Die Restaurierung des Deckenbildes im historischen Schauspielhaus Neubrandenburg
In den späten 90iger-Jahren realisierte der Bühnenbildner und Maler Klemens Kühn im historischen Schauspielhaus Neubrandenburg ein aufwendiges Deckenbild in klassischer Öl-Kasein-Technik. Ausgetretenes Harz und mehrere Heizperioden führten im Laufe von 20 Jahren zu Schäden in der Farbstruktur und zu abgeplatzten Bereichen. Beides wurde im Zuge umfangreicher Rekonstruktionsarbeiten vom Künstler selbst erfolgreich behoben. Grundlage dafür waren flüssiges Kasein, Leinöl und Pigmente …
Renaissance und Barock waren die Blütezeit der Deckenbilder in Kirchen und Repräsentationsbauten. In ihnen verbanden sich Architektur und Malerei zu einer einzigartigen Symbiose. Das Bild-Programm eröffnete einen direkten Blick auf göttliche Figuren und allegorische Szenen, verschwand aber Anfang des 20. Jahrhunderts fast vollständig aus den Vorstellungen der Architekten und Maler. Nicht zuletzt, weil der demütige Blick nach oben, der den Betrachter verkleinert und aufblicken lässt, heute schnell starr und unzeitgemäß wirken kann. Ein Theater ist vielleicht einer der wenigen Plätze, der noch Raum für diese Form des gestalterischen Experiments bietet. Ein Ort, an dem im Alltag neue Sichtweisen auf die Realität aus ungewöhnlichen Perspektiven ausprobiert werden. Ein Ort, der durch das Zusammenwirken von Literatur, Schauspiel, Malerei, Musik und Film per se als künstlerisches Labor verstanden wird.
Zukunftsvision und Zeitdokument
Im Schauspielhaus Neubrandenburg bewies man den Mut, das Ungewöhnliche zu wagen und beauftragte im Anschluss an die Gesamtüberholung des historischen Gebäudes, das als einfacher Fachwerkbau bereits 1794 fertiggestellt wurde, den Bühnenbildner und Maler Klemens Kühn mit dem Entwurf und der Ausführung eines Deckenbildes. Ausgehend von Studien vergleichbarer Werke aus der Barockzeit, untersuchte er insbesondere das Deckenbild von Giovanni Battista Tiepolo im Würzburger Schloss. In Anlehnung an sein Vorbild verzichtete er weitgehend auf architektonische Elemente und konzentrierte sich auf vier figürliche Themengruppen. Die assoziativen, an den vier Seiten des Bildes positionierten Ensembles sind so angelegt, dass sie aus allen Betrachtungswinkeln beeindruckend wirken. Auf der Ostseite etwa reitet eine wilde Karawane asiatischer Reiter vorbei, die an die Apokalypse von Albrecht Dürer erinnern. Gegenüber findet ein imaginärer Büchersturm statt: Teufel und Dämonen zerreißen aufgestapelte Bücher und stürzen sie in die Tiefe. Auf der Südseite ringen die Geschlechter miteinander. Frauen stoßen Männer vom Bildrand; andere sind in Kampf- und Liebesszenen ineinander verknäult. Davon unbeeindruckt schweben auf der Nordseite elf Clowns am Himmel. Die Gruppen sind an den Rändern eines Sturms angeordnet, der sich in der Mitte zusammenzieht. Die Gesamtkomposition des Deckenbildes kann als Zukunftsvisionen und Zeitdokument gelesen werden. Das Bild entstand in sieben Monaten 1996/97, eine Zeit, in der vor allem in Ostdeutschland ein Gefühl sowohl des Zusammenbruchs als auch des Aufbruchs herrschte. Kühn entwickelte in seiner Auseinandersetzung mit historischen Vorbildern ein Panorama aus Endzeitstimmung und Euphorie.
Klassische Technik, kopfüber gemalt
Für die Umsetzung verwendete Klemens Kühn eine Öl-Kasein-Technik, die seit der Renaissance von vielen Malern praktiziert wird. Sie verbindet die Vorteile der Öl- und Tempera-Malerei, darunter Alterungsbeständigkeit, langsame Trocknung und kräftige Farbwirkung. Das Bild entstand auf einer Fläche von 14 x 8 Metern, deren Proportionen dem goldenen Schnitt entsprechen. Die malerischen Arbeiten erfolgten auf sehr frischem Holz, mit welchem der gesamte Saal während der Rekonstruktion des Barocktheaters wiederhergestellt wurde und aus dem stellenweise noch Harz austrat. Das führte im Laufe der vergangenen 20 Jahre zu Schäden in der Farbstruktur und zu vielen abgeplatzten Bereichen. Beide Schadensarten sollten im Sommer 2019 restauratorisch behoben werden. Heute wie vor zwanzig Jahren wurde dazu kein aufwendiges Gerüst gebaut, sondern man verwendete für alle malerischen Arbeiten eine Scherenhubbühne, mit der man sehr schnell an verschiedenen Orten des Bildes arbeiten kann. Trotz dieser großen Vereinfachung musste die Farbe kopfüber aufgetragen werden, und die ruhige Pinselführung an einer sieben Meter hohen Decke erfordert einige Geschicklichkeit und Übung. Insbesondere, weil ein kurzes Zeitfenster vorgegeben war.
