In den Tapisserien von Margret Eicher wachsen Zeitgenössisches und Barockes zusammen
Gipfeltreffen im Tapisserie-Format: In ihrem Werk „Lob der Malkunst“ versammelt Margret Eicher die Schauspielerin Scarlett Johansson sowie die beiden Malerstars Martin Kippenberger und Gerhard Richter an einem symbolträchtigen Ort. Schauplatz des imaginären VIP-Meetings: die Charlottenburger „Paris Bar“, in den 1980er-Jahren Szene-Treffpunkt der West-Berliner Künstlerszene.
Das von einem opulenten barocken Rahmen eingefasste Interieur ist in mehrerlei Hinsicht raffiniert und mehrschichtig. Zunächst technisch: Mithilfe eines Bildbearbeitungsprogramms hat Eicher den Wandteppich bis ins letzte Detail kreiert und anschließend in einer hochspezialisierten Jacquard-Weberei in Belgien herstellen lassen. Nicht vom Webstuhl zum Computer ist hier die Entwicklung verlaufen, sondern umgekehrt. Schon das überraschend. Überraschender noch die Konstellation des Trios, denn Martin Kippenberger ist bereits 1997 gestorben, und zwischen Scarlett Johansson und Gerhard Richter gibt es, abgesehen von ihrer Prominenz, keine Berührungspunkte.
Das Bilderrätsel wird verständlicher, wenn man erfährt, dass die mit Lorbeer und Posaune ausstaffierte Schauspielerin ein freies Zitat von Jan Vermeers Schlüsselwerk „Die Malkunst“ ist. Während sich der Barockmaler aus Delft in dieser Atelier-Allegorie per Rückenansicht selbst zum Bildgegenstand machte, verzichtet Eicher auf diese Form der Präsenz. Stattdessen verwandelt sie die „Paris Bar“ in einen musealen Raum, wo die Namen verschiedener Stil-Etikettierungen vom Bemühen der Wissenschaft künden, die vagabundierende Malerei im begrifflichen Gehege einzufangen. Mit Gerhard Richter und Martin Kippenberger prallen zudem kontroverse Künstlertypen aufeinander; hat der eine, Richter, eine unauffällige Erscheinung durch und durch, an einem der Tische Platz genommen, so posiert der andere mit Dinner-Jacket und Sonnenbrille in ostentativer Pose für den Betrachter. Damit nicht genug der Bezüge und Anspielungen: Mit ihrer digitalen Collage zitiert Margret Eicher ein Werk Kippenbergers; sein Interieur mit dem Titel „Paris Bar“ ließ der begnadete Provokateur 1991 von dem Berliner Filmplakatmaler Götz Valien erstellen. 1000 Mark Honorar erhielt Valien dafür. 2009 wurde das Bild bei Christie’s für umgerechnet 2,7 Millionen Euro versteigert.
Gewiss sind damit nicht alle denkbaren Assoziationen in Eichers „Lob der Malkunst“ ausgeschöpft. Die Berliner Künstlerin, 1955 im rheinischen Viersen geboren, in den 1990er-Jahren mit ihren „CopyCollage“-Serien bekannt geworden, gehört zu jener raren Sorte von Konzept-Artisten, deren Werke das Auge ebenso stimulieren wie den Verstand. Davon kann man sich derzeit im Münchner Museum Villa Stuck überzeugen, wo ihre Ausstellung „Lob der Malkunst“ noch bis zum 22. November zu sehen ist (ab Mitte Januar im Haus am Lützowplatz, Berlin). Die Villa des Münchner Malerfürsten Franz von Stuck (1863 bis 1928) bietet den idealen Resonanzboden für Eichers Kunst. Eine wunderbare Koinzidenz zum einen, dass Stuck seine Weihestätte der Kunst mit mehreren Brüsseler Tapisserien ausstatten ließ. Es gibt also eine direkte Verbindung zwischen dem Symbolisten des frühen 20. Jahrhunderts und der Symbolistin des frühen 21. Jahrhunderts. Mehr noch: Stucks Neigung zum Gesamtkunstwerk, sein Hang zu Symbolik und Allegorie, seine Vorliebe für erotische Darstellungen – all das kehrt in den Medientapisserien Eichers wieder und verbindet sich mit Anleihen aus Film, Werbung, Popmusik und Comic zu einem schillernden Amalgam.
