Im Kunst-Hotspot Köln der 1970er- und 80er-Jahre geboren und mit Ausblick vom Küchenfenster auf den Kölner Dom aufgewachsen, kam Martin Spengler schon früh in Kontakt mit zeitgenössischer Kunst, wie der Art Cologne, Sammlung Ludwig oder Westkunst. Vor allem letztgenannte prägte ihn nachhaltig. Doch zunächst absolvierte er eine bürgerlich-solide Ausbildung zum Zahntechniker, bevor er Malerei in Bremen und München bei Karin Kneffel studierte. Schon relativ bald kam er von der Malerei zum Relief und dann zur Skulptur. Dazwischen lagen zwei Auslandssemester für das Studium der Bildhauerei in der Wiener Akademie bei Manfred Pernice. So fand mit der Zeit eine sukzessive Loslösung von der Wand statt und seine Bilder entwickelten sich – im wahrsten Sinne des Wortes – zu selbständigen Objekten.
Das von ihm bevorzugte Material Wellpappe entdeckte er eher zufällig für seine Arbeit. Es handelt sich um ein industrielles Wegwerfprodukt, dem Spengler durch seine Bearbeitung nebenbei auch eine neue Wertigkeit verleiht. Dabei ist das Ausgangsmaterial erst auf den zweiten Blick erkennbar. Zunächst klebt er es in mehreren Schichten aufeinander. Dann arbeitet er in die Vorskizze mit selbst angefertigten Skalpellmessern hinein. Am Ende trägt er eine weiße kalkhaltige Farbe (Gesso) auf, die durch Licht und Schatten eine plastische Wirkung erzeugt, und zum Abschluss zieht er die Konturen mit Grafit nach. So entsteht eine Dreidimensionalität, die mit räumlichem Abstand zunimmt und zu einem unverwechselbaren illusionistischen Effekt führt. Zugleich erscheinen die Werke nie reinweiß, da sie über Reflexion die Farblichkeit der Umgebung aufnehmen. Die Reliefs können eine beachtliche Größe von über 2 x 3 m erreichen. Bei der detailreichen Ausarbeitung der Werke geht Spengler sehr genau, langsam und kontinuierlich vor und braucht manchmal mehrere Monate für ein Objekt. Die dafür notwendigen Tugenden wie Genauigkeit und Ausdauer erwarb er während seiner Ausbildung. Deshalb spielt für ihn die Ateliersituation eine sehr wichtige Rolle, vor allem der tägliche Austausch mit Kollegen.
Seine verblüffende Kunstfertigkeit ist aber kein Selbstzweck. Die Genauigkeit und Monochromie verleihen den Werken einen Anschein von Wirklichkeitstreue und Objektivität. Doch obwohl die Vorlagen meist von Fotografien stammen, sind die Vorskizzen keine möglichst genauen Reproduktionen, sondern stark bearbeitete und daher subjektive Abbilder. Die Urbilder werden abstrahiert, indem der Künstler ornamentale Strukturen herausarbeitet und teilweise auch eine gewisse Flächigkeit anstrebt. Zugleich erfahren die Motive durch seinen Blickwinkel eine persönliche Ästhetisierung. Am Ende eines langen Prozesses von Recherche und Bearbeitung, Abstraktion und Ästhetisierung steht ein „Bild vom Ding an sich“, aufgeladen mit Bedeutung und Ausstrahlung, ähnlich einem Kultbild. So werden konkrete Bildausschnitte der realen Welt zu autonomen Kunstwerken, die jedes in sich abgeschlossen sind. Manche Werke sind Variationen, aber sie wiederholen sich nie. Das wird besonders in den Spielarten des Kölner Domes deutlich, wobei es aus ästhetischen Gründen zu Verdoppelungen von Architekturelementen kommen kann.
Eine weitere Intention erschließt sich, wenn man das Gesamtwerk betrachtet. Die scheinbar wahllosen Bildausschnitte von Objekten und Szenen, wie Raffinerien, Achterbahnen, Hochhäuser, Türme und Massenansammlungen werden alle in derselben Technik ausgearbeitet und gleichwertig nebeneinandergestellt. Dabei sind die Bilder oft menschenleer bzw. ent-individualisiert. Das und die klare Darstellung der äußeren Form in der Farbe Weiß führen zu einer Beruhigung der optischen Sinne. Es entsteht eine Konzentration auf das Wesentliche, Strukturen und Mechanismen werden offengelegt und innere Zusammenhänge aufgezeigt. Scheinbar Belangloses, aber auch Phänomenales stellt der Künstler so in einen neuen Kontext, vergleicht Autobahnkreuze mit gotischen Architekturelementen, Fischschwärme mit Menschenansammlungen, Straßen mit Blutgefäßen. Außerdem werden Spannungsfelder überdeutlich, wie die zwischen Plattenbau und gotischer Kathedrale.
Zugleich sind alle Objekte bewusst ausgewählte Ausschnitte aus einem größeren Kontext, die in Summe den menschlichen Kosmos beschreiben. Dabei spiegelt sich im Einzelnen das Gesamte wider. So handelt es sich bei seiner Arbeit auch um das zutiefst menschliche Streben nach Erkenntnis, welches immer wieder von Kunstschaffenden, beispielsweise in der Literatur, aufgegriffen wird und auf das sich das Zitat aus Goethes Faust in der Überschrift bezieht. Es ist eine Suche, der sich niemand entziehen kann – ebenso wenig wie der Ausstrahlung dieser Werke.
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