Der Düsseldorfer Maler Ansgar Skiba
Mitten im Industriegebiet Düsseldorf-Lierenfeld wirkt das Atelierhaus am Höherweg wie aus der Zeit gefallen. Neben und hinter dem dreistöckigen Backsteingebäude, in dem Ansgar Skiba arbeitet, blühen die Bäume, Sträucher und Blumen in voller Pracht. Drinnen, im Flur zum Atelier, lehnen die großen Bilder, die gerade fertig geworden oder von Ausstellungen zurückgekommen sind.
Wunderbar riecht die Ölfarbe. In den Räumen selbst hängt eine Reihe Gemälde aus verschiedenen Werkgruppen unter der Decke, auf einem großen Tisch am Fenster liegen die Aquarelle ausgebreitet, an denen Skiba gerade arbeitet. Und dann stehen hier noch einzelne der riesigen, über 3 Meter hohen Gemälde: In der filigranen Lebhaftigkeit der Farbhandlungen wird Sehen zum anregenden Abenteuer. Der Blick verirrt sich in den Windungen der Farbmaterie, ihrem Auf und Ab, folgt den Verläufen der einzelnen Farbtöne, die sich zu einem Motiv zusammensetzen und auch als abstrakte Erscheinungen ihre Attraktivität bewahren. Natürlich sind diese Bilder mit ihrer schieren Menge an Farbsubstanz überwältigend, gewichtig. Man ahnt die körperliche Anforderung, die zur konzipierenden Vorbereitung und zur handwerklichen Umsetzung hinzukommt. So malt nur ein Künstler, der seine Arbeitsabläufe beherrscht, sich aber doch mit jedem Bild Hals über Kopf ins Für und Wider der Farben und ihrer Möglichkeiten stürzt. Ansgar Skiba betreibt seine Kunst seit vier Jahrzehnten und doch erschöpft sie sich kein bisschen. In seinem gestisch expressiven Vortrag setzt sich der Gegenstand aus einzelnen, mitunter gegenläufigen Farbhandlungen pastos, ja, fast wie ein Relief, zusammen. „Skibas Kompositionen sind reinste Malerei, klangvolle, musikalische, sphärische, jubilierende, klare Farbe“, hat Helga Meister bereits 1994, im ersten Einzelkatalog von Ansgar Skiba, geschrieben. Die Farbpartien umspielen sich, immer wieder findet sich leuchtendes Weiß, es lässt die benachbarte Farbe reagieren und steigert die Helligkeit. Dabei bewahren die Bilder etwas Leichtes, Luftiges, das noch dem Wesen der Motive entspricht.
Ansgar Skiba konzentriert sich auf einen festen, schmal gehaltenen Kanon, auf den er, meist in gleicher Positionierung aber wechselnder Farbigkeit, teils seit Jahrzehnten immer wieder zurückkommt. Begonnen hat er in den Neunzigerjahren mit den Motiven „Tortenstück“, „Cocktail“ und „Kleid“ und sodann „Brautkleid“: jeweils die opulentesten Vertreter der menschlichen Grundbedürfnisse Essen, Trinken und Kleidung. Ab 1996 entstehen die ersten Bilder der Wellen, gefolgt von Meeres- und Gebirgsbildern. Später finden Garten- und Blumenbilder Eingang in sein Schaffen; bis heute stehen sie im Mittelpunkt.
Skiba rückt im Laufe der Zeit immer weiter an die Natur heran und blickt so in ihre chaotisch wirkende Dichte und ihre wirbelnde Dynamik. In seinen Bildern befindet sich alles im Fließen und in steter Veränderung, unterstützt vom Betrachtungswechsel von der Ferne in die Nähe, mit dem sich zugleich das Lichtspiel ändert. Zum Eindrucksvollen tragen die Ausschließlichkeit des jeweiligen Motivs im Bildformat bei, welches die Darstellung gegenüber der Natur teils enorm vergrößert, und die Intensität des Malens, bei der Skiba alles, was wir erkennen, aus der pastosen Farbmasse heraus zu formen scheint. Im Gespräch vergleicht er dies selbst mit dem Kneten von Teig, wobei das Motiv eine Einheit mit dem Bildganzen bildet; die konventionelle Frage der Scheidung von Figur und Grund stellt sich in seinen Bildern nicht.
