Das Thema des Wuppertaler Malers Christian von Grumbkow lautet: Farbe pur. Seine Werke entstehen meist aus dem Moment – und lösen mannigfaltige Emotionen aus.
Es gibt viel zu sehen im Atelier von Christian von Grumbkow. Wohlgemerkt, wir haben es mit einem Atelier zu tun. Nicht mit einem neutralen Ausstellungsraum, stattdessen mit einem Labor zum Experimentieren, in dem das Scheitern zum Gelingen gehört. Es ist ein Privileg, hier zu sein: im Allerheiligsten des Künstlers. Bei von Grumbkow befindet es sich im Erdgeschoss eines stillgelegten und sanierten ehemaligen Fabrikgebäudes am Platz der Republik im Wuppertaler Stadtteil Elberfeld. An zwei Seiten große Fensterscheiben. Der Raum ist mit eingezogenen Wänden gegliedert und bleibt doch licht, offen. Dadurch ergeben sich immer wieder neue Sichtachsen. Bilder kommen in den Blick, die wir zunächst gar nicht wahrgenommen haben. Sie hängen dicht nebeneinander, ältere neben ganz frischen. Fertiges neben Unfertigem. Wirklich unfertig? Die Zufriedenheit des Künstlers trifft auf seine Selbstzweifel. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf seine einzelnen Gemälde: Das Schauen und Beobachten ist stets ein neues Erlebnis. So klar das malerische Geschehen mit seinen Farbverläufen, Inseln aus pudrig samtener Farbe und verschliffenen Farbspuren organisiert ist, so sehr bringt es auch Dynamik und Veränderung zum Ausdruck.
Die Bilder von Grumbkows sind abstrakt. Sie zeigen nichts als Farben, ausgehend von einem monochromen Lichtraum, der die gesamte Fläche umfasst, dazwischen Felder und langgestreckte Bewegungen. So liegen Linien zentriert im Malgeschehen und teilen dieses in Oben und Unten oder Links und Rechts. Oder das Bild ist mit halbverschleierten Wellenbewegungen überzogen, zwischen denen weitere Farben aufblitzen. Dann wieder ist das Bildfeld von einem Stakkato schnurgerader Bahnen rhythmisiert. Oder ein lakonisches Gelb schlängelt sich getaktet durch den Lichtraum. Daraus formulieren sich landschaftliche Ereignisse und atmosphärische Stimmungen. Zu denken wäre an den Horizont, der Erde und Himmel trennt. Vielleicht an das Meer mit den Lichtspiegelungen im Wasser oder an die Wüste. An eine Ortschaft oder ein Gebirge im freien Gelände, in einzelnen Serien sogar aus verschiedenen Perspektiven. An klimatische Phänomene, rein für sich. Bei einigen Hochformaten scheint Farbe blättrig von oben herab zu rieseln und weckt die Vorstellung an Wasserfälle. Bei anderen Werkgruppen arbeitet Grumbkow mit der Schichtung von Buntfarben; das Bildgeschehen wirkt nun als Ausschnitt, der in den Vordergrund gerückt ist. Hier geht es ganz um die Farben und ihre Verfasstheit im Bild.
Von Grumbkow wurde mit einer Malerei bekannt, die das Ereignis der Farbe in aller Sinnlichkeit und Emotionalität thematisiert, aber nie das forschende Vergegenwärtigen unserer Umwelt und die Freiräume der Landschaft aus den Augen verliert. Neben dem festen weißen Papier und der grundierten Leinwand verwendet er auch Eichenholzbretter als Bildträger. Die Maserung wird in das malerische Geschehen einbezogen. Vor allem bei den großen Leinwandbildern liegen etliche transparente Farbschichten übereinander, die noch fetzenartig aus der Tiefe hervorlugen oder sich dort wie ein allmählich abschwächendes Echo abzeichnen. Aus der Nähe gesehen wird deutlich, wie viele Farben tatsächlich miteinander interagieren und verschmolzen sind. Bisweilen schieben sich konstruktive, „stabile“ Elemente wie ein Fensterrahmen zwischen den Farbfluss und definieren damit einen Farbraum. Überhaupt scheinen in vielen Gemälden einzelne Verläufe weit in die Ferne gerückt und hinterfragen so noch den Standpunkt des Betrachters. Daraus entwickelt sich ein gegenseitiger Austausch, bei dem wir an geistiger Beweglichkeit, lustvoller Aufmerksamkeit und Energie gewinnen.
