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Hintergrund

Ein Gesamtbild aus vielen Einzelbildern

In Serien und Werkreihen von Hausfassaden macht Marc Dittrich Materialität sichtbar.

Marc Dittrich (*1976) schneidet Fotografien von Hausfassaden in Streifen und verwebt sie spielerisch zu Reliefs und Skulpturen. Hauswände und architektonische Elemente fügen sich in verzerrten Perspektiven neu zueinander, verlassen die Wandfläche oder schweben frei im Raum. Als befänden sie sich in einem Transformationsprozess, wirken diese neu gefundenen Architekturen häufig leicht, lebendig, nahezu organisch: In Marc Dittrichs Atelier verlieren Immobilien die Bodenhaftung und geraten in Bewegung.

„Mich interessiert vor allem die Materialität von Kunst, schließlich hat der Bildträger großen Einfluss auf die Wirkung des Bildes.“ Um das festzustellen, hat Marc Dittrich, der seit seiner Kindheit mit der Kunst verbunden ist, vieles ausprobiert. Von Naturstudien und Aktzeichnungen über Siebdruck bis hin zum Studium der Bildhauerei bei Prof. Udo Koch (bis 2004) und der Intermedialen Gestaltung bei Prof. Mike Hentz (bis 2006) an der Staatlichen Akademie der Künste in Stuttgart. Mittlerweile hat er sich ein komplexes Repertoire von Motiven, Medien und Techniken erarbeitet, um diese Materialität sichtbar zu machen und im Zusammenspiel verschiedener Ebenen zu immer neuen Fragestellungen zu finden.

Das bevorzugte Motiv des Künstlers: Gebäude, Hausfassaden, architektonische Elemente. Ganz zufällig ist Marc Dittrich auf das Thema „Architektur“ gestoßen. Während eines Stipendienaufenthaltes in Budapest 2003 haben ihn die monotonen Raster und Muster der gesichtslosen Plattenbausiedlungen fasziniert, die wie aus dem Setzkasten konstruiert wirken. Diesen Häusern wollte der Künstler ihre Individualität zurückzugeben. Also fotografierte er unter anderem Fenster und Balkone, fertigte daraus Sticker und klebte diese auf Treppen, Mülleimer, Mauerstücke, Verteilerkästen etc. Das Ergebnis fotografierte er so, dass ein Mimikri-Effekt entstand und sich Betrachtende irritiert fragten, ob das Foto, das sie sahen, tatsächlich Häuser zeigt – oder ob es sich nicht doch um Interventionen handelte …

Bereits in diesen frühen Sticker-Arbeiten wird ein Grundprinzip sichtbar, das sich wie ein Roter Faden durch das Werk des Künstlers zieht: Seine Arbeiten versteht er als „ein Gesamtbild, das sich aus vielen Einzelbildern zusammensetzt.“ Marc Dittrich führt dies auch auf sein Interesse am Filmischen und an der seriellen Fotografie zurück – zehn Jahre Arbeit im Kino haben ihre Spuren hinterlassen … Die Abfolge einzelner Bilder im Film, die Körnung des filmischen Materials und das Gepixelte der digitalen Fotografie führte den Künstler unter anderem zu der Ausgangsfrage für viele seiner Werke: Inwieweit nimmt man die Wirklichkeit in Rastern wahr? Und wie hinterfragt man die eigene Wahrnehmung?

Subjektive Antworten auf diese Fragen findet Marc Dittrich im experimentellen Erforschen von Architektur und Gebäudefassaden, im Dekonstruieren und Wiederzusammensetzen. Das Archiv für seine selbst fotografierten Vorlagen umfasst Gebäude aus vielen Ländern und Städten, denn „überall, wo ich unterwegs bin, sammle ich Fassaden.“

Auf diesen Fundus greift er zurück, wenn er die Fotografien je nach medialer Umsetzung am Computer bearbeitet und für den Druck in der Druckerei vorbereitet. „Gerade bei den dreidimensionalen Skulpturen muss ich die Arbeiten eigentlich auch dreidimensional vordenken. Ähnlich wie bei einem kleinen Papierfaltbogen muss ja alles so zueinander passen, dass es sich in der dreidimensionalen Welt auch wieder zusammenbauen lässt,“ beschreibt Marc Dittrich den Planungsvorgang.

Anschließend rückt er den Laserdrucken mit Rollmesser und Lineal zu Leibe und zerschneidet sie zu gleich breiten Bildstreifen. Seit 2012 arbeitet Marc Dittrich mit der Technik des Webens, um diese Bildstreifen zu neuen Gefügen zusammenzusetzen. Dafür legt er ein Raster an, in das die Bildstreifen eingearbeitet werden. Die Idee, dem Bild etwas Materielles zu geben und mittels Bildträger die äußere Erscheinung zu prägen, wird auf diese Weise deutlich: „Die Körnung bei der Fotografie nimmt man vielleicht gar nicht so wahr, aber durch das Weben wird die Papierstärke durch den Versatz, der dabei entsteht, deutlich, denn ich bekomme beim Weben das Papier ja nie so ganz Stoß an Stoß.“

In aktuellen Werken aus der Serie „Melt“ wird das Interesse des Künstlers an der Materialität auf besondere Weise sichtbar. Der Bildträger ist hier nicht mehr Papier, sondern eine Vivak-Folie, auf die das Motiv übertragen und mithilfe von Hitze verformt wird.

Alle Webarchitekturen, die so entstehen, sind dreidimensional. Sie sind objekthaft und selbst die flach gewebten Reliefs werden immer in Objektrahmen gerahmt. Abschließend wird Acrylbinder auf die Rückseite der Werke gestrichen, um ihnen eine gewisse Steifigkeit zu verleihen. „Bei manchen Arbeiten verändere ich auch die Farbe im Hintergrund. Die wird mit Sprühlack aufgetragen und hat einen Bezug zu der Farbe in den Fassaden. Das findet dann aber auf einer Ebene zwischen dem Gewobenen und dem Objektrahmen statt.“

Häufig wird Marc Dittrich gefragt, ob er eine dystopische Sicht auf die Welt habe, ob seine übereinandergelegten Raster, seine perspektivischen Verzerrungen oder seine eingeknickten Gebäude eine Untergangsstimmung wiedergeben. Doch das interessiert ihn nicht. Neben dem materiellen Aspekt interessiert ihn vielmehr „der Fluss, der nie abreißt. Aus der einen Arbeit entwickelt sich immer schon die nächste. Ich möchte in meinen Werken immer neue Sichtweisen entdecken und das hoffe ich natürlich auch für den Betrachter – dass ich ihn mit meinen Arbeiten überrasche.“

 

Bildserie mit geschmolzenen Arbeiten (Film):
Die Serie „Melt“ besteht aus größeren Arbeiten. Dabei wird das Motiv mittels Transferverfahren auf eine Vivak-Trägerschicht übertragen. Der Laserdruck wird abgelöst und das Papier weggewaschen. „Wenn das Motiv übertragen ist, bietet sich mir die Möglichkeit, das Material anschließend zu erhitzen und zu verformen.“ Dafür arbeitet Marc Dittrich mit einem Heißgebläse. Durch das Schmelzen kommt die Materialität zum Ausdruck: „Da gibt es viele schöne zufällige Effekte und Übertragungsfehler, da entstehen Brandblasen oder Löcher, aber ich kann das auch steuern … interessanterweise bleibt das Foto dahinter noch sichtbar.“

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