Die Hamburger Künstlerin Caroline von Grone betreibt Porträtmalerei mit einem konzeptuellen Twist. Die dabei entstehenden Gesellschaftsbilder sind, abgesehen von ihren malerischen Qualitäten, durchaus auch politisch unterfüttert.
Ortstermin bei der Malerin Caroline von Grone. Die 1963 in Hannover geborene Hamburger Künstlerin hat in einem für jedermann einsehbaren Glascontainer des Lehmbruck Museums im Duisburger Kantpark ihr temporäres Atelier eingerichtet. Seit dem Ende ihres Studiums an der Akademie in Düsseldorf malt von Grone vorwiegend Porträts. Außerdem entstehen „landschaftliche Stadtstillleben“, häufig in Form von Langzeitbeobachtungen von Bäumen, Sträuchern oder Architekturen im Kontext städtebaulich geprägter Strukturen wie U-Bahnhöfen, Siedlungen, einem Abfallwirtschaftshof oder Grünanlagen.
„Ich glaube, dass ich beim Porträtieren wie ein Seismograph funktioniere.“
Insbesondere das Malen nach dem menschlichen Modell in ganz unterschiedlichen Situationen und an wechselnden Orten ist für die Künstlerin selbstverständlich. In Duisburg begegneten ihr jetzt die unterschiedlichsten Besucher des Parks: Passanten, Obdachlose, Hundebesitzer, Drogenabhängige, Museumsleute, Gärtner und viele andere.
„Ich glaube, dass ich beim Porträtieren wie ein Seismograph funktioniere. Ich versuche, das zu zeigen, was ist, und weder etwas hinzuzudichten noch etwas wegzulassen. Es geht mir um eine lichthaft präzise, aber nicht penibel genaue Naturdarstellung, bei der die malerisch-abstrakte Konstruktion der Bilder von besonderer Bedeutung ist“, so von Grone.
Was sie damit meint, versteht man schnell, wenn man ihre Gemälde aus unterschiedlichen Entfernungen betrachtet. Was aus der Nähe wie eher intuitiv verteilte Farbe erscheint, zieht sich aus der Distanz betrachtet viel stärker zusammen und entfaltet so eine enorme Geschlossenheit.
Das Duisburger Malprojekt ist eingebettet in von Grones seit 2014 fortlaufend entstehende Serie double reflection, in deren Rahmen sie von jedem Modell gleich zwei Porträts erstellt. Das eine entsteht zügig nach einem Foto des Porträtierten als Ölskizze. Das andere während mehrstündiger Modellsitzungen. Als Bildträger dient jeweils eine weiße oder farbig grundierte Leinwand.
Warum diese zweigleisige Strategie? Caroline von Grone interessiert sich für die unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen: einerseits die zweidimensional wirkende Skizze, andererseits dann die sehr viel malerischer aufgefasste, in der Regel farblich intensive Ausarbeitung des lebendigen Gegenübers. Die Idee zu der Serie basiert auf einem medizinischen Phänomen. Manche Menschen verlieren nach einer Kopfverletzung die Fähigkeit, Fotografien als Abbilder des Realen wahrzunehmen. Sie erkennen sie dann nur noch als Farbe auf Papier. „Diese extreme Kluft in der Lesbarkeit der Dinge veranlasste mich, Arbeiten zu entwickeln, in welchen diese Wahrnehmungsdifferenz thematisiert wird“, so von Grone.
Während der Arbeit im temporären Atelier in Duisburg ist jetzt ein rundes Dutzend ausdrucksstarker Doppelporträts von Nutzern des Parks entstanden. Die „Parkgesichter“ wurden im Museum Lehmbruck als Block auf einer rund um die Uhr auch von außen einsehbaren Wand präsentiert. Ausstellungen in der Galerie Holger Priess in Hamburg (ab September 2016) und in der Galerie m in Bochum werden folgen.
Caroline von Grone hat am Ende ihres Studiums begonnen, Porträts zu malen. Auf der Suche nach einer zeitgemäßen Praxis ihrer Malerei, wollte sie sich sowohl von rein abstrakt arbeitenden Kollegen als auch von den spielerisch ironischen Positionen um Martin Kippenberger abgrenzen, gleichzeitig aber auch einen Bezug zu einer von der Minimal Art geprägten Malerei erarbeiten.
„Anfang der 1990er Jahre gab es bei mir eine richtungsweisende Entscheidung“, sagt sie im Rückblick. Gegenständliche Malerei nach der Beobachtung konzeptuell aufzufassen – ein damals einsames Unterfangen. An der Düsseldorfer Akademie stand seit den 1980er-Jahren die Fotografie-Klasse von Bernd und Hilla Becher im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. „Da gab es viele malereigeschichtliche Reflexionen“, sagt Caroline von Grone. „Ich habe mich dann gefragt, warum eigentlich die Fotografen gegenständlich fotografieren, die Maler aber gleichzeitig abstrakt malen sollen. Das war für mich nicht richtig logisch. Mich trieb vielmehr die Frage an, ob man Malerei über die Beobachtung auch konzeptuell betreiben kann. Oder anders gesagt: Wie kann ich das Medium Malerei, ihre Kritik und Geschichte in einer reflektierten Form abbildend benutzen?“
Ihre Porträts wurden von einem ihrer Professoren, Jan Dibbets, als konzeptueller Weg nach anfänglichem Zögern befürwortet. Korrekturgespräche mit Gerhard Richter waren wichtig. Aus der Klasse von Klaus Rinke wiederum hat sie sich ihr Interesse an performativen Aktionen und skulpturalen Strategien erhalten.
