Reine Farbe in der unkomplizierten Handhabung einer Pastellkreide, spontan und ohne Vorbereitung anwendbar auf unterschiedlichsten Malgründen: Dies mag sich Pablo Picasso (1881–1973) gewünscht haben, als der Maler Henri Goetz 1949 in seinem Namen bei der französischen Farbenmanufaktur Sennelier vorsprach mit der Bitte, für seinen Freund Ölpastelle zu entwickeln, die professionellen künstlerischen Ansprüchen genügten. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte man mit Ölfarben in Stiftform, den so genannten Raffaelistiften, experimentiert; und in den 1920er-Jahren waren die ersten Ölkreiden auf den Markt gekommen. Firmenchef Henri Sennelier ließ auf Goetz‘ Bitte hin Pigmente höchster Qualität, Mineralwachse und Bindemittel in ausgewogener Mischung zu einer cremigen Textur in Stiftform verbinden und entwickelte dazu eine umfangreiche Farbpalette – der Neubeginn des modernen Ölpastells.
Dies war ein weiterer Schritt in der Geschichte des Pastells, die über die Jahrhunderte hinweg zurückzuverfolgen ist. Die Anwendung von sogenannten „trockenen Farben“ in Stiftform geht Hand in Hand mit der sich entwickelnden Autonomie der Handzeichnung im 15. Jahrhundert, die sich zunehmend vom Charakter der Vorzeichnung löste und eigenständigen künstlerischen Wert bekam. Zunächst dienten Stifte aus natürlichen Pigmenten – etwa Ocker, Rötel, Umbra und Kohle – zur farbigen Fassung von Zeichnungen. Der Lyoner Professor Peter Gregorius notierte 1574 dazu eine Rezeptur: „Die Maler aber machen jene Farbstifte in Cylinderform und rollen sie unter Beimischung von Fischleim oder Gummi arabicum oder Feigenmilch, oder nach meiner Meinung, besser mit Molke. Damit nämlich werden die Stifte, quos vocant coroyons, weicher, jene anderen aber härter und kratzen das Papier“ (zit. n. Joseph Meder, Die Handzeichnung: ihre Technik und Entwicklung, Wien 1923, S. 135).
Der Name „Pastell“ schließlich bezeichnete einen einfarbigen Zeichenstift aus gepresstem oder gerolltem, mit einem wasserlöslichen Bindemittel versetztem Pigment. Die technische Bezeichnung „Pastell“ (vom ital. pasta = Teig) findet sich zum ersten Mal im Trattato dell‘ arte della Pittura (Traktat über die Kunst der Malerei) des Malers und Theoretikers Giovanni Paolo Lomazzo (1538–1600): „Es gibt noch eine andere Art zu malen, die ich nicht verschweigen will, à pastello genannt, was mit hauptsächlich aus Farbenpulver hergestellten Stiften geschieht, und zwar auf Papier. Und dies war von Leonardo in seinen Christus- und Apostelköpfen fleißig in wunderbarer Weise ausgeübt …“ (zit. n. Meder, Wien 1923, S. 136).
Von der durch die Dimension der Farbe erweiterten Zeichnung hin zur rein malerischen Auffassung war es nur ein kleiner Schritt, jedoch von großer Tragweite, bot doch das Pastell eine Vielfalt an Möglichkeiten – von der farbigen Grundierung des Papiers über das Wischen mit dem Finger oder verschiedenen Hilfsmitteln bis hin zum farbigen Modellieren: „Es handelt sich dabei um eine Technik, bei welcher trockene, farbige Stiftstriche auf eine Malfläche gesetzt werden und durch die Möglichkeit systematischen Verwischens ein Mischen auf der Fläche gegeben ist und somit eine Wirkung erreicht werden kann, die schließlich zur ‚Malerei‘ führt“ (Kurt Wehlte, Werkstoffe und Techniken der Malerei, 5 1985, S. 331). Seine Blütezeit erlebte das Pastell mit seiner luftigen und leuchtenden Farbigkeit im 17. und 18. Jahrhundert – in Italien waren es zum Beispiel Domenichino, Guido Reni, die Caracci und schließlich Giovanni Battista Piazzetta, in Frankreich Daniel Dumonstier und Nicolas Lagneau, später François Boucher und Jean-Baptiste Simeon Chardin, um nur einige der zahlreichen Künstler zu nennen, die die Pastellmalerei zur Meisterschaft führten. Mit der Venezianerin Rosalba Carriera (1675–1757), die von zahlreichen Fürstenhöfen Europas Aufträge erhielt, erreichte das Pastell eine bis dahin unerreichte Blütezeit. Als sicherlich bekanntestes Beispiel für ein Bildnis in Pastellkreide kann heute „Das Schokoladenmädchen“ des Schweizers Jean-Étienne Liotard (1702–1789) gelten, das in der Dresdner Gemäldegalerie aufbewahrt wird.
