Porträt

Erfinder seiner eigenen Welt

Alles andere als ein bloßer Abbilder: Der in Berlin lebende Aquarellmaler Andreas Mattern liebt den Ortswechsel – egal wo er ist, versucht er, aus dem, was er sieht, etwas Neues zu schaffen.

Ein Mann mit Wollmütze im Großstadtgetümmel. Er sitzt auf einem praktischen, olivfarbenen Rucksackstuhl, vor sich zwei auseindergefaltete Klappkisten. Auf der einen liegt eine Palette, daneben ein Becher mit Pinseln und ein Sprühfläschchen mit Wasser. „Die aus dem Friseurbedarf verwirbeln die Tropfen aufs Feinste“, sagt der in Berlin lebende Aquarellmaler Andreas Mattern, Jahrgang 1963. Vor sich auf der zweiten Kiste hat er einen Bogen bestes Aquarell-Papier liegen, auf dem mit gekonnten Handgriffen nach und nach das Motiv entsteht.

Berlin, Tauentzienstr., Watercolor 56/76 cm, Andreas Mattern,2016

Berlin, Tauentzienstr., Watercolor, 56/76 cm
© Andreas Mattern, 2016

Transparenz heißt das Stichwort. Auf deckende Farben wird in der klassischen Aquarellmalerei verzichtet. Nach und nach werden in Wasser gelöste Farbpigmente mit dem Pinsel lasierend aufgetragen, feinste Spritzer und Tropfen werden mit der Zahnbürste aufgebracht, das Blatt wird dabei immer mal wieder hochgehoben, gedreht und zwischendurch zum Trocknen hingelegt. So entstehen nach jeweils halbstündigen Trockenphasen bis zu sieben übereinandergelegte Schichten. Manche Aquarellisten beschleunigen den Trocknungsprozess mit technischen Mitteln, beispielsweise einem Föhn. Für Andreas Mattern jedoch ist das ein absolutes No-Go. Die Hitze zerstöre das Pigment. Die Trockenphasen betrachtet er keineswegs als verlorene Zeit. Sie gehören für ihn ganz einfach dazu. Es sind willkommene Unterbrechungen, in denen der konzentrierte Aquarellist auch immer wieder von seinem Blatt aufschaut, sich einem anderen Blatt zuwendet oder Kontakt mit den Menschen in seiner Umgebung aufnimmt – Andreas Mattern ist ein geselliger Mensch.

Der gebürtige Schweriner ist mit Leib und Seele Aquarellmaler. Der Autodidakt, der schon seit vielen Jahren in Berlin lebt, ist viel auf Reisen. Er sucht seine Motive in New York, in Wien, in Lissabon, im Hamburger Hafen, aber immer wieder auch in der Hauptstadt selbst, wo er das Rote Rathaus, den Fernsehturm oder den Berliner Dom aufs Papier bannt, farblich überhöht und verfremdet, angereichert um Kräne und zeitlos wirkende Autos. Selbst die überall in der Stadt anzutreffenden, oberirdisch verlaufenden, rosafarbenen Wasserröhren dürfen da nicht fehlen. Urbanität statt aufgehübschter Kiezidylle. „Mir ist es wichtig, dass ich an den Orten, die ich male, gewesen bin, sonst ist es nicht authentisch“, sagt Mattern, für den New York immer noch „die beste Stadt der Welt“ ist. Paris hingegen sei ihm zu romantisch. Damit aber bloß keine Routine aufkommt, hat er sich eines zum Prinzip gemacht: Wenn irgend möglich, besucht er jedes Jahr einen Ort, wo er noch nie zuvor war.

„Ich will nicht für irgendjemanden malen, sondern für mich.“

„Warum sollte ein gut gemaltes Bild etwas anderes sein als ein gut gespieltes Klavierstück?“ Das ist einer der Sätze, mit denen Andreas Mattern punktet, wenn er an verschiedenen Orten die Teilnehmer seiner Aquarellkurse in den Bann ziehen will. Er ist ein Mann der Praxis, aber auch ein Mann der Haltung. Diese auch den Teilnehmern seiner Kurse zu vermitteln, ist ihm ein wichtiges Anliegen. „Du kannst etwas schön finden, aber ohne die Haltung dahinter zu kennen, kann man nicht sagen, ob es eine Qualität hat“, sagt Andreas Mattern. Was er unter Haltung versteht? Er gibt ein Beispiel: „Ich will nicht für irgendjemanden malen, sondern für mich. Das sollte einer der Urinstinkte des Künstlers sein.“ Reine Auftragsarbeiten lehnt er daher ab.

