Ausstellung

Märchenwelt mit starken Frauen

Kiki Smith im Arp Museum Bahnhof Rolandseck

In ihren Werken entwirft Kiki Smith einen Kosmos, der universal und persönlich zugleich anmutet. Dort bilden Sonne, Mond und Sterne ein harmonisches Bündnis mit Menschen, Tieren und Pflanzen. Eine Ausstellung im Arp Museum Bahnhof Rolandseck präsentiert jetzt mehr als 50 Werke der Künstlerin.

„Das Weben von Stoffen ist eine uralte Technik, deren Ausübung mit einem unglaublichen Reichtum an Inspiration und Anwendungsbereichen verbunden ist. Viele Kulturen weben ihre Geschichte in ihre Stoffe ein.“ Kiki Smith

Julia Wallner, seit 2022 Direktorin des in Remagen beheimateten Arp Museums, hat einen guten Riecher für Trends. Textilkunst beispielsweise ist momentan en vogue wie selten. Nicht nur bei der aktuellen Biennale von Venedig erlebt die traditionelle Technik eine Renaissance. Fachzeitschriften widmen dem Sticken, Weben, Knüpfen und Nähen, meist verstanden als feministische Strategie, ganze Specials. Und diverse Ausstellungen finden ihren Stoff im Stofflichen. Vergleichbar angesagt, und das seit Jahren, sind Präsentationen, bei denen Künstlerinnen die Oberhand haben – oder gar ein Monopol. Das Arp Museum selbst kürte kürzlich herausragende Malerinnen aus vier Jahrhunderten zu „Maestras“. Im Moment betont die dortige Themenschau „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ die bislang unterschätzte Bedeutung der Dadaistinnen.

Kiki Smith im Atelier © Pace Gallery

Kiki Smith im Atelier
© Pace Gallery

Mit Kiki Smith, Vorzeigekünstlerin der feministischen Kunstgeschichte und Schöpferin von Tapisserien, die von mittelalterlichen Vorbildern inspiriert sind, schlägt Julia Wallner zwei Fliegen mit einer Klappe. Neun Wandteppiche stehen im Zentrum der Ausstellung, die nach der Premiere in Remagen nach Podgorica, Hauptstadt von Montenegro, und ins schwedische Malmö wandert. Skulpturen, Zeichnungen, Druckgrafiken und Fotografien runden die Werkübersicht der in New York lebenden Künstlerin ab.

Inspiriert von der Apokalypse

Doch bleibt das Auge beim Rundgang immer wieder auf den wandhohen Tapisserien haften. Entstanden 2011 bis 2017, geht die Inspiration zu diesem Zyklus, den eine elektronische Jacquardmaschine gewebt hat, auf ein Erlebnis im Jahr 1976 zurück: Damals besuchte Kiki Smith das Schloss von Angers in Frankreich, um den spätmittelalterlichen Tapisserie-Zyklus der Apokalypse zu sehen. Ursprünglich mehr als 140 Meter lang, gebührt den um 1380 geschaffenen Szenen aus der Offenbarung des Johannes als textiles Gesamtkunstwerk ein Ehrenplatz im Guinness-Buch der Rekorde.

Kiki Smith: Sky, Jacquard-Tapisserie, 2012 © Pace Gallery, Foto: Magnolia Editions, Oakland, CA

Kiki Smith: Sky, Jacquard-Tapisserie, 2012
© Pace Gallery, Foto: Magnolia Editions, Oakland, CA

„Ich glaube immer noch, dass ich bis heute nichts gesehen habe, das mich derart berührt hat“, erinnert sich die Künstlerin. „Die bloße Körperlichkeit und Größe der Tapisserien waren buchstäblich überwältigend.“ Apokalyptische Züge sucht man freilich vergeblich in den kostbar wirkenden Jacquard-Tapisserien von Kiki Smith. Ihre poetischen Baumwollbilder, oft mit Blattgold oder Silberfäden veredelt, malen keine Katastrophen, Kriege und Plagen an die Wand. Vielmehr geben bei dieser Offenbarung idyllische Züge den Ton an. Der Ariadnefaden, den Kiki Smith auslegt, führt durch eine Märchenwelt, die alle Sphären durchdringt – vom Meeresgrund bis zum lichten Firmament.