Nachdem sich der Klassizismus zunehmend vom Pastell abwendete, waren es die französischen Impressionisten, allen voran Edgar Degas (1834–1917), die ihm erneut zu Bedeutung verhalfen. Die zeichnerische Spontaneität, verbunden mit der malerischen Ausdruckskraft einer äußerst umfangreichen Farbpalette – das Sennelier-Sortiment umfasst z.B. heute mehr als 500 Farbtöne – macht die Pastellkreide zu einem Klassiker des künstlerischen Materials.
Im modernen Ölpastell verbindet sich die Reinheit der Farbe mit dem zeichnerischen Duktus eines Stifts, kräftig und lebendig im Ausdruck und weniger zart und luftig als seine kreidigen Verwandten. Die Textur des Ölpastells reagiert unmittelbar auf den mit der Hand ausgeübten Druck; der Härtegrad eines Stiftes hängt im Wesentlichen vom Fabrikat ab – im Handel finden sich sehr weiche, hoch pigmentierte Stifte ebenso wie vergleichsweise harte Stifte, die einen verstärkt zeichnerischen Ansatz ermöglichen. Auch der teils unterschiedliche Durchmesser der Stifte erlaubt verschiedene Einsatzmöglichkeiten.
In der Anwendung ist das Ölpastell überraschend vielseitig: Ist der Mal- und Zeichengrund der Pastellkreide raues, nach Wunsch grundiertes oder bereits farbiges Papier, so findet das Ölpastell darüber hinaus auch auf fein strukturierten Geweben, auf beidseitig kaschierter Siebdruckpappe (Screenboard) oder auch auf metallischen Malgründen, auf Kunststoff oder Glas Verwendung. Der leichte Strich ähnelt dem Pastell, im kräftigen Auftrag kann ein Impasto-Effekt erzielt werden. Doch auch der Einsatz von Hilfsmitteln zeitigt eine überraschende Bandbreite an ausdrucksvollen Effekten: So kann der Farbauftrag mit einem Pinsel und einer kleinen Menge Terpentin vermalt werden; Flächen lassen sich stellenweise oder vollständig mit Terpentin anlösen und miteinander verbinden. Welche Hilfsmittel hier zum Tragen kommen – Pinsel, Wischer oder Tuch – bleibt letztlich persönlichen Vorlieben und der Erfahrung überlassen. Ein mehrschichtiger Auftrag kann in Sgraffito-Technik mit einem Stift oder einer Messerspitze ausgekratzt werden, um tiefer liegende Farbschichten sichtbar zu machen.
Auch bei der Rahmung erweist sich das Ölpastell als robuster als die pudrige Pastellkreide: Durch ein spezielles Fixativ geschützt, das ein Anlösen der Farbe vermeidet und nicht vergilbt, können Werke in Ölpastell problemlos gerahmt werden. Bei einer Rahmung hinter Glas sollten einige Millimeter Abstand zu den ggfs. pastos aufgetragenen Farbschichten gewährleistet sein.
Ob in malerischer Auffassung, als Skizze oder als Zeichnung – das Ölpastell zeigt sich als ideales Medium für eine große Bandbreite künstlerischer Ausdrucksformen. Vielseitig und spontan in der Anwendung, ohne weitere Hilfsmittel und Vorbereitung des Malgrundes, ist das Ölpastell als „schnelles“ Medium auch besonders für die Verwendung en plein air geeignet.
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