Material & Inspiration

Keine Angst vor Keramik!

Nie war die Gestaltung keramischer Oberflächen so spannend wie heute! Eine Vielzahl neuer Materialien eröffnet inspirierende Möglichkeiten.

In einer Zeit, die stark durch digitale Medien geprägt ist, erscheint es ratsam, in der Kunst und in den Akademien die Erfahrung des Haptischen stärker in den Fokus zu rücken. Die Grunderfahrungen von „Greifen“, „Berühren“, „Fühlen“ und „Formen“ eröffnen das Basisverständnis für Körper und Raum und führen neben den visuellen Erfahrungen zu einem einheitlich empfundenen Zusammenspiel aller Sinne und damit zu einer ganzheitlichen „Ich-Erfahrung“. Töpfern als die Beschäftigung mit dem plastischen Grundstoff Ton ist hierfür ideal: Das Material ist günstig, leicht zu bearbeiten und ermöglicht vielfältigen künstlerischen Ausdruck.

Namhafte Künstler aus allen Geschichts- und Stilepochen haben sich − zumindest zeitweise und nicht immer von der Öffentlichkeit wahrgenommen − mit der Keramik beschäftigt. Legendär sind die Vasen und Teller von Picasso und Miró … sehenswert auch die keramischen Fassaden von Hundertwasser oder keramische Skulpturen wie z.B. die des Designers Sottsass. In anderen Ländern, z.B. den Niederlanden, Frankreich oder den USA, gilt Keramik nicht (nur) als Handwerk, sondern als höchst anerkannter Teil der bildenden Kunst.

Die allerdings nicht ganz unberechtigte Sorge vor technischen Problemen im Umgang mit Ton und Glasur lassen oft vor ihrem Einsatz zurückschrecken. Zum Glück machen neue Erkenntnisse und Entwicklungen der letzten Jahre die Keramik für Kunststudenten und Künstler deutlich leichter und risikoärmer:

Mit dem guten Ton fängt alles an. Er ist günstig in 10 kg-Paketen zu erwerben, optimal aufbereitet und vielfältig einsetzbar. Nach dem Durchtrocknen sollte er bei ca. 950–1.050 °C erstmalig gebrannt, d.h. geschrüht werden. Die Glasur ist Farbgebung, Gestaltung und Schutz und wird im Irdenwarebereich im zweiten Brand bei ca. 1.020–1.080 °C eingebrannt (Steinzeug wird bei ca.1.220 –1.280 °C gebrannt). Früher wurde Glasur nur als Pulver angeboten, das man selbst mit Wasser anrührte und durch Tauchen, Gießen oder Spritzen auftrug. Für Nicht- Profis ein nicht einfaches Unterfangen: Probleme konnten durch unsachgemäßes Anrühren, zu dickes bzw. zu dünnes Auftragen oder die falsche Brenntemperatur entstehen und oft gab es auch böse Überraschungen beim Öffnen des Ofens. Schon so manches gut modellierte Teil wurde durch den Wunsch nach Farbigkeit beeinträchtigt.

Dazu kommt oft eine latente Furcht vor den unklaren Risiken in der Verwendung keramischer Rohstoffe. Glasuren bestehen hauptsächlich aus Quarz, aufbereiteten Silikaten, speziellen Rohstoffen, Oxyden und Farbkörpern. Früher wurde Blei als Flussmittel zugegeben, um sie bei relativ niedrigen Temperaturen zum Schmelzen zu bringen. Blei wird heute von fast allen Herstellern ersetzt und bleihaltige Glasuren sollten nur von Profi- Keramikern eingesetzt werden. Beim Aufbereiten der Pulverglasur entstehen feine Stäube, die die Atemwege belasten und sich im Extremfall im menschlichen Körper anreichern können.

Tänzerin I
Tänzerin II
Tänzerin III
Glasierte Objekte

Eine Alternative sind Flüssigglasuren. Die Auswahl an leuchtenden Farben ist enorm groß, sie sind bleifrei, bereits fertig angerührt und können nicht stauben. Darüber hinaus bieten Flüssigglasuren viele gestalterische Möglichkeiten. Sie sind einfach mit dem Pinsel aufzutragen und schmelzen dennoch gleichmäßig im Brand aus. Glasuren können oft nebeneinander gelegt werden und tropfen im Brand (meistens) nicht ab. Ein großer praktischer Vorteil: Flüssigglasuren enthalten einen Kleber, der die Glasur nach dem Antrocknen fest auf dem Scherben haften lässt, so ist der Transport zum Brennofen problemlos. Das Haften der Glasur auf dem Scherben ermöglicht auch künstlerisches Experimenten wie z.B. Ritzen, Überglasieren, Dripping, Sprenkeln, Schablonieren oder diverse Sgraffitotechniken. Eine weitere Alternative in der keramischen Gestaltung sind Engoben: eingefärbte flüssige Tone, die eine matte, erdige Oberflächengestaltung ermöglichen und schon im ersten Brand mitgebrannt werden können (ca. 900–1.100 °C). Zusätzlich kann der Scherben nach dem Schrühbrand mit einer transparenten Glasur überzogen werden, um eine glatte, glänzende und wasserdichte Oberfläche zu erzeugen.

Für feines Dekor wie Malerei können sehr gut kennzeichnungsfreie flüssige Dekorfarben eingesetzt werden, z.B. in die ungebrannte Glasur (glaze + paint- Technik), in der Unterglasurtechnik oder in der Aufglasurtechnik auf bereits gebrannte Flächen. Sehr schöne Effekte ergeben sich auch durch Glasuren, Dekorfarben und Engoben, die in ein Relief gestrichen und nach dem Antrocknen oberflächlich wieder abgewischt werden.

