Christoph Platz ist Bildhauer. Er arbeitet mit Holz, und er arbeitet gegenständlich. Dass das Abbildhafte in der Kunst lange nicht mehr selbstverständlich ist, thematisiert er immer wieder in seinen Bildideen, die von Philosophie und Kunstgeschichte inspiriert sind.
Schon mit 13 Jahren, als er neben der Schule bei einer Holzbildhauerin assistierte, hat Christoph Platz seine Vorliebe für das Material Holz entdeckt. Daran konnten auch Phasen mit Kunststoff, Stahl und Stein während des Studiums nichts ändern. Sein Material bearbeitet der Künstler in tradierten Techniken mit dem klassischen Besteck Messer, Schleifpapier und Farbe. Die menschliche Figur, das Thema der Bildhauerei seit der Antike, hat er trotz seiner Hinwendung zu vormodernen Praktiken lange Zeit vermieden. Zu gewaltig schien ihm diese Aufgabe, zu groß die Gefahr, in Beliebigkeit und Kitsch abzurutschen. So wendet er sich der stofflichen Hülle des Menschen zu, der Kleidung. Sie verweist nun auf das Abwesende, den in ihr wohnenden und in seinem Fehlen wieder als anwesend erinnerten Menschen.
Die Kleidungsstücke werden so bisweilen zu Protagonisten, die – ausgestattet mit wenigen Attributen – kleine Szenen, Geschichten anzudeuten scheinen. Verhältnisse werden eröffnet. Mal hängen seine farbig gefassten Skulpturen an Wänden, mal schweben sie im Raum oder posieren auf Sockeln, die ihrerseits Skulpturen sind. Mal zeigen sich Spuren der Träger im Faltenwurf eines Kleidungsstücks oder in Abdrücken eines menschlichen Körpers im Stoff, dann wieder präsentieren sie sich übergroß und vom menschlichen Maßstab befreit. „Figürliche Skulptur ohne menschliche Figur“ nennt Christoph Platz diese Arbeiten, an denen er seit 1998 arbeitet. Sie offenbaren die Freude des Künstlers am Paradoxen, das auf unterschiedlichste Weise Grundlage seiner Gestaltungen ist.
Dinge zu hinterfragen und aufzudecken, darin sieht Christoph Platz die Aufgabe des künstlerisch Schaffenden
So etwa zeigt die Skulptur „Lacrime“ (2002) einen Badeanzug auf einem Sockel aus Spiegelscherben, aus dessen blauen Fugen sich das Wort Lacrime (ital.: Tränen) zusammenfügt. „Der weibliche Körper auf einem Sockel ist seit Jahrhunderten ein beliebtes Sujet der Kunstgeschichte. In der Darstellung menschlicher/weiblicher Schönheit und im Ausdruck bildhauerischen Könnens wird ein Schönheitsideals statuiert, sowohl des Menschen als auch der Kunst“, beschreibt Christoph Platz die Referenzen. In „Lacrime“ nun steht der Badeanzug anstelle des weiblichen Körpers auf einem pessarförmigen Sockel, der seinerseits auf einer mit weißen Fliesen verkleideten, kubischen Architekturform ruht. „Der Spiegel, zumal der gebrochene Spiegel, ist ein häufig variiertes Vanitasmotiv. Der Badeanzug hingegen repräsentiert unbekümmertes Vergnügen, betont durch die leuchtend farbige Gestaltung in Rot, an den Säumen abgesetzt in Hellgrün. Die Haltung ist aufrecht, wirkt selbstbewusst. Der Sockel kann in seiner aufwendigen Gestaltung nicht als bloßes Hilfsmittel verstanden werden; er ist gleichwertiger Teil der Skulptur. Seine Konstruktion mit (hier nur angedeutetem) Halbkreis über einer Fläche, die auf Säulen ruht, bezieht sich auf das mittelalterliche Weltbild: das Himmelsgewölbe über der Erdscheibe, die mit Säulen in der Unterwelt steht (Architekturschema romanischer Kirchen).“
Diese komplexe Verschränkung kunst- und kulturhistorischer Bezüge verdeutlicht die Einstellung des Bildhauers zu seiner Arbeit. Dinge zu hinterfragen und aufzudecken, darin sieht Christoph Platz die Aufgabe des künstlerisch Schaffenden. Widersprüchlichkeiten sind für ihn das Mittel, um dieser Anforderung zu entsprechen. Daher spielt er auf allen ihm künstlerisch verfügbaren Ebenen bis hin zum Bildtitel mit diesen Möglichkeiten.
