Reinhard Michls Bilder und Illustrationen
Reinhard Michl lässt auf einem Bogen Aquarellpapier, aufgezogen auf einer Sperrholzplatte, Aquarellfarben verlaufen. Sie bilden zufällige Formen, erst kommen noch ein paar Spritzer hinzu, dann wird eingegriffen. Assoziationen stellen sich ein an andere Maler, für die der Zufall eine große Rolle gespielt hat, an Dadaisten und Surrealisten, abstrakte Expressionisten und Neue Realisten. Reinhard Michl lässt das Papier erst einmal trocknen, um es dann wieder in Augenschein zu nehmen. Mit Pinseln und Stiften vervollständigt er eine Form, zieht dort einen Kontur, bis das Bild für ihn fertig ist, das vor allem aus Rot- und Blautönen besteht und in seinen Formen explosiv wirkt.
Das ist nur eines von Michls vielen Aquarellen, die man nicht erwartet, wenn man vor allem den Buchillustrator mit seinen minutiösen Zeichnungen kennt. Bei einem fast dreimonatigen Aufenthalt im „Virginia Center of the Creative Arts“ im Jahr 2009 entstehen viele dieser freien Arbeiten und nicht auf allen entdeckt Michl etwas Gegenständliches. Manche bleiben auch abstrakt.
In einem Aquarell von 2018 verdichten sich die fließenden Farben zu einem Bild, in dem der Illustrator, aber auch der Sprachspieler in Erscheinung tritt. Several Cocktails zeigt keine Gläser voll mit bunt schillernden Getränken, sondern vor allem das Gesicht eines Mannes, das so aussieht, als habe er die diversen Cocktails alle schon intus. Auf seinem Kopf sitzt ein Hahn, einen zweiten hält der Mann in der Hand und damit einen Cock-tail, einen Hahnenschwanz. Besonders die Hähne und ihre Schwanzfedern, aber auch das Gesicht des Mannes sind so detailliert ausgeführt, dass eine Verbindungslinie zum Illustrator Michl hergestellt werden kann, der selbst sagt, dass ein großer Unterschied zu den illustrativen Arbeiten besteht, weil er das Bild vorher nicht konzipiert: „Ich lasse Farbe drüber laufen, je nach Gusto, Grau, Rot – mische die auch immer. Wenn man dem nachgeht, kann man daraus irgendwann eine Form erkennen. Und wenn man die intensiver nacharbeitet, dann gestaltet sich auf einmal ein Bild, von dem ich vorher gar nicht wusste, dass ich das machen werde.“ (Aus einem Gespräch mit Niels Beintker, gesendet in Bayern 2 am 16.6.2018)
Weniger bekannt sind auch die Skizzenbücher, inzwischen weit über hundert, die er seit der ersten Reise nach Schottland 1968 immer bei sich führt, egal ob er gerade mal wieder auf Reisen ist, sich im oberbayerischen Uffing am Staffelsee aufhält oder in München in einem Lokal ein Bier trinkt. In diesen Skizzenbüchern hält er alles fest, was ihn interessiert. Und so finden sich darin interessante Typen, sei es in Athen, Damaskus oder Uffing. Großen Raum nehmen die Skizzen aus Lesvos ein, einer griechischen Insel, auf die Michl seit vielen Jahren fährt, wo er die Menschen kennt, aber auch die Katzen, die zusammengerollten, die in der Sonne dösenden, oder die zum Sprung bereiten auf der Suche nach etwas Essbarem, einem kleinen Fisch oder einer Maus.
Überhaupt Katzen. Seit über dreißig Jahren lebt Reinhard Michl mit einer Katze zusammen – wenn auch nicht immer mit derselben. Und nicht nur die eigene Hauskatze hat es ihm angetan, sondern Katzen in jeglicher Form, als Bild, als Geschichte, als Gedicht. Und so nimmt es nicht wunder, dass eines Tages ein Katzenbuch entstand, eines mit Geschichten und Gedichten und mit den unterschiedlichsten Katzen: mit gezeichneten und gemalten, als Aquarell flüchtig mit dem Pinsel hingeworfen oder minutiös mit Stiften ausgeführt. Da finden sich springende, laufende, sitzende, liegende Katzen, jagende und fressende Katzen, schwarze, weiße, gestreifte, gefleckte Katzen, Musikinstrumente spielende Katzen und Katzenmafiosi, verwöhnte, elegante oder aber dicke, verfressene Katzen, kleine Kätzchen und große schwarze Kater, vor allem Hauskatzen, aber auch Raubtierkatzen. Sechs Jahre später, im Herbst 2019, erschien ein weiteres Katzenbuch, der alte Kinderklassiker „Katze mit Hut“ von Simon und Desi Ruge, den einst, 1980, Helga Gebert mit Illustrationen versah und die nun im neuen Gewand daherkommen mit einer eleganten, auch ein wenig eingebildeten Katze.
