Ausstellung

In der Schwebe

Muntean/Rosenblum im Städel Museum

In ihrem vornehmlich malerischen Œuvre sind ihre künstlerischen Identitäten eindrucksvoll zu einer einzigen künstlerischen Handschrift verbunden: Markus Muntean (*1962) und Adi Rosenblum (*1962) arbeiten seit den 1990er-Jahren zusammen. Das Städel Museum präsentiert in der Sammlung Gegenwartskunst bis zum 1. Dezember 2024 die Einzelausstellung des Künstlerduos „Muntean/Rosenblum. Mirror of Thoughts“ mit einer Videoarbeit und elf großformatigen Werken, deren Schauplätze Orte des Transits sind: Einkaufszentren, Flughafenhallen, Hotels oder Büros. Vertieft in ihre eigenen Gedanken blicken die jugendlichen Protagonisten konzentriert auf Smartphones oder in die Ferne, sind in Bewegung oder schauen die Betrachter gelangweilt bis genervt an.

Muntean/Rosenblums Arbeiten bewegen sich zwischen den Einflüssen vergangener Kunstepochen und popkulturellen Phänomenen der Gegenwart. Während ihre Kompositionen fest im Bildgedächtnis der Kunstgeschichte verankert sind und sich auf berühmte Meisterwerke von der Renaissance bis zur Moderne beziehen, sind ihre Figuren voll und ganz in der Jetztzeit verortet. Sie entstammen einem über die Jahre angelegten Bildarchiv, das sich aus gefundenen Fotografien in Lifestyle-Magazinen, dem Internet oder aus eigenen Fotoshootings speist. Basierend auf diesem reichen Bilderfundus entwirft das Künstlerduo mit den Mitteln der Malerei eigentümliche Szenerien: Inmitten von anonymen Großstadtkulissen wirken die dramatisch arrangierten jungen Menschen wie isolierte Statisten in einem zeitgenössischen Schauspiel. In ihrer Komposition fremd und gleichzeitig vertraut, vermitteln die Gemälde eine Atmosphäre von Lethargie und Gleichgültigkeit. Es ist ein schmerzvoller, aber auch befreiender Moment, der den Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter markiert – ein Schwebezustand. Wie unter einem Brennglas nähern sich Muntean/Rosenblum zentralen Themen unserer Zeit: den Ambivalenzen der menschlichen Existenz, der wachsenden Unsicherheit des Individuums und dem durchdringenden Gefühl der Vergänglichkeit. „Mit ihrer Verklammerung von Vergangenheit und Gegenwart fügen sich die Arbeiten des Künstlerduos Muntean/Rosenblum auf beste Weise in die mehr als 700 Jahre Kunst umfassende Sammlung des Städel Museums ein“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel. „Als Bildermuseum legen wir mit regelmäßig wechselnden Ausstellungen in der Sammlung Gegenwartskunst den Fokus auf malerische Positionen und verfolgen somit epochenübergreifend, wie sich die Malerei ausbreitet, neu definiert und ungeahnte Wege beschreitet. Muntean/Rosenblum stehen mit ihrer Kunst für diese Grenz- und Gratwanderung der Malerei in der zeitgenössischen Kunst: Aus Fotografien schöpfend entwerfen sie surreale, collagierte Gemälde an der Schnittstelle zwischen Konzeptkunst und figurativer Genremalerei.“

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“Knowledge would not necessarily…”) 2023 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 195 x 293 cm Jorge M. Pérez Collection, Miami © Muntean/Rosenblum Foto: © Sandro E.E. Zanzinger Photographie 2023

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“Knowledge would not necessarily…”) 2023 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 195 x 293 cm Jorge M. Pérez Collection, Miami
© Muntean/Rosenblum Foto: © Sandro E.E. Zanzinger Photographie 2023

Svenja Grosser, Leiterin der Sammlung Gegenwartskunst und Kuratorin der Ausstellung, ergänzt: „Nicht-Orte untermauern das Werkprinzip von Muntean/Rosenblum, das sich vor allen Dingen mit den Möglichkeiten der figurativen Malerei beschäftigt. Bereits mit der Entscheidung des Künstlerpaars, ihre Motive aus einem Archiv zu beziehen und ihre jeweiligen Identitäten zugunsten einer gemeinsamen Handschrift aufzugeben, stellen sie die Malerei vor eine Herausforderung: die der fehlenden Autorschaft. Das Konzept der Nicht-Orte ist die konsequente Weiterführung dieser Überlegungen. Indem Muntean/Rosenblum ihren Werken eine thematische Aussage mit größter Sorgfalt entziehen, wird der Betrachter in seiner eigenen Wahrnehmung herausgefordert: Was möchte er sehen? Wie interpretiert er die Szenerie? Was ist real und was nicht? Innerhalb dieses Spannungsverhältnisses, dieser Pole entfaltet sich das Kunstwerk und ist damit womöglich sogar der Abstraktion näher als der Figuration.“