Und auch wenn wir alles erkennen, von Realismus ließe sich hier kaum reden. Im Verzicht auf illusionistische Effekte ist die Farbmaterie ineinander verstrickt, überlagert sich und wächst auseinander. Im Betrachten der Hebungen und Senken, der Grate und Spitzen kommt das sinnliche Erleben nie an ein Ende. Über die Jahrzehnte hat sich daran grundsätzlich nichts geändert, nur noch verfeinert. Die Werkzeuge, mit denen Skiba die Farben auf der Leinwand aufbringt, gehen über das konventionelle Malen weit hinaus. Sie umfassen Pinsel in verschiedenen Stärken, Holzstäbe und Nadeln und sogar medizinisches Besteck. Dazu kommt der Auftrag mit den Händen, den Fingern. Die Nass-in-Nass-Malerei bringt es mit sich, dass er die Bilder am Stück, also in einem Durchgang anfertigen muss. Das und das Sinnliche der malerischen Erfahrung sind es, was über das rein Konzeptuelle – das Insistieren auf einige wenige Motive und ihre stets gleiche Anordnung im Bildformat – hinausreicht. In der Vereinzelung stellt sich eine Konzentration auf das Wesentliche ein, was den Blick auf die Struktur des Motivs, aber auch die Textur der Bilder lenkt.
Ansgar Skiba beginnt sämtliche Papierarbeiten, die Aquarelle und die Zeichnungen in der freien Natur. Die Ölgemälde aber entstehen zumeist im Atelier. Sie entwickeln sich aus der Erinnerung in zunehmender Freiheit mit einem klaren Plan im Kopf. Am Anfang dieser malerischen Aneignungen von Natur stand die Hinwendung zum Wasser. Wie kann man diese liquide Substanz darstellen, ihre Transparenz und Masse zugleich zum Ausdruck bringen, wie stellt man stete Veränderung in einem Bild dar? Welche Farbe hat Wasser, wie unterschiedlich verhält sich Wasser am Wasserfall, am Gebirgsbach, am Fjord oder am Strand? Ansgar Skiba führt dabei vor Augen, was Wasser ist und welche Mächtigkeit von ihm ausgeht; er demonstriert das Elementare, Urtümliche und gewiss auch, dass es ohne Wasser die Erde nicht gäbe: ihre einzigartige, unfassbare Präsenz. Wechselnd von Gemälde zu Gemälde, aktiviert er ein weites Spektrum an Blautönen, in die sich bisweilen Grüntöne mischen. Die Gischt tropft als weißer Schleier vor die Woge. Auf dem Weg zum tiefen Schwarz findet sich ein dunkles Violett. Erst recht im dramatischsten Moment zeigen die Wellen ihre Ordnungsprinzipien; der zentrierte Sog schraubt sich spiralig aus der Tiefe und ergibt dabei einen Hohlraum. Ansgar Skiba hat ganze Museumsausstellungen allein mit dem Motiv „Wasser“ bestritten, und in jedem Bild fällt sein Porträt des Wassers anders aus. Im Gegensatz zu den Traditionen des Seestücks beobachtet er das Wasser nicht aus der überschauenden Ferne im gesicherten Abstand, sondern von mitten drinnen und teils sogar mit Blick auf das Epizentrum. Also, das Unzeitgemäße des Motivs – wenn es so etwas überhaupt gibt – erweist sich in Skibas Bildern, aber auch seiner Sicht auf das einzigartig Elementare als überzeitlich und sogar äußerst zeitgemäß. Dass es mit differenzierender Aufklärung daherkommt, muss ebenso wenig erwähnt werden, wie dass das Registrieren und Analysieren bei Skiba wissenschaftliche Ernsthaftigkeit besitzt.
Das ist ebenso bei seinen Gemälden von Feldern und Gärten der Fall. Wie genau Ansgar Skiba dabei vorgeht, belegen schon die Bilder, die sich einer einzigen Blumenart wie etwa den Tulpen zuwenden. Sie arbeiten den Reichtum der Formen und der Koloristik als kompositorisches Echo der Farbpartien heraus. Die Magnolien sind in ihrem duftigen Rosa-Weiß als Rapport vor dem hellblauen Himmel auf die Bilddiagonale hin angelegt. Die Darstellung von Feuerlilien kennzeichnet das orange glühende Züngeln in der Fläche. Die Seerosen sind als geöffnete Blüten über grünen Blättern gegeben; sie schwimmen im Wasser auf und ab. Hingegen sind die Tulpen summarisch im Panorama der horizontal geschichteten Landschaft zu erkennen. In seinen malerischen Schilderungen von Gärten führt Ansgar Skiba dann verschiedene Pflanzen zusammen, zugleich bedenkt er die verschiedenen Tageszeiten und Lichtverhältnisse, wobei es ihm primär um die Farbe an sich geht, um Komplementär-Kontraste oder Kalt-Warm-Kontraste etwa. Es ist nur selten der Fall, dass diese Darstellungen so etwas wie Unordnung kennzeichnet, vielmehr trennen sich die einzelnen Pflanzen-Sorten über die Farben und die Dichte ihrer Verwebung. Skiba lässt sie sozusagen frei schweben, indem er anstelle des distanzierten Überblicks mitten in diesen Gärten steht, in sie geradezu eintaucht und sich im Bildausschnitt selbst anhand der verschiedenen Naturformen orientiert. Ebenso dringt der Betrachter tastend, staunend in die Vegetation ein, nimmt wahr, wie sich die Blüten nun aus einzelnen Farbbewegungen zu einem komplexen Ereignis zusammenfügen und dabei eine immense Fragilität tragen. Mitunter werden die Prinzipien der Anlage der Gärten deutlich, man könnte sagen: ihre innere Struktur, die alles zusammenhält.
