Mathias Weis (* 1955) ist Künstler in Kassel und hat mit „Zwischen Leinwand und Hungertuch. Aus dem Alltag eines Malers“ ein extrem offenes und sehr aufschlussreiches Buch über das ganz normale Künstlerleben am breiten Fuß der Kunstwelt-Pyramide geschrieben. Per E-Mail haben wir ihn zu seiner Publikation befragt.
boesner: Herr Weis, wie ist Ihre Künstlerkarriere bisher verlaufen?
Dieses Auf und Ab ist also typisch für meine Malerkarriere.
Mathias Weis: Ich war sicherlich vorsichtig genug, nicht mit bürgerlich-herkömmlichen Karrierevorstellungen in diesen Beruf zu starten. Dennoch war mein Einstieg als Maler ungewöhnlich erfolgreich. Mir standen nach dem Studium in Kassel dank meines Professors Manfred Bluth viele Türen offen und so fand meine erste Ausstellung 1980 in der Ladengalerie Berlin statt, der Galerie der Schule der Neuen Prächtigkeit, der neben Bluth auch Köppel, Ziegler und vor allem Johannes Grützke angehörten. Dort ausstellen zu dürfen und dabei noch gut zu verkaufen, war ein großes Glück und ich genoss gleichzeitig in vollen Zügen die kulturelle Situation im Insel-Berlin, wenn ich mich beruflich dort aufhielt.
Ungeschicklichkeiten gemischt mit erheblicher Unzufriedenheit mit dem Kunstbetrieb und seinen Mechanismen haben dann aber schon nach wenigen Jahren dazu geführt, dass ich für eine längere Zeit nicht mehr auf dem Markt vertreten war und keine Verkaufsgalerie mehr hatte. Ich zog mich in mein Atelier zurück und besuchte Philosophieseminare an der Uni Kassel, vornehmlich zum Thema „Die Rolle der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft“. Ein Karriereknick war die logische Konsequenz und hielt bis in die 1990er-Jahre an.
Ich hatte mich in der Zwischenzeit auch künstlerisch verändert, vom naturalistischen zu einem seriell und konzeptuell arbeitenden, aber immer noch gegenständlichen Maler. Es war die damalige Leiterin der Neuen Galerie Kassel, Frau Dr. Heinz, die mir 1993 mit den neuen Bildern eine Einzelausstellung in ihrem Haus ermöglichte. Von da an stellten sich nach und nach wieder gewisse Erfolge ein, ein paar Kunst-am-Bau-Aufträge, auch kleinere Ausstellungen in anderen öffentlichen Einrichtungen. Doch selbst in dieser Phase musste ich hin und wieder finanzielle Durststrecken mit staatlicher Unterstützung überbrücken. Erst 2008 hat mich Hans Peter Nacke in das Programm seiner Galerie Epikur in Wuppertal aufgenommen, wo ich endlich auch regelmäßiger verkaufen konnte. Das war wieder ein Glücksfall, denn er war ein rühriger Galerist, der seine Künstler sorgfältig betreute und sie auch regelmäßig zu Messen mitnahm. Leider musste sich Hans Peter Nacke dann aber bereits 2012 aus gesundheitlichen Gründen aus seiner Galeristentätigkeit zurückziehen. Diese Lücke war kaum zu schließen und es gab erneut einen wirtschaftlichen Einbruch. Dieses Auf und Ab ist also typisch für meine Malerkarriere. Seit Kurzem vertritt mich nun die Galerie Falkenberg in Hannover, eine noch relativ junge Galerie. Darüber hinaus bin ich weiterhin auf der Suche nach Galerievertretungen.
boesner: Sie beschreiben den Alltag eines Malers, „der schon zu lange und mit geringem, aber dennoch zu viel Erfolg in diesem Beruf gearbeitet hat, um noch einmal etwas vollkommen Neues zu starten …“ Das klingt etwas resigniert. Warum haben Sie Ihren Beruf noch nicht an den Nagel gehängt?