Es ist das bislang letzte einer langen Reihe illustrierter Bücher, die Michl geschaffen hat und noch lange nicht das letzte. Pläne gibt es jedenfalls genug. Michl blickt auf weit über vierzig Jahre zurück, in denen er als Illustrator und freier Künstler gearbeitet hat. Das ist ihm nicht an der Wiege gesungen worden. Zu Hause, im Altmühltal, gab es nur ein paar wenige illustrierte Bücher, die ihm Anregung boten: Neben Wilhelm Buschs Bildergeschichten und Grimms Märchen fanden sich auch die von Olaf Gulbransson illustrierten Lausbubengeschichten von Ludwig Thoma und viele Sammelbilder, die in einem Schuhkarton aufbewahrt wurden, für den jungen Reinhard Michl eine Art Schatzkiste, die ihm ein Panoptikum der ganzen Welt bot.
Nach Stationen als Schriftsetzer und Grafikdesigner wurde er an der Akademie der Bildenden Künste aufgenommen, die er 1980 als Meisterschüler verließ. Da hatte er seine ersten Bücher schon längst illustriert. Auslöser war ein Bilderbuchseminar, das er 1974 an der Akademie besuchte und bei dem er erstmals mit den großen Bilderbuchzeichnern in Berührung kam: Walter Schmögner, Maurice Sendak, Tomi Ungerer, F.K. Waechter, Reiner Zimnik. Einem ersten Auftrag folgten schnell weitere und Reinhard Michl entschloss sich zu einem Leben als freier Illustrator und Maler. Lange musste er nicht bangen, ob das eine richtige Entscheidung war: Bereits 1980 richtete ihm die Internationale Jugendbibliothek in München eine Einzelausstellung aus. 1981 stand er erstmals auf der Auswahlliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis – mit einer Zaubermärchenanthologie. Und dann bekam er gleichzeitig zwei Aufträge. Michael Ende wollte seine beiden in die Jahre gekommenen Jim-Knopf-Bücher, die 1960 beziehungsweise 1962 erstmals erschienen waren, neu illustrieren lassen und fragte bei Michl an. Gleichzeitig beauftrage ihn dtv, einen Text von Irina Korschunow mit dem Titel „Der Findefuchs“ zu bebildern. Und dieses 1982 erschienene Bilderbuch wurde sein bis heute erfolgreichstes, das sich weltweit verkauft – inzwischen mehr als eineinhalb Millionen Mal.
Aus Kostengründen wechselten sich damals noch schwarzweiße Federzeichnungen mit farbigen Illustrationen ab. In beiden Techniken wird Michls Fähigkeit offensichtlich, Tiere so darzustellen, dass man menschliche Eigenschaften erkennt, aber gleichzeitig auch Tiere so wirken zu lassen wie sie einem in der Natur begegnen könnten. Das erreicht er vor allem in den Farbillustrationen durch die Verbindung verschiedener Techniken, wie sie dann auch später für die freien Arbeiten so typisch werden. Wald und Wiesen stellt er häufig mit Aquarellfarben dar, wodurch ihnen eine gewisse Unschärfe eigen ist. Dem folgt die präzisere Arbeit mit Feder, Buntstift oder einem dünnen Pinsel, um Einzelheiten der Landschaft herauszuarbeiten und vor allem die eigentlichen Protagonisten, die Tiere, da hineinzusetzen. Und auch, wenn Michl dieses Prinzip bis heute beibehalten hat, hat sich sein Malstil doch verändert, wie der Vergleich mit Bildern aus dem Buch mit den Geschichten von Reineke Fuchs zeigt, das im Herbst 2019 erschienen ist.
Michael Ende hat ihm 1983 bei einer Ausstellungseröffnung eine „seltene Begabung“ und „einen undefinierbaren Zauber einer nie verlorenen, wissenden Unschuld“ attestiert. Diese finden sich auch in den bereits erwähnten über hundert Skizzenbüchern, auf den gestalteten Briefumschlägen und Postkarten sowie auf Pappen, auf denen zum Beispiel Notizen mit einer ratzigen Katze übermalt werden, begleitet von zwei schrägen Vögeln, von denen der eine mit Hut und Weißbierglas als Porträt des Künstlers durchgehen kann. Das Bild ist mit Aquarellfarben, Blei- und Buntstiften in Mischtechnik ausgeführt und schaut man es sich genau an, findet man auch den Text: „Beim Betrachten von Bildern innere Orte in sich selbst finden“. Diese inneren Orte gilt es immer wieder neu zu entdecken – auch in den Bildern von Reinhard Michl.
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