Natürlich ist die große Kennerschaft von Skiba für die Sensationen der Natur spürbar. Dazu kommt seine enge Verbundenheit mit ihr. „Der Künstler ist ein Waldgänger und Pilzsammler, ein Baumkenner und Liebhaber der draußen verbrachten Nacht“, schreibt Stefan Lüddemann in Skibas jüngst erschienenem Buch zu den Zeichnungen. Und im Gespräch weist Skiba selbst darauf hin, dass Gärten sein ganzes Leben begleitet haben, er schon in Dresden Gärten gepflegt hat. Nach dem Wechsel nach Westdeutschland, wo er ab 1983 an der Kunstakademie Düsseldorf studiert, setzt er das intensive Eintauchen in die natürliche Lebenswelt fort. Auf ausgedehnten Studienreisen nach Island und Skandinavien erweitert sich sein Motivkreis um Gletscher oder Gebirgsseen, allesamt Orte, die vom Menschen unberührt sind. Skiba berichtet aber auch von seinem Garten in Düsseldorf und dass er weltweit in vielen Gärten gemalt hat, auf der Insel Mainau am Bodensee, am Lago di Como, in den botanischen Gärten in Berlin und Kapstadt und immer wieder im nahegelegenen Südpark der Landeshauptstadt. Und weiter: dass die schönsten Tulpenfelder zwischen der Museumsinsel Hombroich und der Langen Foundation bei Neuss liegen und sich der beeindruckendste öffentlich zugängliche Garten in Weinheim an der Bergstraße befindet, der Hermannshof, wo das „New German Gardening“ mitentwickelt wurde.
Vielleicht ist diese so frische, mitten in unser großstädtisches Leben hineinstürzende Malerei am ehesten mit dem Verweis auf die Traditionen der Romantik kunsthistorisch zu fassen. Skiba hat diesen Bezug zur freien, menschenleeren Landschaft noch in seinen kleinformatigen Nachtstücken auf Holz und den Silberstift-Zeichnungen vertieft, die in den letzten Jahren in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen gewürdigt wurden. Vor allem hier tritt ein Impuls seiner Bilder deutlich hervor: Ohne ihn selbst abzubilden, weisen sie dem Menschen seine Rolle und Ohnmacht in der Welt zu. Mit seinen Motiven und dem gestisch Expressiven seiner Malerei stellt Skiba ganz unmittelbar die Wirklichkeit des Lebens her und verteidigt sie gegen jeden Rückzug auf die Funktionalität unseres Alltags und die Glätte des 21. Jahrhunderts, wie sie durch das Digitale mit der heutigen Informationsflut rasant zunimmt. Natur erweist sich in unseren Zeiten nicht nur als seelischer Trost und Ort der Verinnerlichung, sondern sie dient auch als Reflexionsebene, um sich gesellschaftlicher Probleme, wie des Klimawandels, der industrialisierten Landwirtschaft und der Grundwasserverunreinigung bewusst zu werden. In der so engagierten Malerei von Ansgar Skiba teilt sie ihr Potenzial zum Widerstand mit. Die Natur offenbart ihre Energie und Einzigartigkeit und berichtet davon, dass nur mit ihr ein Überleben möglich ist.
Ansgar Skiba. Flowers
Ausstellung im Museum für Gartenkunst – Schloss Benrath
Stiftung Schloss und Park Benrath
Benrather Schloßallee 102-106
40597 Düsseldorf
Laufzeit: 24. Juni 2021 – 24. Oktober 2021
Öffnungszeiten: Dienstag – Freitag 11 – 17 Uhr, Samstag & Sonntag 11 – 18 Uhr
Hinweis: Die Öffnungszeiten des Schloss Benraths sind abhängig vom aktuellen Inzidenzwert. Bitte informieren Sie sich daher kurz vor Ihrem Besuch auf der Webseite über die aktuell geltenden Zugangsbedingungen.
Webseite: www.schloss-benrath.de
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