Weis: Mit einem gesunden Vertrauen in meine Fähigkeiten und einer großen Neugier auf das, was mir in diesem Beruf begegnen würde, habe ich nach dem Studium als Maler begonnen. Damit, dass es letztlich so schwer werden würde, sich gleichzeitig neben so vielen anderen Künstlern beruflich durchzusetzen, habe ich in meiner Naivität nicht gerechnet. Dass der nötige Erfolg (nötig für ein einigermaßen befriedigendes Auskommen) zudem von vielen nicht von mir steuerbaren Umständen abhängig ist, habe ich erst mit der Zeit begriffen. Damit meine ich zum Beispiel die Förderung durch ein anregendes und passendes Umfeld und interessierte Sammler oder die Vertretung durch geeignete Galerien. Zudem habe ich möglicherweise selbst mein Vorankommen im einen oder anderen Fall behindert. Dennoch habe ich mich nach Durststrecken und Flops immer wieder mit eben dieser Neugier an neue Projekte gewagt und dabei auch gewisse Erfolge erzielt. Ein Selbstläufer ist meine Arbeit aber nie geworden – ich meine Selbstläufer in dem Sinne, dass sich einfach aus einer Ausstellung gleich die nächste ergeben hätte oder aus einem Verkauf der nächste.
Nicht umsonst ist ein Fazit meines Buches, dass ich meinen Beruf nicht wechseln werde.
Das Engagement für den Beruf deswegen komplett aufzugeben, lag trotzdem völlig außerhalb meiner Überlegungen. Es wäre daher falsch, diese Einsichten in die problematische Position des Malers am Fuß der Kunstbetriebs-Pyramide im Allgemeinen und in meinen eigenen relativ geringen Erfolg als Resignation zu begreifen. Ich bin bei der Beurteilung der Lage einfach nur sachlich. Nicht umsonst ist ein Fazit meines Buches, dass ich meinen Beruf nicht wechseln werde. „Es ist aus meiner Sicht gerade ein unschätzbarer Wert, sich bereits so lange auf ein Medium (die Malerei) eingelassen, es so verinnerlicht zu haben, dass ich es wie meine Sprache beherrsche und einsetzen kann“. Kurz: Mein Sprechen würde ich auch nicht aufgeben, nur weil man mir nicht immer zuhört.
Die im Buch erwähnte Aufforderung des Jobcenters übrigens, meine „Würstchenbude“ woanders aufzuschlagen oder eben gleich dicht zu machen, muss man gar nicht ernsthaft diskutieren.
boesner: Was hat Sie bewogen, ein Buch über das Leben eines Normalkünstlers zu verfassen?
Weis: Das Schreiben des Buches war, so unwahrscheinlich es klingt, eine spontane Entscheidung während einer Bahnfahrt. Ich hatte gerade das Buch von Sarah Thornton Sieben Tage in der Kunstwelt (Fischer, 2009) fertig gelesen und mich ziemlich geärgert über die Ansichten dieser britisch-kanadischen Kunstsoziologin. Sie beschreibt darin sieben Hotspots der Kunstszene, was durchaus interessant und lesenswert ist, denn es sind Bereiche, in die der normale Leser kaum vordringt (Christie’s, Biennale-Partys in Venedig, das Atelier des japanischen Künstler Takashi Murakami u.a.). Sie macht aber den Fehler, von ihren Beobachtungen auf die Kunstszene insgesamt zurückzuschließen. So schreibt sie unter anderem sinngemäß, dass es den Künstlern noch nie so gut gegangen sei wie heute und viele unter ihnen nun den Zweitberuf, also den, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdienten, an den Nagel hängen könnten. Ich machte an mir und meinem Umfeld gerade die umgekehrte Beobachtung: Der Boom geht an den Künstlern am Fuß der Kunstbetriebs-Pyramide völlig vorbei, es profitieren nur die bereits berühmten Kollegen, deren Arbeiten vornehmlich in den Portfolios der Sammler landen, die Kunst als Anlageobjekte begreifen. Ich wollte also an meinem Beispiel zeigen, wie der „Normalkünstler“ lebt, und das über einen Zeitraum von gut einem halben Jahr hinweg. Dass in diesen Zeitraum dann tatsächlich auch mein Hartz-4-Antrag fallen würde, war Zufall, würzte aber diese Beschreibung des Maleralltags mit einem zusätzlichen Aspekt und einer gewissen Dramatik.
boesner: Wen sprechen Sie mit Ihrem Buch an? Für wen schreiben Sie es?
Weis: An eine Zielgruppe habe ich anfangs nicht weiter gedacht, schließlich wollte ich mit dem Schreiben ja erst nur mein Mütchen kühlen.
Es sind aber sicherlich die Kollegen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden wie ich selber, am Fuß der Kunstbetriebs-Pyramide eben, die sich nachher für das Buch interessieren. Ich bekam in der ersten Zeit nach der Veröffentlichung immer wieder Briefe oder Mails zugeschickt von Freunden, in denen sie meine Erfahrungen bestätigten, ja, sie fühlten sich fast rührend betroffen von meiner Darstellung des Malerberufs. Einer der Briefe, die mich erreicht haben, von einem Studienfreund, der jetzt in Belgien lebt, ist am Ende des Buches noch als ein Beispiel eingebunden.
