Ausstellung

Nordlichter

Landschaftsgemälde in der Fondation Beyeler

Die scheinbar unermesslichen Wälder, das strahlende Licht der im Sommer schier endlosen Tage, die langen Nächte im Winter und Naturphänomene wie das Nordlicht haben eine eigene moderne nordische Malerei hervorgebracht, die eine besondere Anziehungskraft und Faszination ausübt. Bis zum 25. Mai 2025 präsentiert die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel die thematische Ausstellung „Nordlichter“: Im Fokus stehen rund 70 Landschaftsgemälde von Künstlerinnen und Künstlern aus den nordischen Ländern und Kanada, die zwischen 1880 und 1930 entstanden sind, darunter beeindruckende Werke von Hilma af Klint und Edvard Munch. Sie alle verbindet die Natur des Nordens, insbesondere der boreale Wald, als eine gemeinsame Inspirationsquelle.

Akseli Gallen-Kallela, Frühlingsnacht, 1914, Öl auf Leinwand, 115,5 x 115,6 cm Lillehammer Art Museum, Depositum von The Savings Bank, Foundation DNB, Foto: Camilla Damgård

Akseli Gallen-Kallela, Frühlingsnacht, 1914, Öl auf Leinwand, 115,5 x 115,6 cm
Lillehammer Art Museum, Depositum von The Savings Bank, Foundation DNB, Foto: Camilla Damgård

Der boreale Wald, auch als Taiga oder Waldtaiga bekannt, ist der größte Urwald der Erde und trägt maßgeblich zu ihrem ökologischen Gleichgewicht bei. Geprägt von dichten Nadelwäldern, erstreckt er sich südlich und nördlich des Polarkreises über große Teile Skandinaviens, Finnlands, Russlands und Kanadas. Ihn zu erleben, ist überwältigend, allein schon wegen seiner unermesslichen Gleichförmigkeit und gewaltigen Ausdehnung. Auf fast allen Gemälden in der Ausstellung spielt der boreale Nadelwald eine dominierende Rolle. Nur Anna Boberg und, in seinen späteren Werken, Lawren S. Harris haben Landschaften nördlich der Baumgrenze in der Tundra oder sogar im ewigen Eis der Arktis gemalt.

Ein weiteres Element dieser intensiven Landschaft des Nordens ist das Wasser der unzähligen Seen und Fjorde, die auf den Gemälden oft ein horizontales Gegengewicht zu den senkrechten Bäumen des Waldes bilden und den Wind sichtbar machen, der die Wasseroberfläche fortwährend verändert. Neben dem Schnee, der das Erscheinungsbild der Landschaft von Ende Oktober bis in den April bestimmt, ist das Licht ein weiteres wiederkehrendes Motiv: die mystischen Polarlichter, die in leuchtenden Farben den Himmel erhellen, die klaren Sommertage, an denen es nie ganz dunkel wird, die Mittsommersonne und im Winter die Dunkelheit der endlos langen Nächte. Diese Naturphänomene nahmen die Künstler und Künstlerinnen nicht nur als Motive wahr, sondern auch als lebendige Kraft, die ihr Schaffen maßgeblich beeinflusste. So hielten sie nicht lediglich das Gesehene in ihren Werken fest, sondern verliehen auch emotionalen Erlebnissen Gestalt in Bildern, die die Betrachtenden in die Weiten des borealen Waldes entführen und zum Nachdenken über die Beziehung zwischen Mensch und Natur anregen.