Geboren wurde Christian von Grumbkow 1946 in Oberhausen. Früh schon, so berichtet er, kommt er mit den Künsten in Kontakt. Er besucht die Waldorfschule und beschäftigt sich dort mit Theater, Musik sowie der bildenden Kunst. Bereits als Jugendlicher malt er auf Leinwänden. Ab 1966 studiert er in Wuppertal an der damaligen Werkkunstschule bei Rudolf Schoofs und danach für ein Jahr an der Rietveld Akademie in Amsterdam. Besonders wichtig werden die jährlichen Klassenfahrten mit Schoofs nach Südfrankreich. Hier, umgeben von blühender Vegetation, wendet er sich ganz der Natur zu, den Wirkungen des Lichtes und den unzähligen Abstufungen der Farbe. Horizontale und Vertikale bilden das Gerüst, an dem sich das bildnerische Geschehen – bis heute – ausrichtet. Schon in den frühen Bildern verzichtet von Grumbkow weitgehend auf die Darstellung des Menschen. Die Häuser zu beiden Seiten der Dorfstraße interessieren ihn vor allem in ihrer Sogwirkung als Schluchten. Bereits da, vor etwa 45 Jahren, findet er also zu den Themen und Bildlösungen, die ihn auch jetzt beschäftigen.
Die Malerei tritt nur in den Hintergrund, als er 1970 unter anderem mit seinem Bruder Jochen und seiner damaligen Frau Nanny de Ruig die Folk-Rock-Band „Hölderlin“ gründet und mit dieser große Erfolge feiert. Christian von Grumbkow spielt Gitarre. Parallel dazu schließt er sein Studium in Wuppertal ab und wird Dozent für künstlerische Grundlagen an der Folkwang-Schule in Essen. „Hölderlin“ ist viel auf Tournee – für von Grumbkow zu viel: Der Ausstieg aus der Band 1977 und der Wiedereinstieg in die Malerei bedeuten für ihn die Rückkehr zu seiner Vorstellung vom Leben.
Von Grumbkow versteht die Malerei als Möglichkeit, Realität zu transzendieren, Inneres nach außen zu transportieren und geistige Befindlichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Er beschäftigt sich mit der therapeutischen Wirkung der Malerei und der Farben, indem er sich ab 1981 zum Kunsttherapeuten an der Waldorfschule ausbilden lässt und dort auch unterrichtet. Bis heute nimmt er Lehraufträge im In- und Ausland wahr.
Diese biographischen Stationen sind für seine Kunst wichtig. Malerei ist mit Verantwortung gepaart mit immer neuen erstaunlichen Resultaten, die auch ihn selbst überraschen. Zugleich arbeitet von Grumbkow auf kollektive Erfahrungen hin. Deutlich wird dies besonders an den monumentalen Bildern in Verwaltungsgebäuden, mit denen er in den vergangenen Jahren mehrmals beauftragt wurde. Ein wichtiger Adressat sind für ihn die Personen, die die Gemälde zu unterschiedlichen Tageszeiten und Lichtverhältnissen sehen, etwa wenn sie zur Arbeit kommen, Mittagspause machen und wieder nach Hause gehen. Zugleich liegt von Grumbkow daran, die architektonischen Strukturen zu verdeutlichen. So hängt seit 2008 in der Zweigstelle Loh der Wuppertaler Stadtsparkasse ein hochformatiges Bild an der Stirnwand der Schalterhalle. In seinem tiefen changierenden Rot ist es schon von draußen zu sehen. Hieran schließt sein Beitrag für das Foyer der Volkswohlbund Lebensversicherung in Dortmund an: „Lebensströme“ ist sein bislang größtes Wandbild. Es besteht aus neun hochformatigen Tafeln in drei Reihen übereinander. Auch hier dominiert ein glühendes Rot, in das nun aber langgezogene, teils linsenförmige Furchen eingefügt sind. Zumal im Zueinander aus Abwärts- und Aufwärtsbewegungen auf dem riesigen Format, dessen Rot sich geradezu auf der Netzhaut festsetzt, stellt sich die Assoziation an Lava als Energie ein. Von Grumbkows Bild ist ermutigend. Salopp formuliert, es baut einen auf und hilft, nicht in einen gleichmütigen Trott zu verfallen. Es schärft die Sinne.