Das wird auch in der Arbeit „Sündenfall“ (2011) augenfällig. Innen und Außen stehen hier in einem gegensätzlichen Verhältnis. Während die äußere Form und die Farbe eine Damenkorsage aus Latex zeigen, an deren Körbchen jemand zu ziehen scheint, weist das Innere das Kleidungsstück als hölzerne Form aus, deren Oberflächenanmutung und Gespanntheit als Täuschung ersichtlich werden. Der Sündenfall: Die Vortäuschung eines Dinges, das es nicht ist, in einem Zustand, in dem es sich nicht befindet. Gleichzeitig referiert die Skulptur auf das Gemälde „Die Sünde“ von Franz von Stuck. Anders als dessen gemalte Allegorie der Sünde vor dem Hintergrund des biblischen Sündenfalls, thematisiert die Platz’sche Skulptur sich als Kunstwerk selbst, erklärt der Künstler diese Arbeit.
Um Bildideen wie diese umsetzen zu können, kommt dem technischen Teil, der Holzbearbeitung und der farbigen Fassung, eine wichtige Rolle zu. Beides weiß Christoph Platz virtuos einzusetzen. Durch die farbige Fassung seiner Skulpturen erhöht er die Realitätswirkung. „Die Bemalung ermöglicht eine Augentäuschung, indem sie das Material Holz negiert“, erklärt er in einem Gespräch mit Justinus Maria Calleen. „Die Oberflächen erscheinen matt wie viele Textilien oder mit einem leicht reflektierenden Schimmer, wie andere. Indem aber das Holz unter der Farbe verschwindet, entsteht ein dialektisches oder paradoxes Verhältnis zum Innenraum der Skulpturen – hier sieht man das Holz roh, mit den deutlichen Spuren des Aushöhlens.“
Der kunst- und kulturgeschichtliche Kontext, der fast immer das Konzept trägt, das einer Arbeit zugrunde liegt, ist Christoph Platz wichtig. „Ich beziehe mich auf die Kunstgeschichte.“
Dieses Spiel mit dem Material kommt auch in der mehrteiligen Arbeit „Yves & Piet“ (2003/2013) zum Tragen. Dabei steht eine raue, von groben Meißelspuren gezeichnete und matt gestrichene Landschaft mit Windmühle – oder ist es ein Ventilator? – der makellos glatten Oberfläche eines Kleides mit geometrischen Motiven von Piet Mondrian gegenüber. „Die Skulptur ist ein philosophisches Spiel mit kulturgeschichtlichen Zusammenhängen und ihren Deutungshorizonten“, erläutert Christoph Platz seine Überlegungen zu der Arbeit. „Piet Mondrian hat sich stets als Landschaftsmaler begriffen und Zeit seines Lebens zeichnerische Studien nach der Natur betrieben. 1965 schuf Yves Saint Laurent für seine Herbstkollektion das sogenannte Mondrian-Kleid als erstes Prêt-à-porter-Kleidungsstück, dessen gestalterische Grundlage ein Kunstwerk bildet, und zwar die rechtwinkligen Kompositionen mit Rot, Schwarz, Blau und Gelb von Piet Mondrian aus den 1920-er Jahren. Inzwischen ist auch die Welt der Mode Inspiration für viele Künstler geworden. Die Skulptur ‚Yves & Piet‘ jedoch bezieht sich wiederum auf ein ganz spezielles Werk der Mode, eben jenes Mondrian-Kleid, und gibt somit der Kunst die entliehene Kunst wieder zurück.“
Der kunst- und kulturgeschichtliche Kontext, der fast immer das Konzept trägt, das einer Arbeit zugrunde liegt, ist Christoph Platz wichtig. „Ich beziehe mich auf die Kunstgeschichte. Relativ viele meiner Arbeiten sind tatsächlich Kunst über Kunst“, stellt er fest. So auch die mehrteilige Skulptur „Cassiber“ (2013), eine Modernekritik, die konkret die Arbeit von Franz Erhard Walter reflektiert. Sie zeigt einen Korpus im weißen Hemd, der auf ein waagerecht gehängtes, hammerschlaglackiertes Regal gesetzt wurde, hinter dessen gitterartigen Verstrebungen die „geheime Botschaft“ in Form eines mit orangefarbenem Stoff bezogenen Schaumstoffstrangs sichtbar zu sein scheint. Oder ist sie bereits durch die kaum wahrnehmbare Öffnung in der Decke des Käfigs und durch den Kragen des Torsos entwichen?