Nicht aller Tage begegnet man einer Künstlerin, die auf so vertrautem Fuß mit der bildnerischen Tradition steht. Das ließ sich schon im vergangenen Jahr beobachten, als Margret Eicher gemeinsam mit drei anderen Künstlerinnen in Schloss Caputh (bei Potsdam) ein Rendezvous von Barockzeitalter und zeitgenössischem Schaffen in Szene setzte. Im Zuge dieser „B.A.R.O.C.K.“-Präsentation hatte Eicher beispielsweise den Rapper Snoop Dogg und ein Pin-up-Girl zu Komplizen eines Jägers aus einem Gemälde von Thomas Gainsborough gemacht. Derweil wurde die Super-Heldin „Wonder Woman“ mit Hilfe einer Spiegel-Installation an das Deckengemälde des Festsaals projiziert.
Eher eine Ausnahme im Œuvre von Eicher, das mittlerweile überwiegend im Zeichen der Wandteppiche steht. Obwohl prominente Künstler wie Hans Arp, Georges Braque, Salvador Dalí, Sonia Delaunay oder Picasso vereinzelt Tapisserien entworfen haben, muss man einräumen, dass diese Technik bestenfalls eine Nische innerhalb der gegenwärtigen Kunstproduktion einnimmt. Dabei gehört die Weberei zu den ältesten Handwerkskünsten der Menschheit. Ihre Blütezeit erlebten die Tapisserien und Gobelins in der Renaissance und im Barock. Ganze Ensembles, meist mythologische oder allegorische Szenen, schmückten die Wände repräsentativer Gebäude. Als Ausweis von Aristokratie, Reichtum und Bildung waren die Tapisserien ein Privileg der Oberschicht. So entbehrt es nicht der Ironie, dass dieses einstige Elite-Medium in den Collagen von Margret Eicher eine nahtlose Synthese mit der Populärkultur eingeht.
Das Besondere ihrer Kunst besteht darin, dass sie es nicht bei historischen Zitaten belässt. Vielmehr verschmelzen in ihren Tapisserien verschiedene ikonografische und formale Ebenen: barocke Ornamentik und Comic-Sprechblasen, alte und neue Kunst, Historisches und Gegenwärtiges, antike Helden und zeitgenössische Ikonen. Statt von einem Zitat sollte man besser von einem Akt der Aneignung sprechen. „Freche Kopie!“, der Titel einer früheren Serie kommt nicht von ungefähr: Mit Respekt vor ihren Vorgängern, aber ohne Scheu und falsche Ehrfurcht holt Eicher die alten Meister vom Sockel herunter, wie jetzt in der Villa Stuck zu erleben: So wird Tizians „Mariä Himmelfahrt“ aus der venezianischen Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari in ihrer Version zur „Assunta“, deren Zentrum die Popsängerin Madonna einnimmt. Beim „Urteil des Paris“ verdankt sich das Setting des antiken Jünglings, der entscheiden muss, welche Göttin die schönste ist, einer Versace-Werbekampagne. Und im Werk „Göttliche Liebe“ posiert der leidende Jesus aus Caravaggios „Dornenkrönung Christi“ Seit‘ an Seit‘ mit einem sich küssenden schwulen Paar. Freilich handelt es sich nicht bei allen Arbeiten der Künstlerin um kreative Adaptionen mythologischer Stoffe oder Inkunabeln der Kunstgeschichte. Ihre jüngst entstandene Digitale Collage „Agent Assange“ beispielsweise präsentiert den umstrittenen WikiLeaks-Journalisten Julian Assange ohne (offensichtliche) kunsthistorische Referenz. Flankiert wird Assange, dem Eicher auf diese Weise „ein Denkmal setzen will“, von den vier Protagonisten der US-Comicserie „Ninja Turtles“ – „subkulturelle Agenten im Kampf gegen Protagonisten des Bösen“, so die Künstlerin, die in den barock gerahmten Kartuschen der Tapisserie die wichtigsten Enthüllungsakten des Politaktivisten nennt. Aufschlussreich dann aber doch, dass die vier mutierten Comic-Schildkröten, die in der Kanalisation New Yorks leben, ausgerechnet auf die Namen Leonardo, Donatello, Raffael und Michelangelo hören.