Aber wie geht von Grumbkow vor? Malerei ist für ihn Handwerk, das er gelernt hat, aus dem Effeff beherrscht und täglich diszipliniert ausübt. Das hat also nichts mit einer genialen Geste zu tun, sondern ist die sorgfältig nüchterne Auseinandersetzung mit dem, was das Medium Malerei erlaubt. Dabei können auch mehrere Bilder in verschiedenen Stadien parallel entstehen. Nicht nur, weil die Malerei durch das Trocknen unterbrochen wird, wechselt von Grumbkow hin und her, sondern auch, um Abstand zu gewinnen und die verschiedenen Zustände neu, wie zum ersten Mal zu sehen. Ein Strich zu viel und das Bild würde nicht mehr „sitzen“. Gelassenheit ist ganz wichtig, Geduld, um zu entdecken, was an einem Bild noch fehlt. Und von Grumbkow erwähnt, dass er manche bildnerischen Zustände über Monate wegpackt, um dann sofort nach dem Hervorholen zu sehen, was gefehlt hat – aber der Weg dahin war dazu unverzichtbar. Die Ideen und Hintergründe jedoch reifen im Kopf und aus der Erfahrung heraus. Er berichtet von den Reisen nach New Mexico, Bali und Sri Lanka und, im vergangenen Jahr, nach Island. Skizzen fertigt er dort nicht an, und die Fotos, die er macht, dienen lediglich der gedanklichen Vertiefung. Bestimmte Farbklänge, die für ihn mit dem jeweiligen Ort zu tun haben, stellen sich allmählich, mit Abstand, ein. Tatsächlich vermitteln die fertigen Bilder für jedes der fernen Länder eine eigene Aura.
In der Regel liegen die Bildträger zunächst plan vor von Grumbkow. Er verwendet die Ölfarbe als dünnflüssige Substanz, auf die er noch von allen Seiten zugreifen kann. Er trägt sie mit dem Pinsel in langgezogenen breiten Bahnen auf, mitunter auch in verschiedenen Farbtönen nass in nass, oder er verteilt sie mit der Handfläche. Weitere Werkzeuge sind der Spachtel, mit dem er die Farbe staucht, stoppt, aber auch weiter treibt, sowie der Kamm-Rakel, mit dem er in der zuvor aufgetragenen Farbmaterie parallele Linien zieht: Deutlich wird, dass von Grumbkow Farbe als Stofflichkeit versteht. Teils sind seine Verfahren vorausgeplant, teils reagiert von Grumbkow direkt auf die Ausdehnung der Farbe. Die Strukturen, die dabei entstehen, bilden das Fundament für alle weiteren künstlerischen Maßnahmen, die nun tatsächlich austariert und, selbst wenn sie mit dem Zufall arbeiten, präzise angelegt sind. Bisweilen richtet Grumbkow noch den Bildträger auf und lässt weitere Farbe vom oberen Rand aus fließen. Je nach Menge der Farbmaterie und dem Winkel ihres Flusses entstehen Farbnasen oder feine Rinnsale. Mitunter geht es von hier aus wieder malerisch mit dem Pinsel weiter. Faszinierend sind die Wirkweisen der Malerei, die Vielfalt ihrer Formung und ihr farblicher Reichtum. Zugleich erzählen die Bilder die Geschichte ihrer Entstehung: Es gibt eine Menge Möglichkeiten, sich von Grumbkows Gemälden zu nähern.
Kurse und Workshops:
KUNST.KURSE.COACHING: www.kunst-kurse-coaching.de
Christian von Grumbkow bei boesner.tv: Meet The Artist, Schulterblick 1, Schulterblick 2
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