Constantin Brancusi im Centre Pompidou Paris
Wollte man die Wirkung dieser Werke auf einen Begriff bringen, kämen einem sicher schnell – die austarierten Volumen, die makellosen Oberflächen! – Begriffe wie ikonisch oder enigmatisch in den Sinn: Beschreibungen, die so wirkstark wie andererseits auch unspezifisch sind. Genau diese Ambivalenz ist typisch für Constantin Brancusi (1876–1957), den das Pariser Centre Pompidou nun mit einer großangelegten Retrospektive feiert. Ihm wurde es sicher nicht an der Wiege gesungen, einer der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts zu werden, ein Bauer in den Metropolen an der Seine und am Hudson, ein Einsiedler, ein Partyheld, ein ungemein gut vernetzter Profi, einer, der das Image seiner selbst und seiner Werke eifersüchtig kontrolliert: Dieser Mann ist schwer zu fassen.
Geboren wird Constantin Brâncuşi im ländlichen Rumänien, von wo ihn der Weg – angeblich, weil mittellos, zu Fuß – über Wien und München schließlich ins pulsierende Zentrum der Moderne führt, nach Paris. Dort verdient er zunächst, weiter der klassischen Künstlerlegende treu, seinen Lebensunterhalt als Geschirrspüler in einer Brasserie und im Nebenjob während der Ostersaison als Messdiener einer rumänisch-orthodoxen Kirche. Aus dergleichen Skurrilitäten schält sich aber doch bald eine erhebliche Zielstrebigkeit heraus: Nach der Stippvisite als Quereinsteiger an der Kunstakademie (1905–07) wird Brancusi (wie er sich bald der Einfachheit halber schreibt) zum Assistenten bei keinem Geringeren als Rodin. Nur um den berühmten Großmeister der modernen Plastik nach gerade mal vier Wochen wieder zu verlassen: „Es wächst nichts im Schatten großer Bäume“, so begründet der selbstbewusste junge Mann diesen überraschenden Schritt. Und wachsen, das will er! Er bezieht ein Atelier in Montparnasse, einem Stadtteil, dem er, in mehreren Umzügen, bis an sein Lebensende treu bleibt. In diese Zeit fallen die ersten Aufträge, so ein Grabstein mit der ersten Version eines zentralen Motivs: Der Kuss. Programmatisch radikal anders als des Übervaters Rodin schmelzende Ausdeutung dieses Themas, wählt Brancusi die blockhafte Vereinfachung.
Den raschen Weg des Künstlers von der Rodin-Schule zur radikalen Modernität markiert ein Paradigmenwechsel: Ging der Ältere noch von der Vorstellung aus, als Künstler dem Material seine Ausdrucksvorstellung aufzuzwingen, so ist es für Brancusi viel mehr das Material selbst, welches seine mögliche Gestalt dem Künstler suggeriert. „ Beim Bearbeiten des Steins entdecken wir den Geist des Materials, seine ureigene Natur. Die Hand denkt und folgt den Gedanken des Materials“, so zitiert der Pressetext der von Ariane Coulandre vom Musée National d’Arte Moderne kuratierten Schau. Vom Schöpfergott zum einfühlsamen Deuter, so könnte man das knapp umreißen.