Tierpark im Museum

Kiki Smith: Butterfly, Collage, 2000 © Pace Gallery

Kiki Smith: Butterfly, Collage, 2000
© Pace Gallery

Eine mädchenhafte nackte Frau, wohl eine Anspielung auf Eva im paradiesischen Urzustand, dominiert als Leitfigur mehrere Szenen. Wer sich in die detailreichen, liebevoll gestalteten Tapisserien vertieft, entdeckt außerdem Schmetterlinge, Eulen, Tauben, Adler, Rehe, Wölfe und Schlangen. Ein Tierpark im Museum.

Kiki Smith: Spinners, Detail, Jacquard-Tapisserie, 2014 © Pace Gallery, Foto: Magnolia Editions, Oakland, CA

Kiki Smith: Spinners, Detail, Jacquard-Tapisserie, 2014
© Pace Gallery, Foto: Magnolia Editions, Oakland, CA

Damit nicht genug: Spinnennetze und Seidenspinner beziehen sich direkt auf die Webtechnik. Knapp 18 000 Kettfäden sind am Aufbau und der Oberfläche einer jeden Tapisserie beteiligt, liest man im Katalog. Ihre komplexen Kunstwerke bereitet Kiki Smith durch Drucke, Zeichnungen und Collagen vor – weil diese Entwürfe im Arp Museum Seite an Seite mit den Tapisserien zu sehen sind, erhält der Besucher einen vorzüglichen Einblick in den Entstehungsprozess der Teppiche.

Kiki Smith: Guide, Zeichnung, 2012 © Pace Gallery, Foto: Kerry Ryan McFate

Kiki Smith: Guide, Zeichnung, 2012
© Pace Gallery, Foto: Kerry Ryan McFate

Übrigens hat es Kiki Smith, anders als etliche Kunstschaffende der Textil-Fraktion, nie gereizt, selbst als Webmeisterin aktiv zu werden. Weshalb eigentlich nicht? „Weil ich dann immer noch an der ersten Tapisserie arbeiten würde“, wie sie im Katalog einräumt. „Es ist äußerst zeitintensiv. Ich weiß, dass es unter jungen Künstler*innen ein erstaunliches Wiederaufleben von Handweberei gibt, aber ich habe kein Interesse daran, selbst zu weben. Für mich kommen alle Bilder aus der Drucktechnik.“

Im Gleichklang mit der Natur

Kiki Smith: Woman with Wolf, Porzellanskulptur, 2003 © Pace Gallery

Kiki Smith: Woman with Wolf, Porzellanskulptur, 2003
© Pace Gallery

„Ich glaube immer, dass die gesamte Geschichte der Welt deinem Körper eingeschrieben ist.“ Kiki Smith

Die „Individuellen Mythologien“, die Harald Szeemann 1972 bei der documenta als zentrale Kategorie der zeitgenössischen Kunst ins Bewusstsein rückte, sie liefern auch einen Schlüssel zum Verständnis der Werke von Kiki Smith. Im Vordergrund ihrer „Individuellen Mythologie“ steht die Einheit mit der Natur. Frei nach Schiller: Alle Menschen (und Tiere) werden Brüder (und Schwestern), wo dein sanfter Flügel weilt. Der „schöne Götterfunken“, wie der Dichter die Freude umschrieb, ist bei Smith die Kunst.

Kiki Smith: Sky, Zeichnung, 2011

Kiki Smith: Sky, Zeichnung, 2011
© Pace Gallery, Foto: Kerry Ryan McFate

„Ich mache nur Dinge, die mit mir selbst in Einklang sind. Als Künstlerin mache ich einfach das, was mich antreibt.“ Kiki Smith

„Es begann damit“, so die Künstlerin, „dass es bei den ersten drei Tapisserien, Earth, Sky und Underground, darum ging, eine Verbindung zwischen gotischer Kunst, Art déco und meinem Hippie-Bewusstsein zu schaffen. Danach nahm mein Lebensweg die Regie in die Hand und ich habe viel mehr Zeit damit verbracht, die Natur zu zeichnen, in der ich lebe.“

Kiki Smith: Eagle in the Pines, Bronze, 2016 © Pace Gallery

Kiki Smith: Eagle in the Pines, Bronze, 2016
© Pace Gallery

Stichwort Natur: Ihr entstammen Adler und Wölfe, die im malerischen und skulpturalen Œuvre von Kiki Smith derart viel Raum einnehmen, dass man sie als Wappentiere des Schaffens bezeichnen mag. Ähnlich wie Joseph Beuys in seiner legendären Performance I Like America and America Likes Me die Symbiose mit einem Kojoten suchte, bringt Kiki Smith Wolf und Mensch zusammen. In ihrer Radierung Wolf Girl verschmelzen beide sogar.