Nach dem Studium suchte sich Caroline von Grone ihre Motive in ihrem nahe gelegenen öffentlichen Umfeld: unter anderem in U-Bahnstationen, in denen sie direkt vor Ort ihre Staffelei manchmal auch auf dem Bahnsteig aufstellte, um öffentlich zu malen. Wiederholt hat sie diese Prozesse ausgestellt wie 2000 in „I believe in Dürer“ für die Kunsthalle Nürnberg und 2003 in „deutschemalereizweitausenddrei“ im Frankfurter Kunstverein.
Vom großformatigen Einzelbild hat sie sich heute weitgehend verabschiedet. Sie arbeitet mittlerweile bevorzugt in Serien, in modulartigen Formaten, die sie dann paarweise oder in größeren, teilweise installativen Zusammenhängen präsentiert.
Bei den Farben bleibt sie klassisch: „Alles immer schlicht und ergreifend Ölfarbe. Keine Effektfarbe, weder Silber noch Neon noch sonst irgendetwas. Ich kaufe einfach möglichst gute Ölfarben und versuche, mit einer Technik zu arbeiten, die relativ stabil und materialgerecht ist.“
Von Düsseldorf zog Caroline von Grone über Stuttgart, München und Kiel schließlich 2010 nach Hamburg. 2007 lud sie der Kunstverein in Hamburg ein, für die Ausstellung „Gesellschaftsbilder“ ihr Konzept des performativen Malens in der Öffentlichkeit vorzustellen. Diesmal malte Caroline von Grone in einem weiß gekachelten Durchgangstunnel der Hamburger U-Bahn direkt vor dem Kunstverein farbintensive, großformatige Stillleben und kleine realistische Porträts von Passanten. Im darauffolgenden Sommer porträtierte sie Obdachlose und Besucher der Hamburger Bahnhofsmission in einer schwarz-weißen Ölmalerei.
2013 führte sie parallel zur Biennale eine öffentliche Malaktion in der protestantischen Kirche Chiesa Evangelica in Venedig durch. Hier malte sie, ausgehend von der Spiegelung eines männlichen Modells auf einer von ihr installierten großen Glasscheibes, das Motiv des Christus an der Geißelsäule. Einen aktuellen motivischen Subtext bildeten die von der Künstlerin aufgenommenen Fotografien von Opfern politischer Gewalt, die sie in die Bilder einfügte.
„Meiner Meinung nach hat jede künstlerische Arbeit auch eine politische Dimension. Indem man Kunst macht, macht man ja alles Mögliche andere nicht.“
Caroline von Grone fühlt sich einer unkonventionellen, humanistischen, einen malerischen Realismus reflektierenden Tradition verbunden: „Sowohl mein Menschenbild als auch die Vorstellung, dass alle Menschen letztendlich gleich sind, ist davon geprägt.“ Dass Malerei für sie daher auch eine gesellschaftliche Tragweite hat, belegt schon die Auswahl ihrer Themen und Protagonisten.
„Meiner Meinung nach hat jede künstlerische Arbeit auch eine politische Dimension. Indem man Kunst macht, macht man ja alles Mögliche andere nicht. Statt zum Beispiel Gewinnmaximierung zu betreiben, folgt man seinem eigenen inneren künstlerischen Faden. Ich versuche, möglichst viele Ebenen der sozialen Wirklichkeit zu reflektieren, gleichzeitig jedoch nicht nur ein anklagendes Moment zu haben.“
Für Caroline von Grone ist die Beobachtung des Modells ebenso zentral wie der Malakt selbst. Deshalb bevorzugt sie die allmähliche Annäherung an ihre Szenen oder Modelle in langen Sitzungen. „Ich möchte diesen Prozess zeigen, sich jemandem acht bis zehn Stunden zu widmen anstatt einmal „Klick“ zu machen und die Fotovorlage dann etwas zu bearbeiten.“ So arbeitet Caroline von Grone mit großer Kontinuität und Ausdauer an einem Werk, das ganz ohne modische Schnörkel auskommt. Ihren Claim hat sie in aller Beharrlichkeit selbstbewusst abgesteckt: „Ich denke, dass die Neuerfindungen in der Malerei sehr minimal sind und gerade auch ins Schicke abdriften. Ich finde, dass meine sachliche Art zu malen da innerhalb der ausgetretenen Pfade ganz spannende Möglichkeiten bereithält.“
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