Buchtipp

Wider die Trennung von Kunst und Leben

Beuys im 21. Jahrhundert

Joseph Beuys (1921–1986) hat als Zeichner, Bildhauer, Lehrer, Politiker, Aktivist, Aktions- und Installationskünstler die Kunst des 20. Jahrhunderts grundlegend verändert. Mit seinem „erweiterten Kunstbegriff“ sprengte er die Trennung von Kunst und Leben. Zu Lebzeiten als Künstler von Weltruhm gefeiert und als „Scharlatan“ angefeindet, prägte und polarisierte er die zeitgenössische Kunst. Der 100. Geburtstag von Joseph Beuys in diesem Jahr bietet Anlass, sein komplexes Wirken und seine internationale Ausstrahlung neu zu entdecken, zu würdigen und kritisch zu befragen. Neben zahlreichen Ausstellungen bieten auch viele Publikationen dazu Gelegenheit. Wir stellen Ihnen eine Auswahl daraus vor.

Joseph Beuys Werkübersicht 1945–1985Der Verleger, Beuys-Kenner und -Sammler Lothar Schirmer, der schon seit Teenager-Tagen in Kontakt mit Joseph Beuys stand und sich ihm freundschaftlich verbunden fühlte, hat dessen Werk mit Publikationen begleitet und Arbeiten des Künstlers gesammelt (von denen er mittlerweile einen großen Teil dem Lenbachhaus in München zur Verfügung gestellt hat). Aus der Backlist von 15 Beuys-Büchern wählte er den 1996 erstmals erschienenen Band „Joseph Beuys. Werkübersicht 1945– 1985“, um ihn als Sonderausgabe zum 100. Geburtstag des Künstlers neu aufzulegen. Das Buch bietet einen idealen Einstieg in die Beuys’sche Denk- und Vorstellungswelt und das von ihm hinterlassene Werk in all seinen vielfältigen Metamorphosen. 152 Abbildungen aus allen Schaffensbereichen des Künstlers werden von einem ebenso klugen wie sachkundigen Text von Alain Borer begleitet.

Joseph Beuys - Kunst, Kapital, RevolutionEinen etwas anderen Überblick über das Gesamtwerk des Künstlers liefert Philip Ursprung, Professor für Kunst- und Architekturgeschichte an der ETH Zürich. In seinem bei C.H. Beck erschienenen Band „Joseph Beuys. Kunst Kapital Revolution“ gelingt es ihm eindrucksvoll, Beuys’ Werke aus der zeitlichen Distanz im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhang der Bundesrepublik Deutschland zu verorten. Dafür begibt sich Ursprung auf eine zeithistorische Reise zu 24 zentralen Beuys-Schauplätzen und ermöglicht ein neues Verständnis von entscheidenden Aktionen und Projekten wie z.B. „I like America and America likes me“, „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“ oder „7000 Eichen“.

Joseph Beuys – Poster und PlakateZu Beuys umfangreichem Œuvre sind auch die in der Publikation „Joseph Beuys. Plakate“ zusammengestellten Poster zu zählen. Stets war der Künstler an einer großen Öffentlichkeit interessiert und nutzte dieses Medium ausgiebig. Als Multiplikator seiner Kunst verschaffen die Plakate einen einzigartigen Überblick über seine Arbeiten, Aktionen und Ausstellungen sowie sein Engagement für Politik und Gesellschaft. Der Band von Rene S. Spiegelberger, Mitglied im Kuratorium Schloss Moyland, und dem Künstlerplakate-Sammler Claus von der Osten enthält neben zahlreichen Tafelabbildungen ein vollständiges und autorisiertes Verzeichnis sämtlicher zu Lebzeiten Beuys‘ entstandener Plakate.

