Unser Buch des Monats
Ein Wegweiser zu Zeichenwerkzeugen und -techniken
Zeichnen und Skizzieren ist Denken auf dem Papier. Die analoge Technik stimuliert die Kreativität und bildet den idealen Gegenpol zu ausgedehnter Bildschirmzeit. Der immer glatteren Perfektion des Digitalen stellt die Zeichnung den Reiz des Individuellen und den Charme des Unperfekten entgegen. Im Zeichnen erfahren wir Selbstwirksamkeit und erschließen Ressourcen, die im Alltag nur allzu leicht verschüttet werden …
Je nach Zweck einer Zeichnung werden unterschiedliche Werkzeuge und Techniken benötigt – für klare Umrisse oder sanfte Konturen, für starke Kontraste oder weiche Übergänge, für Tonwerte, Farbverläufe usw. usw. Um den Überblick über die vielfältigen Darstellungsmöglichkeiten nicht zu verlieren, entwickelt Tilo Schneider basierend auf seinem Ordnungssystem Kriterien für analoge Sketching- und Entwurf-Werkzeuge. Dabei unterscheidet er die Stifte nach Beschaffenheit der Mine und nach dem Verhalten der Stifte auf Papier. Das Repertoire der Stifte wird ergänzt durch Pinsel und Hilfsmittel zum Verwischen, Vermalen oder für andere Effekte. Bevor es in der Stifteübersicht an die Prüfung und Erläuterung einzelner Zeichenwerkzeuge geht, gibt der Autor noch eine Systematik an die Hand, mit deren Hilfe die Einordnung erleichtert wird.
Das klingt sehr theoretisch? Ist es aber überhaupt nicht! Denn Tilo Schneider versteht sein Buch vielmehr als eine „Einladung zum Machen und Ausprobieren. Zum Kennenlernen neuer Tools wie auch zum Wiederentdecken bekannter Werkzeuge“ – in fünf Kapiteln zeigt er anhand zahlreicher Praxisübungen, wie sich herausfinden lässt, welche Stifte sich für welche Technik eignen. Das Buch ist außerdem randvoll gespickt mit Illustrationen des Autors, die das Erklärte nachvollziehbar vor Augen führen, etwa das serielle Arbeiten an einem variablen Motiv, um sich mit dem neuen Zeichentool vertraut zu machen.
Spätestens, wenn in Kapitel 3 die vorgestellten Werkzeuge frei und mittels verschiedenster Illustrationstechniken umfangreich in der Praxis erprobt werden, möchte man sofort zum Stift greifen und mitexperimentieren! Anschließend zeigt Tilo Schneider, dass der gekonnte Einsatz von Stiften auch dort Eindruck macht, wo professionell digital gearbeitet wird.
Der Umgang mit neuen Werkzeugen ist immer ein Experiment, Tilo Schneider zeigt, dass es sich lohnt, „die Routine gewohnter Werkzeuge abzulegen, die Komfortzone kalkulierbarer Zeichenergebnisse zu verlassen.“ Er selbst entdeckt per Zufall oder im kreativen Experiment immer wieder neue Möglichkeiten, mit alten Zeichenwerkzeugen umzugehen. Seine Erfahrungen gibt er in den Übungen und Zeichnungen des Buches wieder, frei nach der Devise: Erst neue Techniken mit den bereits vorhandenen Materialien erkunden, dann Einkaufen gehen … So macht es Spaß, neue Zeichenwerkzeuge auszuprobieren und sich einen individuell passenden Werkzeugkasten zusammenzustellen.
„Analoge Zeichenwerkzeuge besitzen einen Wert,“ leitet Tilo Schneider das letzte Kapitel seines Buches ein. „Als Ideenstifter, Stilgeber und vertraute Entwurfshelfer. Darum verdienen sie Aufmerksamkeit. Und ein wenig Werkzeugpflege, was darum Thema des letzten Kapitels ist. Eine gute Gelegenheit, auch gleich den Schreibtisch aufzuräumen“ – und sich auf neue Werkzeugexperimente einzulassen!
Interview mit Tilo Schneider
Was hat Sie veranlasst, ein Buch über Zeichenwerkzeuge zu schreiben?
Die Buchidee ist mir durch eine einfache Beobachtung gekommen. Die Auswahl an analogen Zeichenwerkzeugen wächst – glücklicherweise – und es kommen ständig neue dazu. Jedoch nur wenige Zeichner nutzen die wunderbaren Möglichkeiten dieser Tools. Neue Stifte verunsichern, werfen Fragen auf zu deren Verwendung. Mein Buch soll helfen, sich im Dschungel der Werkzeuge zurecht zu finden.
Worauf basiert Ihre Expertise?
Zunächst bin ich ein großer Verfechter der Handzeichnung. Stift und Papier sind bei mir immer schnell zur Hand. In meiner Tätigkeit als Designer, beim Zeichnen auf Reisen, fürs Festhalten spontaner Ideen. Am intensivsten ist die Erfahrung mit Zeichenwerkzeugen in meinen Workshops, die ich seit vielen Jahren mit professionellen Gestaltern und Freizeitzeichnern teile. Welcher Stift wofür geeignet ist und welchen Stil er erzeugt, wird hier immer wieder praktisch ausprobiert.
