Thomas Bernhards in einem Interview gemachte Bemerkung: „Tod und Finsternis sind das Thema aller meiner Werke und Schriften“1, trifft auch auf das bildnerische Werk von Heike Ruschmeyer zu, denn Glück, Lebensfreude und Vitalität sind in ihren Gemälden nicht zu finden. Die figurative Malerei der Künstlerin wird durch den Topos Tod bestimmt, ob durch Mord oder als selbstbestimmter Suizid. Die meisten der mittel- und großformatigen Bilder ließen sich als Stillleben mit Toten definieren.
Dem Ende des Lebens, die Überschreitung der Grenze hin zum Tod, hat sich die 1956 in Uchte, Niedersachsen geborene und in Berlin lebende Künstlerin thematisch früh verschrieben. Ihr Malereistudium begann Heike Ruschmeyer in Braunschweig, wo sie in die Bildhauerklasse von Emil Cimiotti wechselte, um dort aber weiterhin an ihrer Malerei zu arbeiten, denn ihrem Verständnis nach sind Bilder „gemalte Plastiken“.2 Schließlich zog sie Ende der 1970er-Jahre nach Berlin und setzte an der Hochschule der Künste [heute UdK] das Studium bei Wolfgang Petrick fort. Letzterer konfrontierte Ruschmeyer mit dem „Atlas der gerichtlichen Medizin“ von Otto Prokop und Georg Radam, worin sich Aufnahmen von Tatorten und sezierten Leichen finden.
In großen Tableaus, anfangs noch mit durchaus großer und expressiver Farbigkeit, später in verhalteneren Tönen, malte Ruschmeyer die Situation der Fundorte, die Interieurs mit den toten Körpern.
Für „Die Glasmenagerie“ von 1983 entlehnte die Künstlerin den Titel dem gleichnamigen Drama von Tennessee Williams. Bei Ruschmeyer endet das Drama allerdings tödlich und in dem an eine Küche erinnernden Raum liegt der tote Körper einer jungen Frau. Im Hintergrund sind Tisch und Schrank mit Glasgefäßen und ein Küchenschrank mit weiterem Geschirr zu sehen. Das Gemälde weist deutliche Drippingspuren auf, ein Indiz für die verdünnte Farbe. Andere Bildpartien sind gekennzeichnet durch schraffurähnliche Pinselspuren. Beide Techniken geben dem Bild eine expressive Note. Die wenigen pointiert gelben und blauen Abschnitte statten das Gemälde mit einer enormen Leuchtkraft aus, die auch das Gesicht der toten Frau illuminiert und ihren mit einem weißen Hemd bekleideten Körper deutlich hervortreten lässt. In der hinteren Ecke scheint eine dunkle Gestalt zu lungern, aus deren Gesicht ein weißes Lachen aufleuchtet. Hockt hier wirklich der Sensenmann, der sich stolz der vollbrachten Tat erfreut?
Die nur mit dunklem Strich angedeutete Gestalt ist im Gegensatz zu dem toten Körper nur skizziert, und bleibt im wahrsten Sinne im Dunkeln, als ob die Künstlerin dem Betrachter nur die zaghafte Möglichkeit eines totentanzähnlichen Narrativs offerieren will.
Mal legt Ruschmeyer Wert auf die Gesichter der Toten, die sie dann in großen Porträts anrührend, verletzlich und zart darstellt, in anderen Fällen faszinieren sie die Situationen, in denen die Körper gefunden wurden. Verrenkt, geschändet und in Blutlachen liegend, verweisen die toten Gestalten auf grausame Geschichten und dennoch sind die Bilder von einer – man zögert ,den Gedanken in die Tastatur zu tippen – abseitigen Schönheit, so als ob erst im Tod, und auch im gewaltsam herbeigeführten Tod durch fremde oder eigene Hand, die Gesichter und Körper zu einem entspannten und friedlichen Zustand fänden. Der Suizid als letzter Ausweg aus einer als erdrückend und erstickend empfundene Idylle und Enge ist unendlich tragisch, wozu sich „Happiness is a warm gun“, ein Songtitel der Beatles, mit seiner Dichotomie von Glück und Gewalt, assoziativ anbietet.3
Ruschmeyers Bilder sind an Deutlichkeit und Drastik kaum zu überbieten und lassen auch keinen Spielraum für Ambivalenz. In dem Bildkosmos der Malerin ist das Happy End ein Fremdwort, auch wenn die Porträts der Toten von einer berührenden Schönheit sind, wie sie vielleicht ähnlich in den Fotografien toter Kinder von Rudolf Schäfer zu finden ist.
Schon von Kindheit an verabscheute Heike Ruschmeyer Sonntage und versuchte mit dem Tuschkasten gegen die Feiertagsstimmung anzuarbeiten, als ob sie schon damals dem sonntäglichen Frieden in einer auf protestantischen Arbeitseifer getrimmten bürgerlichen Gesellschaft misstraute und die unterdrückte und schwelende Gewalt unter der dünnen Membran spürte. In der Schule wurden Fantasieaufsätze verlangt, aber sie fand ebenso wie der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch die Wirklichkeit wesentlich faszinierender. Folglich bezieht Heike Ruschmeyer ihre Bildideen aus Zeitungen sowie aus dem oben bereits erwähnten „Atlas der gerichtlichen Medizin“.
