Buchtipp

Die Geschichte der Kunst

Neu erzählt von Charlotte Mullins

Bisher wurde Kunstgeschichte vor allem aus eurozentristischer Perspektive und am Beispiel vorwiegend männlicher Protagonisten vermittelt. Es ist höchste Zeit für eine aktuelle und globale Neubetrachtung, die die Entwicklungen in anderen Kulturräumen und die Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte im Hinblick auf die Rolle von Künstlerinnen berücksichtigt. Ein jüngst bei C.H. Beck erschienenes Buch hat sich genau das vorgenommen.

Die englische Kunsthistorikerin Charlotte Mullins erzählt in ihrer im November 2023 erschienenen Publikation eine neue, umfassende „Geschichte der Kunst“. Sie nimmt uns mit auf eine faszinierende Zeitreise, die bei den ersten Bildzeugnissen in der Frühsteinzeit beginnt und bei jüngsten Phänomenen wie NFTs aufhört. Man erfährt, dass Abstraktion keine Erfindung des Westens ist, sondern erstmals in Peru erscheint. Neben den klassischen Meisterwerken werden gleichrangig auch die Nok-Terrakotten Nigerias, mexikanische Wandmalereien und die feministische Kunst der Guerilla Girls vorgestellt – vor unseren Augen entsteht so, heiter-leicht geschildert, ein weltumspannendes Panorama, das viel Platz für bisher Vernachlässigtes einräumt.

„Die Geschichte der Kunst“ – anders als im Englischen hat der C.H.Beck Verlag für die deutsche Übersetzung von Charlotte Mullins Buch (engl. Original: „A Little History of Art“) einen Titel gewählt, der sicher nicht zufällig gleichlautend ist zu dem Klassiker von Ernst Gombrich (engl. Original: „The Story of Art“). Ein starkes Statement, dass den Anspruch erhebt, mit dem Klassiker in Konkurrenz zu treten oder vielleicht sogar ihn abzulösen.

Gombrichs Kunstgeschichte verdankt ihre seit mehr als 70 Jahren anhaltende Beliebtheit dem einzigartigen Gespür des Autors für die Psychologie der bildenden Künste. Er stellt kulturgeschichtliche Zusammenhänge und künstlerische Probleme klar und erzählerisch fesselnd dar. So wird die Geschichte der Kunst im Rahmen des klassischen Kanons als ein ständiger Wechsel künstlerischer Absichten erkennbar und jedes einzelne Kunstwerk als eingebunden in einen Traditionszusammenhang betrachtet.

In 70 Jahren haben sich neue Erkenntnisse ergeben, haben sich Standpunkte verändert. „Jede Generation, jede Zeit hat den Anspruch oder das Recht auf eine eigene Kunstgeschichte und Charlotte Mullins hat das genau gemacht“, so Thorsten Jantschek im Deutschlandfunk Kultur. „Man erfährt den schönen, großen Bogen der Kunstgeschichte, weil Charlotte Mullins die literarischen Mittel dazu hat.“ Charlotte Mullins erzählt Kunstgeschichte nicht im Sinne einer europäischen Fortschrittsgeschichte, stellt Jantschek fest. Vielmehr trägt sie Entwicklungen, Kunstwerke und Kunstschaffende aus aller Welt zusammen und stellt sie nebeneinander. Parallelität vor Kausalität, könnte man sagen, ohne jedoch die kausalen Zusammenhänge zu vernachlässigen. Mullins versteht es, Entwicklungen und Verwicklungen, Einflüsse einzelner Werke, Künstler und natürlich Künstlerinnen auf andere zu fassen und zu beschreiben.