Sicherlich wäre es für mich ein schöner Erfolg, würde ich mit dieser Schilderung des Maleralltags auch solche Menschen erreichen, die sich in ganz anderen beruflichen Situationen befinden, solchen, in denen wirtschaftliche Effizienz, finanzieller Erfolg und Karriere eine wesentliche, aber kaum hinterfragte Rolle spielen. Gerade diese Personengruppe ist ein Hauptabnehmer von Sarah Thorntons Buch gewesen. Diese Art von Effizienz, Karriere und Erfolg ist in den Zeiten eines un gehemmten Turbo-Kapitalismus heute in allen Bereichen der Gesellschaft die treibende Kraft, leider zunehmend auch bei jungen Kunststudenten. Natürlich wünschte ich keinem von ihnen eine ähnlich schwierige berufliche Lage wie die meine. Doch wäre es wichtig für mich zu vermitteln, dass gerade der Beruf des Malers oder Künstlers eben nicht unter die Karriereberufe fällt, dass er andere Qualitäten besitzt als zur Absicherung der Lebensverhältnisse oder gar zur Gewinnmaximierung beizutragen. Und dass man vielmehr auch eine gehörige Portion Glück haben muss, um mit diesem Beruf sein Auskommen bestreiten zu können.
boesner: Sie setzen sich in Ihren Aufzeichnungen gnadenlos ehrlich mit sich selbst und Ihrem Berufsalltag auseinander. Wie ist es Ihnen beim Schreiben ergangen? Und vor allem: Wie konnten Sie sich überzeugen, dem Leser ungeschönten Einblick auch in die Momente des Scheiterns und finanzieller Krisen zu gewähren?
Diese realistische Mischung war mir ganz wesentlich.
Weis: Wollte ich Sarah Thornton wirklich etwas Ernsthaftes entgegnen, musste ich natürlich einigermaßen ehrlich mit mir als Studienobjekt umgehen. Zudem bin ich als Maler Realist und habe keine Scheu, Unbequemes darzustellen. Scheitern und Krisen, auch solche finanzieller Art, sind im Malerberuf aber ganz normale Phänomene, derentwegen ich mich nicht schämen muss. Sie werden nur viel zu selten eingestanden, denn damit glaubt man sich gleich als Künstler selbst in Frage zu stellen und seine Verkaufschancen zu mindern. Lieber plustert man sich auf und baut eine Erfolgsaura um sich auf. Es reizte mich aber auch einfach deswegen, diese Seite des Berufsalltages eines Malers zu zeigen, weil sie letztlich ziemlich unbekannt ist. Selbst meine wirtschaftliche Lage bis in die Details offenzulegen, fiel mir dabei nicht schwer. Schließlich musste ich ja eine ähnliche Offenheit dem Jobcenter gegenüber einhalten. Warum dann nicht auch gegenüber dem Leser? Nur manchmal musste ich mit mir kämpfen, dann, wenn es um das Eingeständnis eigener Fehler oder gar Dummheiten ging. Man stellt sich nicht gerne als Depp dar. Das waren jedoch die einzigen Momente, wo ich mich zusammenreißen und selbst überzeugen musste, sie offenzulegen. Glücklicherweise waren sie nicht allzu häufig. Selbst wenn ich mich letztlich als Schreibender in einem gewissen Sinne als Maler verfehle – Schreiben und Malen schließen sich zeitlich natürlich gegenseitig aus – denke ich doch, viel von meinem Maleralltag wiedergegeben zu haben, von lähmenden Arbeitskrisen bis zu fast euphorischen Entwicklungssprüngen, von spannenden Kunsterlebnissen in diversen Ausstellungen bis zu selbstkritischen Auseinandersetzungen mit der eigenen Arbeit. Daneben kommt aber eben auch der allerbanalste Alltag zur Sprache. Diese realistische Mischung war mir ganz wesentlich.
boesner: Lieber Herr Weis, vielen Dank für Ihre Antworten und ein lesenswertes Buch!
Zwischen Leinwand und Hungertuch
Aus dem Alltag eines Malers
Mathias Weis
Verlag HP Nacke 2014
306 S., m. 20 Fotos, 14,7 x 21 cm, kart., dt.
ISBN 9783942043458
Kommentare sind geschlossen.