Die Bildwelten von Muntean/Rosenblum bewegen sich zwischen Realität und Illusion. Während die Szenerien ihrer Gemälde auf den ersten Blick stimmig erscheinen, verraten bestimmte Details, dass sie auf diese Weise nie stattgefunden haben können: Blicke und Handlungen der Dargestellten weichen unnatürlich voneinander ab, überschneiden sich und passen nicht in die wiedergegebene Situation. Dieser Effekt ergibt sich aus dem Werkprozess der Gemälde, bei dem zunächst Material aus dem Bildarchiv zu einer digitalen Collage zusammengefügt und im nächsten Schritt auf die Leinwand übertragen wird. Die beiden Künstler spannen die bis zu fast fünf Meter breiten Leinwände selten auf Keilrahmen, sondern befestigen sie direkt auf den Wänden. Der Bezug ihrer Kompositionen zu bedeutenden Werken der Kunstgeschichte ist mal mehr, mal weniger offensichtlich, etwa durch das Aufgreifen konkreter Motive oder durch dezente Anspielungen wie die Verwendung der Zentralperspektive als höchste Errungenschaft der neuzeitlichen Malerei. Muntean/Rosenblums Darstellungen sind nicht im Sinne eines Fotorealismus zu verstehen. Die Rahmung durch einen weißen Rand, ähnlich wie in einem Comic, hebt den Illusionismus der Malerei als „Fenster zur Welt“ zusätzlich auf. Im unteren Bildfeld der Gemälde eröffnen prägnante Zitate aus literarischen Werken von Schriftstellern wie Fjodor Dostojewski, Deborah Levy, Rebecca Solnit oder Virginia Woolf eine weitere, spannungsreiche Ebene, die allerdings keinen direkten Bezug zwischen Bild und Wort herstellt und folglich einen verlässlichen Interpretationsansatz versagt. Sie lädt stattdessen den Betrachter ein, den hier entstandenen Raum mit eigenen Gedanken und Assoziationen zu füllen und zu erweitern. Der Titel der Ausstellung im Städel Museum ist der Arbeit Untitled („The  earth  is  literally  a  mirror …”) (2018) entnommen. Es ist ein Zitat aus Saul Bellows 1970 veröffentlichtem Roman „Mr. Sammler’s Planet”: „The earth is literally a mirror of thoughts. Objects themselves are embodied thoughts. Death is the dark backing that a mirror needs if we are to see anything.“

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“What lies ahead …”) 2023 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 157 x 189 cm Courtesy of the artists © Muntean/Rosenblum Foto: © Sandro E.E. Zanzinger Photographie 2023

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“What lies ahead …”) 2023 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 157 x 189 cm Courtesy of the artists
© Muntean/Rosenblum Foto: © Sandro E.E. Zanzinger Photographie 2023

Die Transitorte, wie sie sich in den Werken der Ausstellung „Mirror of Thoughts” zeigen, werden auch als Nicht-Orte bezeichnet. Nach dem französischen Anthropologen Marc Augé weisen sie weder eine eigene Identität noch eine bestimmte Geschichte oder Relation auf. Ihnen wohnt eine bestimmte Ambivalenz inne, die im Konzept der Werke widerhallt. Menschen, die sich in Flughäfen, Wartehallen, U-Bahnhöfen, Hotels oder Büros aufhalten, gehen dort z. B. mit dem Kauf eines Flugtickets einen Vertrag ein. Sie verlieren ihren Status als Individuum und werden zum Gast, Passagier oder Kunden. Auch die jungen Menschen in Muntean/Rosenblums Gemälden haben keine Identität. Sie wurde im Werkprozess ausgelöscht: Ihrer ursprünglichen Aufgabe enthoben, wird ihnen auch im neuen Bildkontext keine neue Handlung zugewiesen. So passt beispielsweise die Körperhaltung der zentralen Figur in Untitled („What lies ahead …“) (2023) nicht in die Situation am Flughafen. Unscheinbare Details in den Gemälden weisen auf eine Transformation vom individuellen Subjekt zum reinen Objekt in den Werken von Muntean/Rosenblum hin. Das Notausgangsschild in Untitled („To hope is dangerous …“) (2023) etwa richtet sich an jede sehende Person und der Geldautomat in Untitled („It’s the tragedy of …“) (2016) kommuniziert ebenfalls mit jedem gleichermaßen. Wie sehr eine daraus resultierende Anonymität mit Einsamkeit verbunden sein kann, zeigt eine rätselhafte Hotelszene im Werk Untitled  („To  go wrong …“) (2010). Obwohl sich die beiden Figuren in einem privaten Raum befinden, wird keinerlei persönliche Beziehung zwischen ihnen ersichtlich. Mit dem Großraumbüro in Untitled („Nothing fixes a thing …“) (2010) gibt das Künstlerduo der Objektivierung des Menschen, der hier zu einem Angestellten ohne Persönlichkeit wird, die passende Bühne.