Neben der außereuropäischen Kunst und postkolonialen Diskursen interessiert die Autorin der Blick auf die Rolle der Frauen in der Kunst. Sie erweitert den bestehenden Kunstkanon gleichberechtigt, integriert Künstlerinnen wie Lynda Benglis, Lavinia Fontana, Artemisia Gentileschi, Hilma af Klimt, Käthe Kollwitz oder Elisabetta Sirani und positioniert sie ganz selbstverständlich neben ihre männlichen Zeitgenossen in der bildenden Kunst. Eine feministische Dekonstruktion der Kunstgeschichte, die nicht spaltet, sondern gleichberechtigt nebeneinanderstellt und Zusammenhänge herstellt. Charlotte Mullins erzählt „Die Geschichte der Kunst“ anders als bisher. In ihrem reich bebilderten Buch definiert sie unprätentiös und unterhaltsam den Kanon der Kunstgeschichte neu und bringt ihn auf den Stand der Zeit. Um die aufgrund des begrenzten Umfangs sicherlich noch bestehenden Lücken zukünftig zu füllen, ist ihre Neudefinition eine gut recherchierte Grundlage. „Unkompliziert zu lesen und nicht nur etwas zum Nachholen, sondern gutes Basiswissen für jüngere Generationen, die sich ihre Meinung über Kunst gerade erst bilden,“ beurteilt Silke Hohmann in monopol.

Die Autorin

Charlotte Mullins ist freie Kunstkritikerin für verschiedene Magazine sowie für die BBC. Sie lebt in London.

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GLOBALER, WEIBLICHER, AKTUELLER: DIE NEUE AUFREGENDE KUNSTGESCHICHTE VON CHARLOTTE MULLINS Die Geschichte der Kunst, von der Frühsteinzeit bis heute, neu erzählt aus aktueller und globaler Perspektive: Charlotte Mullins bereichert die traditionelle Kunstgeschichte mit einem frischen Blick auf das Werk bisher vernachlässigter Künstlerinnen und Künstler und über den Tellerrand Europas hinaus. Die Geschichte der Kunst wurde bisher überwiegend aus eurozentrischer Perspektive erzählt – höchste Zeit für eine Neubetrachtung. Charlotte Mullins nimmt uns mit auf eine weitgespannte Zeitreise, die bei den ersten Bildzeugnissen vor 100 000 Jahren beginnt und bei jüngsten Phänomenen wie NFTs aufhört. Neben den klassischen Meisterwerken wie der Mona Lisa oder van Goghs Selbstporträts sind gleichrangig auch die Nok-Terrakotten Nigerias, die chinesische Terrakotta-Armee oder die Kunst der Azteken enthalten. Mit spielerischer Leichtigkeit wird unser Horizont entschieden erweitert und ein neues Verständnis dafür geweckt, welch wichtige Rolle die Kunst in unserer kollektiven Kultur und Geschichte spielt. Äußerst lebendig und anschaulich findet die Autorin zum Auftakt eines jeden Kapitels einen szenischen Einstieg, der uns in eine Töpferwerkstatt des antiken Griechenlands versetzt, mit dem venezianischen Künstler Giovanni Bellini auf die Reise zu Sultan Mehmet nach Konstantinopel entführt oder Käthe Kollwitz in ihrem Berliner Atelier über die Schulter blicken lässt. Das neue, umfassende Standardwerk für alle, die an Kunst interessiert sind und mehr darüber erfahren möchten. Ein All-Age-Buch für alle Kunstinteressierten Eine zeitgemäße Kunstgeschichte – „Gombrich updated“ Ein Blick über den Tellerrand Europas hinaus Integriert bisher vernachlässigte Positionen Eine spannende Reise durch 100 000 Jahre Kunstproduktion, von den ersten Artefakten bis heute

464 S., 173 farb. Abb., 15,8 x 24 cm, geb., dt., Verlag C. H. Beck 2023

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Luxusausgabe

Seit über 70 Jahren ist Ernst Gombrichs Werk ein Weltbestseller. Die unübertroffene Einführung in die Kunstgeschichte, von frühesten Höhlenmalereien bis zur Kunst des 20. Jahrhunderts, ist ein Meisterwerk voller Klarheit und persönlicher Erkenntnisse. Diese Luxusausgabe mit ihrem besonderen Stoffeinband und einem Vorwort von Professor Gombrichs Enkelin Leonie ist das ideale Geschenk für alle Kunstliebhaber – ein Schatz, der mit Sicherheit auch zukünftige Generationen inspirieren wird.“

688 S., 413 farb. Abb., 17,9 x 25,2 cm, geb., dt., Phaidon 2024

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