Volkskunst und Aerodynamik
Brancusi bezieht sich gerne auf die volkstümliche Schnitzkunst seiner Heimat, auf die verzierten Türstöcke ihrer Bauernhäuser – auch noch in seinem größten Werk, der aus der Reihung von Modulen gebildeten Unendlichen Säule (1937/38) – sowie natürlich, im Paris des jungen 20. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit, auf afrikanische und ozeanische Kunst: So gut wie alle Künstler der Moderne geben sich in den ethnologischen Sammlungen die Klinke in die Hand. Nicht minder beeindruckend aber eine ganz andere Erfahrung: Beim gemeinsamen Besuch der Luftfahrtschau im Grand Palais 1912 mit Fernand Léger und Marcel Duchamp ruft Brancusi vor einem Propeller überwältigt aus: „Das ist eine Skulptur!“ Duchamp setzt nach: „Wer kann etwas Besseres machen als diesen Propeller? Kannst du es etwa?“ (Übers. aller Zitate: Dieter Begemann). Ja, das war die Frage … Jedenfalls grübelt Léger fortan über Möglichkeiten, die Kunst zu maschinenhafter Schönheit zu bringen, während Duchamp die Malerei gleich ganz aufgibt. Brancusi aber ist enthusiastisch angesichts der aerodynamischen Inspiration. Deren perfekte industrielle Form verdankt ihre Qualität ganz offenbar der Konzentration auf das absolut Wesentliche, unter strenger Beachtung der Regeln der Effizienz. Die Übertragung dieser Prinzipien auf die Kunst ist möglich. Noch einmal die Schlafende Muse: Halsansatz und Schulter fallen weg, der Kopf ist ein nahezu vollkommenes Oval, die eleganten Bögen der Brauen und die Linien der Nase setzen Akzente durch feine Lichtkanten. Die Haare sind nur angedeutet; die geschlossenen Augen ermöglichen die träumerische Einfühlung seitens des Betrachters. Und noch etwas ist hier neu: Hatte man bei Bronzen seit Ewigkeiten die mehr oder weniger dunkle Patinierung bevorzugt, lässt Brancusi das Metall in der ganzen Schönheit seines warmen Glanzes prangen: Das verleiht der Plastik tatsächlich etwas von der makellosen Glätte eines Maschinenteils, andererseits aber beschwört er so die Üppigkeit eines Schmuckstücks. So oder so, das Objekt wird kostbar. Voraussetzung dieses Verfahrens, das Brancusi seine ganze künstlerische Laufbahn begleiten sollte, ist eine auf die Spitze getriebene Perfektion von Linien und Oberflächen am Modell vor dem Guss und eine anschließende, aufwendige Nacharbeit. Mit polierter Bronze, das sei hier nur nebenbei erwähnt, experimentieren noch andere Bildhauer, zumal in den 1920ern; auch hier steht die Begeisterung für das Mechanische Pate.
Stilisierung und Inszenierung
Wohl nirgendwo kommen bei Brancusi künstlerische Technik und Motiv, Technizismus und Kostbarkeit so schlagend zusammen wie beim L’Oiseau dans l’espace. Man ahnt die Schönheit des Propellers – gleichzeitig lässt der Künstler die Volkserzählungen seiner Heimat anklingen, dort spielt ein goldener Vogel namens Maiastra eine wichtige Rolle. „Es ist nicht der tatsächliche Vogel, den ich porträtieren wollte, sondern die Gabe des Fliegens, das Abheben, den Schwung.“ Dieses Aufsteigen ist auf Spiritualität aus. Die Perfektion kommt nicht von ungefähr: Über gut drei Jahrzehnte beschäftigt sich der Bildhauer mit dem genial stilisierten Vogelmotiv, mehr als dreißig Variationen entstehen in Bronze, Marmor und Gips. Apropos Gips: Das Arbeiten mit diesem Werkstoff – Anrühren, Abschleifen, Polieren –überzieht mit der Zeit die ganze Umgebung mit einem feinen weißen Schleier – die (unvermeidliche) Weiße im Atelier aber steigert Brancusi noch durch Wandbehandlung und Lichtführung, sodass Besucher das Gefühl bekommen, von Helligkeit förmlich erschlagen zu werden. Das Studio ist in dieser sorgfältigen Inszenierung – der Künstler mit weißem Bart und stets weißer Bluse – nicht nur Lokation, sondern zugleich Emotion. Folgerichtig verfügt Brancusi, als er 1957 seinen gesamten künstlerischen Nachlass dem französischen Staat vermacht, die Präsentation im Rahmen des Ateliers. Dessen Rekonstruktion besetzt denn auch den Vorplatz des Centre Pompidou seit seiner Eröffnung 1977. Anlässlich laufender Renovierungen allerdings sind die beweglichen Exponate derzeit in die Ausstellungsräume der Sonderschau integriert. Im Rückblick sind es wohl zwei Aspekte, die Brancusi als einen bis in unsere Zeit hochinteressanten Künstler wirken lassen: Er war einer der ersten, der durch Imagepflege und systematische Vernetzung – nicht nur mit Kollegen der Bildkünste, sondern auch solchen aus Literatur und Musik – das moderne Bild vom Künstler definierten. Von nicht geringerer Langzeitwirkung ist aber seine systematische Erforschung (per fotografischer Serie) der Wechselwirkung von bildhauerischem Werk und Sockel. Beide werden fast ununterscheidbar und manchmal merkt Brancusi, dass er bei Auftürmung mehrerer „Sockel“ das „Werk“ eben auch weglassen kann!
Ausstellung
Bis 1. Juli 2024: Brancusi
Ort
Centre Pompidou, Place Georges-Pompidou, 75004 Paris
Öffnungszeiten
Täglich 11.00 bis 21.00 Uhr, Nachtöffnung in den Ausstellungsräumen Galerie 1 und 2: Do, bis 23.00 Uhr.
Internet
www.centrepompidou.fr