Wann oder wodurch wurde Ihre Liebe zum Material entfacht?
Sicher liegt der Ursprung meiner Liebe zum Material im Handwerk des Möbeltischlers – meinem Erstberuf. Holz und Papier sind nicht nur produktionstechnisch einander verwandt. Mit der Hand eine Holzoberfläche zu berühren, mit dem Stift übers Papier zu fahren, ist jeweils ein sinnliches Erlebnis, das ich nicht missen möchte. Diesen besonderen Moment kann jeder für sich selbst aufrufen beim Beginn einer neuen Zeichnung.
„Die Kreativität potenziert sich durch die Möglichkeiten des Materials“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Nehmen wir einen Aquarell-Grafitstift: Wie mit einem gewöhnlichen Bleistift können Sie, je nach Härtegrad und Handhaltung des Stifts, hauchdünne oder breite Linien, grafische Texturen oder weiche Übergänge erzeugen. Beim Aquarell-Grafitstift kommt hinzu, dass er sich nass vermalen lässt. Ob streng grafischer oder locker malerischer Ausdruck, auch der Malgrund spielt eine Rolle. Wenn Sie also noch verschiedene Papieroberflächen (glatt, rauh, strukturiert) ins Spiel bringen, kommen weitere Stileffekte hinzu und das Spektrum an Möglichkeiten vergrößert sich.
Woran macht es sich bemerkbar, dass man mit dem richtigen Werkzeug arbeitet -- oder mit dem falschen?
Mit Begriffen wie richtig oder falsch bin ich beim Zeichnen vorsichtig. Im Buch wie in meinen Kursen fordere ich dazu auf, Stifte frei zu kombinieren und experimentell einzusetzen. Ich wehre mich gegen Vorgaben, die einen Faserstift in einer Bleistiftzeichnung verbieten oder einen Kugelschreiber auf Aquarellpapier. Mein Test für ein Zeichenwerkzeug ist die Geschwindigkeit: Wenn ich einen flotten Strich ohne abzusetzen und ohne unterbrochenes Strichbild hinbekomme, habe ich ein gutes Tool in der Hand. Fürs passende Papier zum Lieblingsstift habe ich eigens eine Tabelle in meinem Buch angelegt.
Wann haben Sie mit dem Ordnungsprinzip begonnen, das Sie im Buch vorstellen?
Geordnet habe ich ab dem Moment, wo die Verlockung der Stifte und die Gefahr der Orientierungslosigkeit zu groß wurde. Ähnlich der Situation vorm Verkaufsregal. Mit meinem Ordnungsprinzip wächst hoffentlich – im Laden wie im Buch – der Durchblick: Entlang zweier Achsen habe ich Stifte nach Beschaffenheit ihrer Mine und ihrem Verhalten auf Papier geordnet und einsortiert. Das heißt, ein Stift kann wie beim o.g. Aquarell-Grafitstift ein festes, trockenes Pigment enthalten, dass sich dennoch verflüssigen lässt oder umgekehrt eine Flüssigmine, deren Permanentstrich unverändert bleibt. So ergibt sich eine Matrix aus Zeichenwerkzeugen und -techniken.
Pflegen Sie Ihr Ordnungsprinzip und Ihre Werkzeugsystematik weiterhin?
Natürlich wende ich dieses Prinzip in meiner täglichen Arbeit an. Aber bei aller Systematik – es ist eine offene Situation. Erstens kommen permanent neue Produkte hinzu, die ich bei Redaktionsschluss noch nicht getestet hatte. Zweitens ist es schwer eine Grenze zu ziehen, welche Werkzeuge in ein Buch übers Zeichnen gehören und welche nicht. Der Idee des Experimentierens folgend: Stifte für die Gastronomie ja, Stifte aus dem Zahntechniklabor nein? Kürzlich ist mir noch ein auf Baustellen beliebtes Tool aufgefallen, der „Tieflochmarker“. Wer beim Wandregalanbringen einmal verzweifelt war (Stift passte nicht durchs Befestigungsloch), weiß wovon ich spreche … Freuen Sie sich einfach auf eine weitere Ausgabe des Buches mit neuen Stiften!
Was ist Ihnen persönlich wichtig, wenn es um Werkzeuge und Materialien geht?
Das „analoge“ Erleben. Und Neugier, die Werkzeuge und Materialien vielfältig zu gebrauchen.
Was ist Ihr liebstes Arbeitsmittel?
Im Moment hat es mir der Calligraphy Artist Pen von Faber-Castell angetan. Ein einziger Stift für hunderte Nuancen an Strichstärken. Moduliert von der feinsten Haarlinie bis zum mehrere Millimeter breiten Strich, das macht große Freude.
Lieber Herr Schneider, vielen Dank!
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