Anna Boberg, Nordlichter. Studie aus Nordnorwegen, undatiert, Öl auf Leinwand. 97 x 75 cm Nationalmuseum, Stockholm, Vermächtnis 1946, Ferdinand und Anna Boberg, Foto: Anna Danielsson/Nationalmuseum

Anna Boberg, Nordlichter. Studie aus Nordnorwegen, undatiert, Öl auf Leinwand. 97 x 75 cm
Nationalmuseum, Stockholm, Vermächtnis 1946, Ferdinand und Anna Boberg, Foto: Anna Danielsson/Nationalmuseum

Die einzigartige Atmosphäre des Nordens, geprägt von extremen klimatischen Bedingungen, hat Künstler*innen schon seit Jahrhunderten fasziniert und inspiriert. Im Norden entwickelte eine junge Generation von Malerinnen und Malern neue Strategien zur bildlichen Darstellung der Natur. Was die Künstler und Künstlerinnen in dieser Ausstellung verbindet, ist die Intensität ihrer Malweise, die der Intensität der Natur zu entsprechen scheint. Durch eine leuchtende Farbgebung, eine expressive Pinselführung, unkonventionelle kompositorische und perspektivische Verzerrungen, den Einsatz eines psychologischen Elements und manchmal auch die schiere Größe ihrer Werke versuchten sie, die jahreszeitlich bedingten Extreme des natürlichen Lichts und die gewaltigen Ausmaße der nördlichen Wildnis visuell einzufangen. Die Ausstellung folgt keiner besonderen Chronologie: Die Räume sind den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern gewidmet und der Art und Weise, wie sie sich der Natur näherten und sie in eine Landschaft verwandelten, zu ihrem persönlichen Bild von Natur.

Tom Thomson, Nordlichter, 1916 oder 1917, Öl auf Holz, 21,5 x 26,7 cm National Gallery of Canada, Ottawa, Vermächtnis, Dr. J.M. MacCallum, Toronto, 1944, Foto: NGC

Tom Thomson, Nordlichter, 1916 oder 1917, Öl auf Holz, 21,5 x 26,7 cm
National Gallery of Canada, Ottawa, Vermächtnis, Dr. J.M. MacCallum, Toronto, 1944, Foto: NGC

Von den Künstler*innen in der Ausstellung genießen ausschließlich der Norweger Edvard Munch, der Finne Akseli Gallen-Kallela sowie die Schwedin Hilma af Klint weltweite Bekanntheit. Daneben versammelt „Nordlichter“ eine Gruppe von Malern und Malerinnen, die in ihren Heimatländern zwar in hohem Ansehen stehen, doch zugleich eine stärkere internationale Rezeption verdient hätten, darunter die Finnin Helmi Biese, der Norweger Harald Sohlberg, die aus Schweden stammenden Gustaf Fjæstad, Anna Boberg und Prinz Eugen sowie die Kanadier*innen Emily Carr, Lawren S. Harris und Tom Thomson. Die Maler*innen des Nordens bezogen ihre Impulse sowohl aus den unterschiedlichen überlieferten Bildtraditionen als auch aus den zu jener Zeit von Kontinentaleuropa ausgehenden avantgardistischen Strömungen. Einflussreiche Künstler der Moderne wie Vincent van Gogh, Claude Monet, Paul Cézanne und Henri Matisse prägten auch die moderne Landschaftsmalerei des Nordens und eröffneten neue Perspektiven auf Farbe, Licht und Form. Während die nordischen Maler und Malerinnen diese Ideen aufgriffen, interpretierten sie sie jedoch auf ihre eigene, unverwechselbare Weise. Sie entwickelten eine spezifisch nordische Moderne, die keinen Stil darstellt, sondern vielmehr ein Ethos verkörpert, das die unwirtliche Natur in all ihrer Erhabenheit und ihren Feinheiten feiert.

Helmi Biese, Blick von Pyynikki-Grat, 1900, Öl auf Leinwand, 91 x 115 cm Finnische Nationalgalerie, Ateneum Kunstmuseum, Sammlung Hoving, Foto: Finnische Nationalgalerie / Aleks Talve

Helmi Biese, Blick von Pyynikki-Grat, 1900, Öl auf Leinwand, 91 x 115 cm
Finnische Nationalgalerie, Ateneum Kunstmuseum, Sammlung Hoving, Foto: Finnische Nationalgalerie / Aleks Talve