Colmar (Frankreich), Watercolor 56/76 cm, Andreas Mattern, 2015

Colmar (Frankreich), Watercolor, 56/76 cm
© Andreas Mattern, 2015

Der künstlerische Prozess ist ihm wichtig, aber die Qualität der Aquarellmalerei erschöpfe sich nicht darin, etwas einmal Gelungenes endlos zu wiederholen. Jedes Blatt betrachtet er daher als einen neuen Aufbruch. Dass manchmal etwas seinen hohen Ansprüchen an sich selbst nicht genügt, gehört für ihn dazu. Dann schmeißt er es eben weg, ohne der investierten Zeit groß nachzutrauern. In Venedig hat er sogar einmal aus verworfenen Aquarellen Papierschiffchen gebaut. Man müsse sich vom Scheitern inspirieren lassen, sagt er dann.

Der Berliner Künstler ist Mitglied im WaterColorclub, einer Vereinigung von zeitgenössisch orientierten Aquarellmalern, die den Austausch pflegen, gemeinsam Ausstellungsprojekte planen und Kataloge produzieren.

„Ich versuche, aus dem, was ich sehe, etwas Neues zu schaffen.“

„Aquarell hat für mich viele Möglichkeiten“ sagt Andreas Mattern und fügt hinzu: „Ich versuche, aus dem, was ich sehe, etwas Neues zu schaffen.“ Dabei will er weder ein reiner Abbilder sein noch unbedingt mit seinen Bildern Geschichten erzählen. Wenn er einen Ort ausgewählt hat, setzt er sich erst einmal hin und schaut. Im nächsten Schritt kommt ein Auswahl- und Gestaltungsprozess in Gang. Andreas Mattern nimmt sich die Freiheit, Dinge einfach wegzulassen oder andere hinzuzufügen. Für ihn kommt es darauf an, im Malprozess den richtigen Rhythmus zu finden. Seine Bilder entstehen in einem Rutsch, spontan und ohne jede Vorzeichnung direkt auf dem Papier. „Es geht nicht um Genauigkeit“, sagt er. Viel wichtiger sei es ihm, eine bestimmte Atmosphäre und Dichte aufs Papier zu bringen.

Landschaft (um die Ahr) Watercolor 56/76 cm, Andreas Mattern,2015

Landschaft (um die Ahr), Watercolor, 56/76 cm
© Andreas Mattern, 2015

Als seine Lieblingsmaler nennt er Georg Baselitz, Martin Eder und William Turner. Dessen Freude am Experimentieren, Ausprobieren und Verwerfen, dessen Reiselust und seine Vorliebe für die Pleinair-Malerei an Ort und Stelle teilt Andreas Mattern. Dem Berliner Aquarellisten gefällt die Vorstellung, dass seine Blätter vielleicht in 200 Jahren einmal als Schätze auf einem Dachboden gefunden werden. Doch auch über eine museale Anerkennung zu Lebzeiten würde er sich freuen: „Eigentlich will ich noch in die Nationalgalerie“, sagt er mit einem verschmitzten Grinsen.

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Profile

Andreas Mattern zählt zu den erfolgreichsten und populärsten Aquarellisten Deutschlands. Der 1963 in Schwerin geborene Künstler hat seine Ausbildung an der dortigen Grafikschule begonnen. Heute lebt und arbeitet er in Berlin, bestreitet jährlich zahlreiche Ausstellungen, ist als Dozent an namhaften Kunstakademien im In- und Ausland tätig und hat diverse Publikationen zu den Themenbereichen Aquarell und Radierung veröffentlicht. Urbanität ist ein wichtiges Thema in Matterns Arbeiten, in denen sich leise Anklänge an den deutschen Expressionismus, Ernst Ludwig Kirchners Berliner Straßenszenen oder Oskar Kokoschkas Stadtporträts finden lassen.

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