Zeige deine Wunde Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys„Zeige deine Wunde“ lautet der Titel eines Films, in dem sich Rüdiger Sünner dem Aspekt der seelischen und körperlichen Verletzlichkeit des Menschen in den Arbeiten von Joseph Beuys nähert. Der Titel zitiert eine Installation, die im Wesentlichen Therapie und Heilung thematisiert, sowie ein neuzeitliches Memento mori, das auf Krankheit, Schwäche, Alter und Sterblichkeit verweist. Joseph Beuys hegte tiefes Interesse für Mythologie, Schamanismus, Anthroposophie, Alchemie und Mystik. Wie die alten Mythen, so bewegte er sich in Bildern und Symbolen, die für ihn wichtige Quellen zur Entwicklung unserer verkümmerten Imagination waren. Als „verwunde-ter Heiler“ im Sinne C. G. Jungs wollte er unser zunehmend auf ökonomische Ziele und rationale Effizienz reduziertes Bewusstsein durch seine Arbeiten erweitern. Sünner nimmt Zuschauende mit auf eine Reise zu dem „verwundeten Heiler“ Beuys, zu Orten und Landschaften seiner Kindheit sowie nach Irland und Schottland, wo er wichtige Impulse durch die keltische Kultur empfing. Vor allem aber zu seinen Hauptwerken, die gerade in unserer auf Effizienz und ökonomische Verwertbarkeit ausgerichteten Zeit erneut zu Objekten der Meditation werden können.

Jeder Mensch ist ein KünstlerUnter den zahlreichen Ausstellungen, die Joseph Beuys in diesem Jahr würdigen, stand die der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf (K20, bis 15. August 2021) unter dem Titel „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Der begleitende Katalog bietet in 13 Kapiteln einen tiefgreifenden Einblick in das kosmopolitische Denken von Joseph Beuys, wie es sich in seinen Aktionen manifestierte, die in Form von Videoprojektionen und Fotografien präsentiert wurden. Denn dort – als handelnde, sprechende und sich bewegende Figur – untersuchte Beuys die zentrale und radikale Idee seines erweiterten Kunstbegriffs. Das Ziel seines universalistischen Ansatzes war es, die Gesellschaft von Grund auf zu erneuern. Bis heute ist sein Einfluss in künstlerischen und politischen Diskursen spürbar. In der Ausstellung traten zeitgenössische Künstler*innen neben Vertreter*innen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft mit dem agierenden Beuys in einen vielschichtigen, transkulturellen Dialog. Von heute aus bestätigen, befragen und erweitern sie seine Thesen zu den Möglichkeiten einer von der Kunst her gedachten Zukunft.  Dazu gehören B-Town Warriors, Phyllida Barlow, Nelly Ben Hayoun-Stépanian, Fatou Bensouda, Huma Bhabha, Dineo Seshee Bopape, Angela Davis, Dusadee Huntrakul, Charles Foster, Núria Güell, Donna Haraway, Raphael Hillebrand, Jenny Holzer, Michel Houellebecq, Mierle Laderman Ukeles, Zoe Leonard, Goshka Macuga, Tuan Andrew Nguyen, Milk Tea Alliance, William Pope. L, Tejal Shah, Vandana Shiva, Santiago Sierra, Patti Smith, Edward Snowdon, Christopher D. Stone, Suzanne Lacy, The Otolith Group, Thich Nhat Hanh, Greta Thunberg, Malala Yousafzai.


Wer sich darüber hinaus einen weitreichenden Überblick über die Aktivitäten im Beuys-Jahr verschaffen möchte, wird hier fündig: https://beuys2021.de.

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Anlässlich des 100. Geburtstags von Joseph Beuys begibt sich Philip Ursprung auf eine Reise zu 24 zentralen Werken dieses produktiven und schlagfertigen Künstlers, der mit griffigen Parolen wie „Jeder Mensch ist ein Künstler“, „erweiterter Kunstbegriff“ oder „soziale Plastik“ in die Kunstgeschichte einging.

ca 336 S., m. ca. 100 Abb., 17 x 24 cm, Leinen, dt., Verlag C. H. Beck 2021

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Der Aktionskünstler, Bildhauer, Kunsttheoretiker und Pädagoge Joseph Beuys, zeitlebens umstritten, anstößig im besten Sinne, wollte berühren und berührbar sein. In Zeiten von Post- und Postpostmoderne, zwischen Naturalismus, Ironie und Pop à la Jeff Koons erinnert der Film an Potenziale der Kunst, die im Verschwinden begriffen sind.

PAL, Dolby Stereo, dt., 85 Min. absolut medien 2015

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