Laut eigenem Befund hat sich die Künstlerin ihre deprimierenden Topoi nicht gesucht, sondern die Themen haben sie gefunden. Passioniert, vielleicht sogar obsessiv, spürt sie ausschließlich der düsteren Seite des Lebens nach. Hier liegt der wesentliche Unterschied zur Literatur von Thomas Bernhard, in der das Schwere und Düstere der vorherrschenden Todesthematik immer wieder von kunstvollstem und etwas versöhnendem, weil zum Lachen verführenden Sarkasmus durchbrochen und gar konterkariert wird. Heike Ruschmeyer hält dagegen unumwunden an der grausamen Endgültigkeit des Todes fest, ohne den Betrachterinnen und Betrachtern ein erleichterndes Innehalten zu ermöglichen. Allein mit dem Titel hat sie in noch frühen Gemälden eine gar sarkastische Distanz zum gefertigten Bild geschaffen. Einem Gemälde zweier nackter, von fremder Hand getöteter Menschen gab sie 1982 den „harmlosen“ Titel „Sonnenbad“, als ob es sich um eine Strandszene handelte. Die Gemälde selber vermitteln jedoch keine Spur eines befreienden oder tröstenden Gefühls.
Schonungslos transformiert sie mit dem Pinsel die Wirklichkeit in Malerei, und bietet somit der gesellschaftlichen Realität ungeschminkt eine Bühne.
Deshalb verwundert es auch nicht, dass weitere ihrer Werkzyklen die rassistischen Anschläge seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in Rostock-Lichtenhagen und auch in Mölln und Solingen sowie die Mordserie des NSU behandeln. Auch den Mord der Roten Armee Fraktion an Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1977 in Karlsruhe und das Bombenattentat von 1989 in Bad Homburg auf Alfred Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, hat Ruschmeyer bildnerisch verarbeitet.
„Malerei ist für mich ein Ort politischen Handelns. Malerei betrachte ich nicht als Dekoration und nicht als Illustration von Geschichte.“4
Neben der Todesthematik gibt es auch Gemälde, die Kindheit thematisieren. Sie wirken allerdings bis auf wenige Ausnahmen eher als Botschaften der Tristesse, in denen sich das zukünftige Drama des Lebens abzuzeichnen scheint. Selbst eine auf den ersten Blick harmlose Serie von fünf S/W-Ölbildern eines ballspielenden kleinen Mädchens lässt den Betrachter erschauern. Der ernste Blick des Mädchens und die nahezu dokumentarische Malweise transportieren eine bedrohliche Atmosphäre. Heike Ruschmeyer ist eine Meisterin gemalter Angstzustände und Horrorszenarien des Alltags. Die Bilder sind Teil eines größeren Zyklus, der den lakonischen Titel „Karin“ trägt und auf einer Serie von Fotografien aus der Zeit des deutschen Faschismus beruht.
Andere Serien Ruschmeyers zeigen Kinderzimmer mit den kleinen Gitterbetten wie Vorzimmer der Hölle. Da werden kleine Körper gefügig gemacht, und wenn sie nicht spuren und stören, umgebracht. Kinderkörper, reglos neben den Bettchen liegend, das verschlägt einem die Sprache und startet den grausamen Film im Kopf, zusammengesetzt aus den vielen Berichten, die wir kennen.
Bis heute hat Heike Ruschmeyer diese Konzentration auf das Unversöhnliche und die Trostlosigkeit nicht aufgegeben. Von farbenfroher Lebensbejahung findet sich hier keine Spur, was die Bilder zu einer schweren Kost macht.
Die harte und eher deprimierende Motivik, die sich wie ein roter Faden durch das Werk der Künstlerin zieht, wirkt sich nicht unbedingt verkaufsfördernd aus. Heike Ruschmeyer zeigt keinerlei marktopportunistische Bereitschaft, „ihre“ Thematik zu verlassen, um vielleicht „marktgängigere“ und lebensbejahendere Bilder zu malen. Völlig gefeit davor, modische Themen zu bedienen, um einer vordergründigen Aktualität zu genügen, zahlt Ruschmeyer einen Preis für ihre Beharrlichkeit.
Anfang der 1990er-Jahre wurde sie von der renommierten Galerie Brusberg vertreten und hatte auch eine große Einzelausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Berlin, die allerdings kurze Zeit später, ebenso wie das Schillertheater, abgewickelt wurde.
Ausgezeichnet mit diversen Preisen, zuletzt dem Hans-und-Lea-Grundig-Preis 2017, muss Ruschmeyer sich immer mal wieder mittels Hartz IV mehr schlecht als recht staatlich subventionieren lassen und dann zugewiesene Arbeiten ausführen, die sie von ihrer eigentlichen Profession abhalten. Aus einer tief empfundenen politischen Verantwortung heraus macht sie – Im Unterschied zu vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen – ihre soziale und ökonomische Situation publik, spricht darüber in Interviews und hat ihre Selbsterfahrungen in einem ausführlichen Artikel bereits 2005 im „Neuen Deutschland“ veröffentlicht.5
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