Die auf dem Wolf reitet

Kiki Smith: Cathedral Layout, Zeichnung, 2012 © Pace Gallery

Kiki Smith: Cathedral Layout, Zeichnung, 2012
© Pace Gallery

„Was mir an meiner Arbeit am besten gefällt, ist, zu sehen, wie sich die Bilder gleich einer Verwandlung von einer Form zur anderen verändern.“ Kiki Smith

Bei der Tapisserie Cathedral scheint ein Wolf vor einem turmartigen Bauwerk Wache zu stehen. Beinahe anekdotisch, zugleich rätselhaft tritt uns eine kleine Woman with Wolf aus Porzellan entgegen. Hier hat der auf zwei Beinen aufrechtstehende Wolf seine Begleiterin Huckepack genommen. Besonders eindrucksvoll, aber auch irritierend nimmt die Allianz in der 2001 entstandenen Bronzegruppe Rapture Gestalt an: Eine lebensgroße Aktfigur entsteigt dem Bauch eines erstarrten Wolfs. Als leblose Hülle, die Beine von sich gestreckt, liegt er auf dem Rücken. Es ist, als habe sich das Tier einer Raupe gleich gehäutet, damit ihm schmetterlingsgleich ein Mensch entschlüpft. Metamorphosen, sie sind die eigentliche Triebfeder der Kunst von Kiki Smith. Einer Kunst, in der alles lebt und webt.

Kiki Smith: Hoarfrost, Silber, 2014 © Pace Gallery
Kiki Smith: Hoarfrost, Silber, 2014 © Pace Gallery
Kiki Smith: Shadow 3, Bronze, 2019 © Pace Gallery, Foto: Jonathan Nesteruk
Kiki Smith: Shadow 3, Bronze, 2019 © Pace Gallery, Foto: Jonathan Nesteruk
Kiki Smith: Hoarfrost, Silber, 2014 © Pace Gallery
Kiki Smith: Hoarfrost, Silber, 2014 © Pace Gallery
Kiki Smith: Shadow 3, Bronze, 2019 © Pace Gallery, Foto: Jonathan Nesteruk
Kiki Smith: Shadow 3, Bronze, 2019 © Pace Gallery, Foto: Jonathan Nesteruk

Ausstellung
Kiki Smith. Verwobene Welten

Laufzeit
Bis 20. Oktober 2024
Vom 21. November 2024 bis 21. Februar 2025 im Museum of Contemporary Art Montenegro, Podgorica.
Vom 12. April bis 28. September 2025 im Moderna Museet Malmö, Schweden.

Ort
Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Hans-Arp-Allee 1, 53424 Remagen

Katalog
Der Katalog, herausgegeben von Julia Wallner und Jutta Mattern, ist im Kölner Wienand Verlag erschienen (176 Seiten, ISBN 9783868327991)

Website zur Ausstellung
https://arpmuseum.org/

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Profile

Mit Kunst kam Kiki Smith früh in Berührung. Die Deutsch-Amerikanerin, geboren 1954 in Nürnberg, ist die Tochter des Bildhauers Tony Smith. Sie wuchs in South Orange, New Jersey, auf und ging ihrem Vater schon als Jugendliche bei der Vorbereitung seiner Skulpturen zur Hand. Ende der 1970er-Jahren zog es Kiki Smith nach New York City. Dort schloss sie sich dem Künstlerkollektiv „Colab“ an – dessen gesellschaftskritischer Ansatz prägte das künstlerische Schaffen von Smith. Aus feministischer Perspektive setzt sich ihre Kunst mit grundlegenden Aspekten des Daseins auseinander – Sexualität, Geburt und Tod spielen ebenso eine wichtige Rolle wie Natur und Kosmos.

Kiki Smith war 1997 an der documenta 10 in Kassel beteiligt, zeigte ihre Werke auf fünf Venedig-Biennalen und kann auf zahlreiche Einzelausstellungen zurückblicken – darunter Soloshows im New Yorker Museum of Modern Art, der Fundació Joan Miró in Barcelona und im Haus der Kunst in München. Sie ist Mitglied der American Academy of Arts and Letters sowie der American Academy of Arts and Sciences.

[Foto: David Ertel]

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