„Die Fortsetzung der Malerei mit anderen Mitteln und die erweiterten Ressourcen der elektronischen Bildarchive sind Grundlage meiner Arbeit“, erklärt die Künstlerin. Gern spricht sie von der „diskursiven Funktion der Malerei“. Eicher: „Indem Fragmente historischer Gemälde in die digitale Mediencollage verwoben und mit aktuellen Fantasy- und Game-Ikonografien verbunden werden, zeigen sie die Kontinuität der (gesellschaftlichen) Mythen, der ikonologischen Stammbäume und Genealogien.“ Die „Sittengemälde der Gegenwart“, wie sie es nennt, gehen auf die Kunstgeschichte zurück und sind zugleich verankert in den „liberalen Medien- und Konsumkulturen“. Freimütig räumt Margret Eicher ein, dass sie fasziniert ist von der „grellen, verlogenen Schönheit der High-End-Oberflächen, in der sich Zeitgeschehen und Menschenbild und immer wieder die Geschlechterrollen spiegeln“.
Was die Künstlerin mit der „Schönheit der High-End-Oberflächen“ meint, mag ihre – bereits erwähnte – Variation des Paris-Urteils vor Augen führen. Geht es in der mythologischen Episode um die Entscheidung von Paris, wer unter den drei Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera die ultimative Beauty-Queen ist, so hat Eicher die eigentlichen Hauptfiguren in den Hintergrund gerückt. Dominant dagegen die Models einer Versace-Werbekampagne, darunter ein femininer Mann mit langem Haar, der als Paris schon deswegen kaum in Betracht kommt, weil er den nackten Göttinnen den Rücken zuwendet. Noch greller die drei Rahmenfiguren, die als „Karyatiden“ in die klassische Säulenarchitektur der Bordüre integriert sind: Lady Gaga, Madonna und Lara Croft /Angelina Jolie absorbieren förmlich die Aufmerksamkeit des Betrachters dank ihrer entschiedenen, sexuell aufgeladenen Posen. Im unteren Bordürenbereich verweist die Menü-Leiste eines Computerspiels auf die Künstlichkeit dieser Inszenierung.
Wieviel Wirklichkeit vermittelt die mediale Darbietung der Welt, wie sie uns auf allen möglichen digitalen Kanälen erreicht? Was ist real, was ist simuliert? Davon handelt Eichers Tapisserie „It’s a Digital World“. Das hochrechteckige, zweigeteilte Bildfeld zeigt im oberen Bereich den Comic-Kraftprotz „Hulk“, der mit einem Hai kämpft – eine Entlehnung aus einem Computerspiel. Unter Wasser sieht man ein Mädchen, das, vom Kampf der Giganten unberührt, völlig in sein Tablet vertieft ist. Angereichert hat Eicher diese dynamische Montage mit Zitaten des französischen Philosophen Jean Baudrillard, dessen Denken um das Verhältnis von Zeichen und Wirklichkeit kreist. „Simulation hat nur an der Oberfläche Ähnlichkeit mit dem Gegenstand, den sie imitiert“, heißt es (in englischer Sprache). „Hyperrealität entsteht ohne Provenienz in der Realität.“ Als Wanderer zwischen den Welten ist Margret Eicher mit beiden Sphären bestens vertraut. Ihre gewebten Metamorphosen entführen in ein Zwischenreich, das zu erkunden lohnt.
Auf einen Blick
Ausstellung
Margret Eicher. Lob der Malkunst
Ort: Museum Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, 81675 München
Dauer: verlängert bis 22. November 2020
Internet: www.villastuck.de
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag: 11–18 Uhr
Montag geschlossen
Katalog
Im Verlauf der Ausstellung erscheint ein Katalog mit Texten von Michael Buhrs und Marc Wellmann, künstlerischer Leiter des Haus am Lützowplatz, Berlin, sowie Neuaufnahmen und Installationsansichten aller im Museum Villa Stuck gezeigten Arbeiten.
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