Das künstlerische Potenzial von Ton und Glasur ist vielfältig, der sinnliche Akt des plastischen Formgebens grundlegend, die Farbgebung variantenreich und inspirierend. Setzen Sie Ihre kreativen Impulse mit Ton und Glasur um. Dabei gilt: keine Angst vor der Keramik!

Farbenspiele mit Flüssigglasuren

Keramische Kunst von Gustav Weiß

Suche nach einem Symbol II Glasurenmalerei auf Terrakottaplatte, 2005, 33 x 33 cm
Suche nach einem Symbol II, Glasurenmalerei auf Terrakottaplatte, 2005, 33 x 33 cm © Gustav Weiß
Theater Glasurenmalerei auf Terrakotta, 2005, 30 x 30 cm
Theater, Glasurenmalerei auf Terrakotta, 2005, 30 x 30 cm © Gustav Weiß
Tsunami Glasurenmalerei mit Porzellanpapier, 2005, 30 x 30cm
Tsunami, Glasurenmalerei mit Porzellanpapier, 2005, 30 x 30 cm © Gustav Weiß
Umwelt Glasurenmalerei mit Goldrahmen, 2005, 25 x 33 cm
Umwelt, Glasurenmalerei mit Goldrahmen, 2005, 25 x 33 cm © Gustav Weiß
Aufruhr Glasurenmalerei auf Terrakottaplatte, 2005, 30 x 30 cm
Aufruhr, Glasurenmalerei auf Terrakottaplatte, 2005, 30 x 30 cm © Gustav Weiß
Beruhigte Bewegung Farbpsychologische Glasurenmalerei, 2005, 25 x 33 cm
Beruhigte Bewegung, Farbpsychologische Glasurenmalerei, 2005, 25 x 33 cm © Gustav Weiß
Bouquet Glasurenmalerei mit Gold auf weißem Grund, 2005, 25 x 33 cm
Bouquet, Glasurenmalerei mit Gold auf weißem Grund, 2005, 25 x 33 cm © Gustav Weiß
Empfindlichkeit Farbpsychologische Glasurenmalerei, 2005, 25 x 33 cm
Empfindlichkeit, Farbpsychologische Glasurenmalerei, 2005, 25 x 33 cm © Gustav Weiß
Erholung Glasurenmalerei auf Terrakotta, 2005, 30 x 30 cm
Erholung, Glasurenmalerei auf Terrakotta, 2005, 30 x 30 cm © Gustav Weiß
Erna Glasurenmalerei auf Porzellanengobe, 2005, 31 x 31 cm
Erna, Glasurenmalerei auf Porzellanengobe, 2005, 31 x 31 cm © Gustav Weiß
Lektüre Glasurenmalerei auf Terrakotta, 2005, 30 x 30 cm
Tier und Mensch II, Glasurenmalerei auf Porzellanengobe, 2004, 33 x 33 cm © Gustav Weiß
Quelle Glasurenmalerei auf Terrakottaplatte, 2005, 33 x 33 cm
Quelle, Glasurenmalerei auf Terrakottaplatte, 2005, 33 x 33 cm © Gustav Weiß

Gustav Weiß ist vielen keramisch Schaffenden und Interessierten vor allem durch zahlreiche Fachpublikationen und als Verfasser mehrerer Grundlagenwerke bekannt. Der Mitbegründer des „Keramik Magazins“, der ersten deutschsprachigen Keramikzeitschrift, und später der Herausgeber der Zeitschrift „Neue Keramik“, wurde 1922 in Bratislava geboren. Er studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin unter Bontjes van Beek und Wolfgang Henze, leitete von 1957–61 die Keramikabteilung der Hochschule für Kunst und Design Halle, Burg Giebichenstein, und war gleichzeitig von 1950 bis 1961 verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift „Silikattechnik“. Zu erwähnen ist für diese frühen Jahre noch seine Arbeit am „Silikat-Lexikon“, einem Schlüssel-Nachschlagewerk für alle KeramikerInnen in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, das von Wilhelm Hinz fertiggestellt wurde, 1985 im Akademieverlag der DDR erschien und damals auch in Fachkreisen der BRD weit verbreitet war.1961 verließ Gustav Weiß die DDR und übersiedelte nach Darmstadt. Es folgten zahlreiche Bücher für Keramiker und für Keramik- und Glassammler. 1979 erschien die erste Ausgabe des „Keramik Magazins““ und 1987 gründete er einen eigenen Verlag mit der Zeitschrift „Neue Keramik“, den er 2002, mit achtzig Jahren, an seinen Nachfolger Bernd Pfannkuche übergab.

Heute lebt und arbeitet Gustav Weiß in Berlin. Bei seiner künstlerischen Tätigkeit hat sich der passionierte Keramiker insbesondere den Glasuren gewidmet: „Das Malen mit Glasuren ist eine Kunst, die an die Experimente der Surrealisten in den 30er Jahren anschließt. Unter anderem ist das damals von Max Ernst erfundene Malen ohne Pinsel auf keramische Glasuren angewandt. Die Experimente bewahren den Reiz der Neuheit, der Frische und des Hinzugewinns, indem sie über die Grenzen der keramische Tradition hinausgehen.“ Diese Innovationskraft zeigt sich besonders deutlich in den hier abgebildeten Werken, die vornehmlich mit Flüssigglasuren, aufgetragen mit dem Malmesser oder in Dripping-Technik, gestaltet wurden.

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