In der Zeitspanne von 1870 bis 1920 erlebte die nordische Malerei eine künstlerische Blütezeit. Das Aufkommen der Moderne zeichnete sich durch den Drang nach Freiheit, Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit aus, weshalb die Künstler*innen neue Pfade beschritten. Eines der wichtigsten Elemente vor allem der finnischen und schwedischen Malerei scheint der Blick von oben zu sein: panoramaartige Landschaften, bei denen man den Eindruck hat, eine Drohne sei beim Malen benutzt worden. Helmi Biese, aber auch Akseli Gallen-Kallela, Anna Boberg oder Prinz Eugen haben bevorzugt diese Perspektive gewählt, als hätten sie damit anzeigen wollen, dass sie die Natur in ihrer Kunst nicht nur nachgeahmt, sondern selbst hervorgebracht haben.

Edvard Munch, Zugrauch, 1900, Öl auf Leinwand, 84,5 x 109 cm, Munchmuseet, Oslo Foto: Munchmuseet / Halvor Bjørngård

Edvard Munch, Zugrauch, 1900, Öl auf Leinwand, 84,5 x 109 cm
Munchmuseet, Oslo Foto: Munchmuseet / Halvor Bjørngård

Es ist auffällig, dass in den ausgestellten Landschaften oft eine Natur zu sehen ist, in der der Mensch nur ganz am Rande vorkommt. Und doch sind Menschen indirekt präsent: beispielsweise in den Seelenlandschaften Edvard Munchs, in den von ihm gemalten Schatten oder dem sich verflüchtigenden Rauch der Eisenbahn. Beim panoramaartigen Detailblick von Gustaf Fjæstad sind es die Fußspuren im Schnee, die davon zeugen, wie vergänglich die Menschen nach dem Maßstab der ewigen Natur sind. Womöglich hat die Absenz des Menschen auch damit zu tun, dass die Malerinnen und Maler des Nordens von der Idee geleitet waren, in ihren Gemälden ein verklärendes Sehnsuchtsklischee einer Utopie der unberührten Natur zu beschwören.

Lawren S. Harris, Lake Superior, um 1923, Öl auf Leinwand, 111,8 x 126,9 cm The Thomson Collection in der Art Gallery of Ontario, © Family of Lawren S. Harris, Foto: AGO

Lawren S. Harris, Lake Superior, um 1923, Öl auf Leinwand, 111,8 x 126,9 cm
The Thomson Collection in der Art Gallery of Ontario, © Family of Lawren S. Harris, Foto: AGO

Das Buffalo AKG Art Museum spielte für die Geschichte der nordischen Moderne in Kanada eine herausragende Rolle. 1913 zeigte das Museum die wegweisende Ausstellung „Contemporary Scandinavian Art“, die auch in anderen nordamerikanischen Städten Station machte. Erstmals waren in Nordamerika Werke zeitgenössischer skandinavischer Künstler*innen in einer großen Gruppenausstellung zu sehen. Zu den Besucher*innen der Ausstellung zählten die kanadischen Maler Lawren S. Harris und J. E. H. MacDonald, deren Gemälde auch im Rahmen dieser Ausstellung gezeigt werden. Ihre in Buffalo gewonnenen Eindrücke der skandinavischen Malerei sollten die ein paar Jahre später von ihnen mitgegründete „Group of Seven“ – eine Künstlergruppe, die in Kanada der modernen Malerei den Weg ebnete – nachhaltig beeinflussen.

Emily Carr, Abstrakte Baumformen, 1931/32, Öl auf Papier, 61,1 x 91,1 cm Sammlung der Vancouver Art Gallery, Emily Carr Trust, Foto: Vancouver Art Gallery

Emily Carr, Abstrakte Baumformen, 1931/32, Öl auf Papier, 61,1 x 91,1 cm
Sammlung der Vancouver Art Gallery, Emily Carr Trust, Foto: Vancouver Art Gallery

Der in den Blick genommene Zeitraum umfasst nicht nur die kulturhistorische Epoche der Moderne, in der systematisch bestehende Traditionen infrage gestellt wurden. Geopolitisch betrachtet, formierten sich während dieser Periode im Norden neue Nationalstaaten, begleitet durch das intensive Ringen um eine jeweilige nationale Identität. Künstler*innen setzten ihre Heimat und deren Naturräume als Sinnbilder der nationalen Identität und des kulturellen Erbes in Szene. Die beeindruckenden Naturmotive wurden oft als Symbole für die nationale Seele und die Verbundenheit mit der eigenen Kultur interpretiert.