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“It's the tragedy of...”) 2016 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 141 x 194 cm Schuitemaker Collection Courtesy Galerie Ron Mandos, Amsterdam © Muntean/Rosenblum

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“It's the tragedy of...”) 2016 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 141 x 194 cm Schuitemaker Collection Courtesy Galerie Ron Mandos, Amsterdam
© Muntean/Rosenblum

Das Schaffen von Muntean/Rosenblum umfasst ebenso Performance und Videokunst. Der in der Ausstellung präsentierte Film This Is Not An Exit (2017, 3:13 Minuten) erzählt davon, wie viel Kraft und Anstrengung es kosten kann, eine eigene Identität zu entwickeln und zu gestalten. Auf einem verlassenen Gebäude mit moderner Architektur inszeniert das Künstlerduo zwei Parkour-Läufer, die zuweilen ernst und erschöpft wirken. Zu sehen sind sie in Pausensituationen oder kurz vor ihrer eigentlichen Tätigkeit, begleitet von einem eigens komponierten, repetitiven Soundtrack, der Fragmente aus Gertrude Steins Roman „The Making of Americans“ wiedergibt. Die 1925 erschienene Erzählung thematisiert die Geschichte und Entwicklung US-amerikanischer Familien sowie einzelner Persönlichkeiten und macht deutlich, dass die Identität eines Menschen nicht nur von seinen individuellen Eigenschaften abhängt, sondern auch von den Beziehungen und Verbindungen, die er zu anderen Menschen unterhält.

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“To hope is dangerous…”) 2023 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 158 x 189 cm Courtesy of the artists © Muntean/Rosenblum Foto: © Sandro E.E. Zanzinger Photographie 2023

Muntean/Rosenblum (beide *1962) Untitled (“To hope is dangerous…”) 2023 Öl, Pastellkreide auf Leinwand 158 x 189 cm Courtesy of the artists
© Muntean/Rosenblum Foto: © Sandro E.E. Zanzinger Photographie 2023


Muntean/Rosenblum Markus Muntean (*1962 in Graz, Österreich) und Adi Rosenblum (*1962 in Haifa, Israel) arbeiten seit 1992 zusammen und leben in Wien. Ihre Werke wurden international in Einzelausstellungen präsentiert, u. a. in der Albertina, Wien, Österreich (2022); im MOCAK, Museum of Contemporary Art, Krakau, Polen (2018); im Museo de Arte Contemporaneo, A Coruna, Spanien (2018); im Parkview Museum, Peking, China (2017); in der Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig (2007) und im MUSAC, Museo de Arte Contemporaneo de Castilla y Leon, Leon, Spanien (2006). Das Künstlerduo ist in zahlreichen Sammlungen vertreten, darunter im MoMA, Museum of Modern Art, New York, USA; im MUSAC, Museo de Arte Contemporaneo de Castilla y Leon, Leon, Spanien; im MOCAK, Museum of Contemporary Art, Krakau, Polen; im Museum Kunstpalast, Düsseldorf; im Tel Aviv Museum of Art, Tel Aviv, Israel; im MUMOK, Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, im Belvedere 21er Haus, in der Albertina sowie im MAK, Wien, Österreich.


Ausstellung
Bis 1. Dezember 2024 Muntean/Rosenblum. Mirror of Thoughts.
https://www.staedelmuseum.de/de/muntean-rosenblum

Städel Museum
Schaumainkal 63,
60596 Frankfurt am Main

Besucherservice: +49-(0)69-605098-200
info@staedelmuseum.de

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