Die Negativfaktoren: Holz, Harz und Hitze
Klemens Kühn standen nur drei Wochen zur Verfügung, weshalb er sich eine besondere Strategie überlegen musste: „Ich war einerseits sehr kritisch mit unfertigen oder technisch nicht bewältigten Stellen und andererseits überrascht, dass ich bei der sehr kurzen Überarbeitungszeit gut auf die Figuren- und Farbkomposition aus den 90iger-Jahren aufbauen konnte. Während der ersten Tage habe ich festgestellt, dass nicht nur das frische Holz und das austretende Harz problematisch waren, sondern auch die stark schwankenden Temperaturen der Theaterscheinwerfer, die sehr dicht unter der bemalten Decke installiert sind“, fasst er die wesentlichen Herausforderungen zusammen. „Der erste Arbeitsschritt war die mechanische Entfernung aller schlecht haftenden Farbbereiche mit Spachtel und Schleifpapier bis zur Holzbasis. Wenn ich bis zum Holz abgeschliffen hatte, wurde das noch einmal mit einem Halböl grundiert. Davon waren ca. 20 % des Bildes betroffen. Durch diese Ausgangssituation konnte ich nicht alle Bereiche in der gleichen Weise behandeln. Aus einem nahen Betrachtungsabstand sieht man heute ca. 1–2 mm Höhenunterschied zwischen alten und restaurierten Stellen. Da man aber bei diesem Deckenbild in sieben Metern Entfernung steht, konnte ich dieses Detail vernachlässigen. Vorerst wurden die Farbpartien mit den Hintergründen und Wolken bearbeitet, später die Figuren, die deutlich zeitaufwendiger waren.“
Ein ganz besonderes Farbrezept
Das Rezept für eine Öl-Kasein-Emulsion aus Kasein, Leinöl und Pigmenten entdeckte Klemens Kühn in dem Künstlerhandbuch „DuMonts Handbuch zur Technik der Malerei“ von Egon Vietinghoff (1984,1994). „Es erschien mir als optimale Lösung für die komplexen Anforderungen: die Bewegung des Holzuntergrundes, Temperaturschwankungen, Alterungsbeständigkeit und eine kurze Verarbeitungszeit, um in Schichten malen zu können. Darüber hinaus ist eine Emulsion mit Pigmenten für große Flächen sehr kostengünstig. Ich wollte selbstverständlich durch Verwendung dieser alten Renaissance-Technik auch selbst zusätzliche Kenntnisse über Pigmente, deren Herkunft, Geschichte und Leuchtkraft erwerben. Wenn man Schwermetall-Pigmente vermeidet, ist der gesamte Prozess auch sehr ökologisch und viele Probleme, die sich heute bei der Farbenentsorgung stellen, kann man auf diesem Weg vermeiden.“
Geheimtipps vom Profi
Die Mixtur ist sehr einfach herzustellen. Kasein gibt es in flüssiger oder trockener Form. Bei der Rekonstruktion vermischte Kühn gleiche Teile von flüssigem Kasein mit Leinöl in einem Mixer, sodass eine weiße, cremeartige Emulsion entstand. „Bei längeren Pausen zwischen Arbeitsschritten empfiehlt es sich, das Bindemittel erneut durchzurühren“, verrät der Künstler. „Die verwendeten Pigmente werden einen Tag vorher mit wenig Wasser versetzt. Sollte sich das Pigment schwer lösen, hilft ein Tropfen Netzmittel bzw. Spülmittel, um die Oberflächenspannung herabzusetzen. Kurz vor Arbeitsbeginn werden die Pigmente mit der Emulsion vermischt. Die weitere Verarbeitung ist aufgrund der Wasserlöslichkeit sehr einfach. Gegenüber der Ölmalerei, bei der die Farbe relativ gleichbleibend auftrocknet, gewinnt die Tempera- Technik an Intensität im Trocknungsprozess und hat insgesamt einen pastellartigen Charakter.“
Die Restaurierungsmaßnahme wurde im Jahr 2019 erfolgreich abgeschlossen und das Deckenbild im Schauspielhaus Neubrandenburg erstrahlt wieder in neuem Glanz.
Klemens Kühn wurde 1964 in Torgau geboren, studierte Bühnenbild an der Kunsthochschule Berlin Weißensee und war Meisterschüler bei Volker Pfüller. Er lebt und arbeitet als freiberuflicher Bühnenbildner und Ausstellungsdesigner in Berlin.
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