Eine Kinderschaukel, in unschuldigem Weiß, hängt in einem leeren Raum. Welches Kind möchte nicht darauf zulaufen und zu schaukeln beginnen. Doch die mit Weißgold versehenen Schnüre, an denen die Schaukel hängt, sind an jeweils einer Stelle so dünn, dass sie sofort reißen würden, setzte sich jemand darauf, und sei es nur ein Kind.
Ulrike Möschels Kunst ist poetisch. Sie ist zart, verletzlich, sie berührt. Sie ist aber auch abgründig, täuschend, voll dunklen Humors. Die aus Glasscherben geschaffene Blindenschrift ist wohl der treffendste Beleg für diese These. Kleine Glassplitter, als zu ertastende Schrift für Blinde an die Wand geheftet, haben etwas Haptisches und damit auch für Sehende etas Anziehendes. Man möchte sie gerne berühren. Und schon tappt man in die Falle, kann sich womöglich verletzen, sich schneiden.
Ulrike Möschels Arbeiten sensibilisieren für die scheinbaren Selbstverständlichkeiten unserer Umgebung. Herausgelöst aus ihrem vertrauten und alltäglichen Zusammenhang sind es meist einfache Gegenstände wie Türen, Fenster, Schaukeln, Rutschen, Kinderwiegen oder Strommasten, die beim Betrachter vertraute Bilder aufrufen. So auch in der neueren Arbeit eines schwarzen Kinderdrachens, der das Bild des fröhlichen Rennens eines Kindes über eine Wiese evoziert. Schlängelnd, getrieben vom Herbstwind fliegen Drachen durch die Luft. Hinter ihnen weht eine Drachenschnur mit Schleifen. Für Kinder eine faszinierende Sache. Sie könnten ewig verweilen und den tanzenden fliegenden Segelspielzeugen gespannt zuschauen. Ulrike Möschels Drachen ist jedoch schwarz, ebenso seine Schleifen. Das scheinbar Fröhliche dreht sich in etwas Bedrohliches, Furchteinflößendes.
Der verheißungsvolle Appell der Künstlerin an eine imaginäre Nutzung stockt gerade in den aktuellen skulpturalen Werken mit der Erkenntnis, dass sie durch die künstlerische Transformation allesamt ihre Gebrauchsfähigkeit eingebüßt haben. Ulrike Möschels künstlerische Arbeiten bieten ein Moment der Verunsicherung, das zum Anlass und Ausgangspunkt für viele unterschiedliche Geschichten und Erinnerungen wird, in denen es nicht um richtig oder falsch geht, sondern um die individuelle Annäherung an das Unvertraute.
Die Kunst Ulrike Möschels ist vielschichtig. Sie läßt sich schwer mit einem einzigen medialen Begriff fassen. Sie arbeitet skulptural, mit Gefundenem, sie macht Videos, Schtriftarbeiten, zeichnet, interveniert in Räumen und bei aller Breite der künstlerischen Methoden und inhaltlichen Strategien bewahrt sie ihre Themen, ihre künstlerische Handschrift und bleibt unverwechselbar bei sich.
Sehr treffend erfasste Angelika Nollert das Werk der Künstlerin: „Ulrike Möschel entwickelt ihre künstlerischen Projekte aus den Orten heraus, an denen sie arbeitet. Sie behandelt die zur Grundausstattung von Räumen gehörenden Gegenstände, befragt sie auf ihre Funktionen, ergänzt sie durch Material, wertet sie um und verleiht ihnen eine neue bedrohte oder bedrohende Existenz. Materialität und Immaterialität gehen bei den Arbeiten von Ulrike Möschel eine Synthese ein. Ihre Installationen, die sich immer durch ein Geschehen definieren, besitzen performativen Charakter. Damit erschließen sich für den Betrachter neue Realitäten.“
Annette Urban vertrat die These, dass Situationen der Ausweglosigkeit und Möglichkeiten des Entkommens Ulrike Möschel beschäftigen und sie grundsätzlich in ihrer Arbeit mit Räumen und Architekturen verwoben ist. Ergänzen möchte man, dass auch das Thema der Kindheit, des Träumens, des Spielens, des Rätselns wesentliche Bestandteile der inhaltlichen Auseinandersetzung sind. Hinzu kommt Ulrike Möschels handwerkliche Präzision. Das Fräsen von Mustern in Glasscheiben, das Häkeln eines Kleides aus Kupferdraht, das Knüpfen einer absurd großen Reuse, all das belegt nicht nur das Akribische und Akkurate, sondern auch das ruhige kontemplative, ja fast mediative Arbeiten.
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