Hilma af Klint, Sonnenaufgang (vorbereitende Werke für Gruppe III), 1907, Öl auf Leinwand, 95 x 60 cm HaK 37, Courtesy of The Hilma af Klint Foundation

Hilma af Klint, Sonnenaufgang (vorbereitende Werke für Gruppe III), 1907, Öl auf Leinwand, 95 x 60 cm HaK 37, Courtesy of The Hilma af Klint Foundation
Courtesy of The Hilma af Klint Foundation

Mit „Nordlichter“ führt die Fondation Beyeler eine lange Tradition von Präsentationen der modernen Landschaftsmalerei fort, darunter die Ausstellungen zu Gustave Courbet, Ferdinand Hodler, Piet Mondrian, Claude Monet und Giovanni Segantini. Nun erweitert die Fondation Beyeler diese südlich und alpin geprägte Perspektive um eine nordische, in Erinnerung daran, dass sie 2007 die bis dahin größte Ausstellung von Edvard Munchs Werk außerhalb Norwegens ausrichtete. Gezeigt werden Landschaftsgemälde von Helmi Biese, Anna Boberg, Emily Carr, Prinz Eugen, Gustaf Fjæstad, Akseli Gallen-Kallela, Lawren S. Harris, Hilma af Klint, J. E. H. MacDonald, Edvard Munch, Iwan Schischkin, Harald Sohlberg und Tom Thomson. Viele dieser Künstlerinnen und Künstler sind in ihren Heimatländern berühmt, aber für die meisten Besuchenden hierzulande spannende Neuentdeckungen.


Auf einen Blick

Ausstellung
Bis 25. Mai 2025: Nordlichter

Öffnungszeiten
Montag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 20.00 Uhr

Katalog
Nordlichter
Ulf Küster für die Fondation Beyeler, Riehen / Basel (Hrsg.), mit Texten von Katerina Atanassova, Louise Bannwarth, Helga Christoffersen, Anna-Maria Pennonen, Angela Lampe, Ulf Küster, dt., Hardcover, 235 x 275 mm, Hatje Cantz, ISBN 9783775759144

Kontakt
Fondation Beyeler
Beyeler Museum AG
Baselstrasse 101
4125 Riehen/Basel
Tel. +41-61-6459700

info@fondationbeyeler.ch
www.fondationbeyeler.ch

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Profile

Das Stifterehepaar Ernst und Hildy Beyeler hatte eine klare Vorstellung: Die Fondation Beyeler sollte ein offenes und lebendiges Museum werden, das ein breites Publikum für die Kunst begeistern kann, ein Museum, das neben kultureller Bildung auch zwischenmenschliche Begegnungen fördert. Daher gründeten die Stifter 1982 die Beyeler Stiftung und eröffneten 1997 die Fondation Beyeler in ihrem Wohnort Riehen bei Basel nach der Schenkung ihrer wertvollen Kunstsammlung. Heute gilt die Fondation Beyeler als eines der meistbesuchten Kunstmuseen der Schweiz. Es ist 365 Tage im Jahr geöffnet, hat sich mit seinen Ausstellungen renommierter Künstler des 19., 20. und 21. Jahrhunderts internationale Anerkennung erworben. Das Museum liegt in einem englischen Park mit historischer Villa, altem Baumbestand und Seerosenteichen. Der vom vielfach ausgezeichneten Architekten Renzo Piano entworfene Museumsbau fügt sich elegant in die Kulturlandschaft und die großzügigen Räume präsentieren die Kunst im schönsten natürlichen Licht. Kürzlich erwarb die Beyeler-Stiftung den angrenzenden Iselin-Weber-Park, um mit dem Schweizer Architekten Peter Zumthor einen Erweiterungsbau zu realisieren.

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