„Eine Bildidee kommt in irgendwelchen Zusammenhängen, dafür gibt es keine Regel.“
Nicht immer kommt der kunsthistorische Kontext intellektuell verschlüsselt daher. In machen Arbeiten ist er bereits im Titel abzulesen, beispielsweise bei der Skulptur „Das Ende der Mimesis oder die Vernichtung der Figur durch die Künstler des 20. Jahrhunderts“ (2012): Ein Diagonalkreuz aus roten Brettern trägt anstelle einer menschlichen Figur eine blaue Herrenunterhose. Dabei ist das Kreuz in Rot als Statthalter des Gegenstandslosen, Minimalistischen oder Konkreten und als Negation zu verstehen, das die Unterhose als Statthalter des Figürlichen quasi durchstreicht.
Solche Bildideen findet Christoph Platz in der Regel zufällig, meistens ergeben sie sich aus einem Kontext: „Ich arbeite seit fast 20 Jahren gegenständlich, da ergibt sich oft aus der einen Arbeit die andere. Eine Bildidee kommt in irgendwelchen Zusammenhängen, dafür gibt es keine Regel. Die wird dann so lange durchgekaut, bis ich das Gefühl habe, da ist was dran. Die meisten Ideen werden verworfen, wenn sie mich aber eine Zeitlang beschäftigt haben, dann beginne ich, Skizzen anzufertigen und entscheide nach einer weiteren Phase der Reifung, ob ich da was mache oder nicht. Bildhauerei ist ja nichts grundsätzlich Schnelles oder Expressives. Geduld und Zeit sind nötig, um zu überlegen, was ich machen will oder nicht.“
In einer Reihe kleiner bildhauerischer Karikaturen hat Christoph Platz einen Weg gefunden, in seinem Medium Ideen vergleichsweise schnell und unkompliziert umzusetzen. Er versteht sie als mehr oder weniger polemische Statements zur Kunst. „Bildhauer“ (2011) etwa zeigt einen blutenden Plüschteddy in Blau, der Stemmeisen und Klopfholz in der Hand hält. „Dabei ging es mir um das Thema ‚sich selbst neu erfinden‘: Hantiert man zu viel herum, fließt am Ende Blut.“
Die Abbildhaftigkeit seines Mediums bringt es mit sich, dass auch die Imitation ein Thema ist, das Christoph Platz beschäftigt. Er thematisiert es in dem wichtigsten Tiermotiv, das in seiner Arbeit auftaucht, dem Affen. Der Affe spiegelt die Auseinandersetzung des Künstlers mit seiner Arbeit, „der Affe ist in seiner traditionellen Symbolik Spiegelbild des Menschen und steht für die eher dunkle Seite – die Triebhaftigkeit, den Spieltrieb, aber auch die Nachahmung. Wie man ja wörtlich auch sagt: ‚Man äfft etwas nach‘.“
Seit dem Ende der 1990er-Jahre arbeitet Christoph Platz gegenständlich. Dem ging eine relativ lange Phase ungegenständlichen Arbeitens voraus, die bereits während des Studiums begonnen hatte. Doch irgendwann sah er für sich keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr im Bereich der konkreten Kunst. Mit der Hinwendung zum Gegenständlichen, zum Figürlichen stellt sich der Bildhauer immer wieder die Frage: „Warum soll man als Künstler heute eigentlich noch so arbeiten?“ In diesem Spannungsfeld von Verortung und Hinterfragen denkt Christoph Platz über seine Arbeit und die Kunst nach. „Aber natürlich nicht nur über die Kunst. Meine Art von Bildhauerei ist auch eine Art zu denken.“
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