Kolumne

Rendezvous
mit einer geheimnisvollen Unbekannten

Einladungen kann sie beharrlich ignorieren und wenn sie ungeduldig gerufen wird, zeigt sie garantiert die kalte Schulter. Nur sie selbst bestimmt den Ort und die Stunde des Wiedersehens. Und wenn sie auf Dauer fernbleibt, fühlen wir uns fast immer leer, ausgepowert und wie gelähmt.

Sie zeigt sich bei Nacht oder am Tage und fast immer nur dann, wenn wir sie am wenigsten erwarten. Sie klopft nicht an, kommt aber gern ganz plötzlich aus der Deckung: Beim Spaziergang etwa, beim Lesen oder Briefeschreiben, bei einer Diskussion, bei der Betrachtung eines Gemäldes oder einer Blume, bei einem Telefonat oder beim Vor-sich-hin-Träumen, beim Rasenmähen oder Brotbacken, beim Reparieren einer alten Uhr, beim Spielen oder beim Klang einer vertrauten Melodie. Manchmal kommt sie leichtfüßig daher wie ein laues, frühlingshaftes Lüftchen und manchmal bricht sie herein wie ein Orkan, der mit seiner zügellosen Kraft das Meer aufpeitscht und Bäume entwurzelt.

Erst einmal präsent, zeigt Sie unverhohlen ihren Charakter: Ihr Auftritt ist immer unberechenbar, fast schon rebellisch. Sie hasst Schubladendenken, Vorurteile, Ideologien und jede Form von Enge und Ängstlichkeit. Sie hat große Freude daran, Gewohnheiten in Frage zu stellen und manchmal macht es ihr gar Spaß, in unseren Köpfen Grenzen zu verschieben. Gern richtet sie ihren Blick über Hindernisse hinweg, denn das Land jenseits von Zäunen und Mauern ist ihr Lebenselixier.

Sie liebt das Fremde und das Unbekannte und scheut nicht die beschwerlichste Reise – immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen und Begegnungen. Zu ihren wichtigsten Eigenschaften gehört die Leidenschaft: Einmal in ihren Fängen, lässt sie erst wieder los, wenn sie sich am Ziele glaubt.

Ihre Lebendigkeit wirkt ansteckend, ihre Erzählungen sind fesselnd und spannend. Sie macht aufmerksam auf das, was wir mitunter übersehen oder gar geleugnet haben. Sie schätzt die alltäglichen Dinge des Lebens – richtet ihren Blick dabei aber auch auf das Neue, das Innere, das Wesentliche und das Individuelle. In einem jedoch ist sie unbeugsam: Sie verlangt bei jedem Rendezvous die unbedingte Beteiligung von Körper, Geist und Seele. Und immer wieder fordert sie uns auf, zu springen – und zwar ins Ungewisse, ohne jegliche Sicherheit. Wie alles im Leben kann der zu häufige Umgang mit ihr auch süchtig machen oder gar abhängig. Deshalb gilt: Gelegentlich tut Abstand not oder eine schöpferische Pause.
Immer wenn sie unsere Nähe sucht, ist das ein magischer und glücklicher Moment: Die Dinge scheinen dann zu fließen und sich zu verwandeln. Mit ihr im Gepäck fühlen wir uns erfinderischer, mutiger und leidenschaftlicher. Gemeinsam mit ihr sind wir in der Lage, diese Welt bunter zu machen und auf ganz persönliche Weise mitzugestalten.

Welche geheimnisvolle Gestalt verbirgt sich eigentlich hinter all diesen Worten? Ihr verheißungsvoller Name lautet: Kreativität.

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