieren und für jeden Betrachter allgemeingültig und offen assoziierbar zu machen.“
Im wahrsten Sinne des Wortes „phantastisch“. In diese Welten lässt man sich gerne hineinziehen!