Baumstämme. Äste, Blattwerk, Farne. Motivisch zeigen die aktuellen Werke von Georges Wenger Wälder, Ausschnitte aus der Natur. Doch sind das Fotografien, die auf dickem, saugfähigem Papier gedruckt wurden? Handelt es sich um fotorealistische Malerei? Oder um Radierungen?
Dass es sich bei den Arbeiten des Schweizer Künstlers um großformatige Linoldrucke handelt, mag man angesichts der bis ins Feinste ausgearbeiteten Details und der nuancenreichen Halbtöne aus rein schwarzen und rein weißen Stellen kaum glauben. Seit etwa zwei Jahren arbeitet Georges Wenger in seinem Atelier in einer ehemaligen Maschinenfabrik in Winterthur an diesen Linolschnitten. Dafür hat er ein von ihm angefertigtes fotografisches Motiv mittels Fotodruckverfahren auf die Linolplatte übertragen. Mit zum Teil eigens dafür entwickelten Werkzeugen und erfahrener Hand sticht und schneidet der Künstler nun präzise die Strukturen heraus und macht selbst kleinste Differenzierungen sichtbar.
In drei- bis viermonatiger intensiver Bearbeitung entsteht so Stich für Stich und Schnitt für Schnitt der Druckstock. Georges Wenger empfindet diese entschleunigte Tätigkeit als einen Akt der Meditation, der dem Leben und dem Werk geschuldet ist. Denn mit jeder Bewegung seiner Hand ist ein Gedanke verknüpft, fließt der bleibende Eindruck, der am Anfang eines Bildes stand, in dessen langsames Entstehen ein. Der kurze Moment, in dem er den Auslöser seines Fotoapparates betätigte, wird beim Herausschneiden des Motivs zu intensiv erfahrener persönlicher Zeit. Angelika Maass nennt es die „Wiedergutmachung des Künstlers, der als Fotograf ein Augenblicks- und Zeitdieb ist.“
Mit der gleichen Hingabe und Konzentration, mit der er die Druckplatte bearbeitet hat, erstellt Georges Wenger die Abzüge. Für seine schwarz-weißen Drucke färbt er die Druckplatte mit einem Schwarz ein, das er aus Magenta, Gelb und Blau mischt. Darauf legt er ein Blatt japanischen Sekishu-Papiers und reibt die Rückseite Zentimeter für Zentimeter mit dem Baren, einem Abreibteller aus Bambusblatt und Baumwollschnur, ab. Der Vorteil der japanischen Drucktechnik liegt auf der Hand: Auf diese Weise kann er die Intensität der Halbtöne beeinflussen. Das Resultat seiner Anstrengungen bleibt jedoch auch für den erfahrenen Künstler so lange ungewiss, bis er den Abdruck schließlich vor Augen hat.
In der meisterlichen Beherrschung der Technik treibt Georges Wenger seine Bilder zu einer nahezu hyperrealistischen Wirkung. Er bricht diesen Effekt durch die Wahl der Farbe. „Schwarz-weiß ist unbestechlich“, stellt er fest. Gleichzeitig entzieht es den Bildern das Reale, das die zugrundeliegende Fotografie in sie einbringt. Naturalistische Darstellung und Abstraktion bilden im Werk von Georges Wenger jedoch keinen Widerspruch. Im Gegenteil: Sie fordern die Wahrnehmung des Betrachters heraus.
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