Der amerikanische Maler Edward Hopper (1882–1967) wurde mit seinen Gemälden in kühlen Farben berühmt: Er malte vereinzelte und melancholische Menschen in Diners, Wartehallen oder Hotelzimmern – sein sicherlich bekanntestes, vielfach reproduziertes und zitiertes Werk dürfte das Bild „Nighthawks“ von 1942 sein, das im Art Institute of Chicago aufbewahrt wird.
Besonders eindrücklich sind darüber hinaus seine Stadtszenen mit ihren nahezu menschenleeren Straßenzügen und Hausfassaden, nachts auch mit Einblicken in belebtere Szenerien hinter Fenstern. Beeinflusst von Gustave Courbet (1819–1877), Edouard Manet (1832–1883) und den Pariser Stadtbildern von Charles Méryon (1821–1868), gilt Hopper als bedeutendster amerikanischer Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und als wichtigster Vertreter realistischer Malerei in den USA.
Ein wichtiges Medium Hoppers war die Ölfarbe. Damit steht der Künstler in einer Tradition, die im 15. Jahrhundert in den Niederlanden ihren Anfang nahm und bis heute als gern zitierte Königsdisziplin der Malerei nichts von ihrem besonderen Charme verloren hat: Ölfarbe verleiht den Bildern besonderen Glanz und Tiefe und ein großer Vorzug in der Verarbeitung liegt in der sehr langsamen Trocknungszeit: Sie erlaubt es, ein Werk über längere Zeiträume hinweg fertigzustellen.
Auch die Stadtlandschaft, die auf der linken Seite zu sehen ist und Einblick in einen Straßenzug in Paris gewährt, ist menschenleer und scheinbar unberührt. Es herrscht eine fast sonntägliche Stille, die Fensterläden des Wohnhauses sind teils geöffnet, doch entzieht sich das Innere dem Blick des Betrachters, der deshalb kaum erahnen kann, was sich dahinter wohl abspielen mag. Es scheint sich nicht um eine reine Wohnstraße zu handeln, die oberen Fenster im rechten Gebäude mit ihren Gittern verweisen vielleicht auf eine Vergangenheit als Werkstatt oder Atelier. Hier spiegeln sich Fenster in Fenstern und auch die Türen und das Rolltor darunter sind geschlossen. Trotzdem wirkt die großformatige Straßenszene lebendig, denn der eigentliche Protagonist des Bildes ist das Licht: Es führt Regie, fängt und leitet den Blick. Es fällt auf die Wand des Wohnhauses ebenso wie auf Teile des Nachbargebäudes, lässt über den Bildrand hinaus assoziieren, was die Schatten auf Boden und Fassaden erahnen lassen: Weitere Häuser, ein Baum, vom Wind bewegt, eine Mauer vielleicht?
So monumental wie das Sujet des Bildes ist auch sein Format, das die Bildwirkung maßgeblich mitbestimmt. Als Malgrund dient das Reinleinengewebe Natura Leinen mit seiner gleichmäßigen, mittleren Struktur. Das Rollenmaß ist 2,10 m x 10 m und gibt viel Spielraum in der Wahl des Keilrahmen-Formats. Das Gewebe ist transparent grundiert und dadurch relativ glatt; es saugt nur schwach die Farbe auf, sodass der Pinsel über die großen Flächen gleiten kann.
Die transparente Grundierung erlaubt, die typische Leinenfarbe effektvoll bei Lasuren und Aussparungen in Bildaufbau und Farbgebung mit einzubeziehen: Die Farbe wirkt nicht so leuchtend wie auf einer weißen Grundierung, sondern erscheint eher diffus. Das Graubeige bedingt den dominanten Ton in der Malerei. Im Grunde kommen nur zwei zusätzliche Farbtöne dazu: ein Graugrün und ein blasses Türkisgrün, das in seinen dunkelsten Partien in ein Paynesgrau übergeht. Die Farbe des Hauses rechts entspricht, obgleich übermalt, in etwa dem Grundton des Leinens. Und über das Bild verteilt taucht eben dieser Grundton in einzelnen, offenen Partien immer wieder auf. So dient er als ein entscheidender Faktor in der farblichen Homogenisierung.
Die Vorzeichnung der Häuserlandschaft erfolgt mit Kohle. Besonderes Augenmerk in Expressivität und farblicher Differenzierung gilt dem Himmel, dessen Wolkenberge sich von licht bis dunkel auftürmen und von einem atmosphärischen Wandel künden. Und insbesondere die Details – der offene Fensterladen, die Spiegelungen der rückwärtigen Fenster, das Spiel des Lichts – verlangen vor allem in diesen Größenverhältnissen besonderes Augenmerk, ein ständig erneutes Zurücktreten zur Prüfung von Farbe und Wirkung.
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