Der Düsseldorfer Kunstpalast erinnert an die Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“
Eine Frau bildete die Speerspitze einer Künstlergruppe, in der die Männer dominierten: Johanna Ey, Galeristin in Düsseldorf, Verfechterin der Avantgarde, war der Motor und die gute Seele der Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“, die am 24. Februar 1919 gegründet wurde, bis 1932 Bestand hatte, ihren Elan aber schon nach wenigen Jahren einbüßte. Mutter Ey, wie die resolute Kunsthändlerin (1864–1947) genannt wurde, unterstützte die jungen Künstler mit Rat und Tat. Einige zählte sie sogar zu ihren Freunden – beispielsweise Otto Dix, Otto Pankok und Gert H. Wollheim. Ihre Galerie am damaligen Hindenburgwall (heute Heinrich-Heine-Allee) stellte sie als Ausstellungsfläche und Büro zur Verfügung.
So verwundert es nicht, dass Ey in der Ausstellung „‘Zu schön, um wahr zu sein.‘ Das Junge Rheinland“ eine wichtige Rolle spielt. Mit dieser Schau, motiviert durch das hundertjährige Gründungsjubiläum, erinnert der Kunstpalast an einen Zusammenschluss, dem während der Weimarer Republik mehr als 400 Künstler aus Düsseldorf und der näheren Umgebung angehörten. Ins Leben gerufen hatten das Sammelbecken der Dichter Herbert Eulenberg, der Maler Arthur Kaufmann sowie der Illustrator und Schriftsteller Adolf Uzarski. „Voraussetzung soll nur die Jugendlichkeit und Ehrlichkeit des Schaffens sein. Jugendlichkeit wohl verstanden, nicht in Beziehung auf das Alter gemeint, sondern auf die Stärke und Frische des künstlerischen Strebens“, hieß es im Gründungsaufruf. Maler, Zeichner, Bühnenbildner, Architekten, Literaten und Schauspieler – hier gaben sich Kunstschaffende verschiedener Disziplinen ein Stelldichein. Schmerzlich für Düsseldorf: Der zündende Impuls ging vom Lokalrivalen Köln aus, genauer: von einer gleichfalls „Das Junge Rheinland“ betitelten Ausstellung, die im Januar 1918 im Kölnischen Kunstverein des im Krieg gefallenen rheinischen Expressionisten August Macke gedachte.
Die aktuelle Präsentation im Kunstpalast umfasst rund 120 Gemälde, Arbeiten auf Papier und Skulpturen. Hierbei kann man aus dem Vollen schöpfen: Karl Koetschau, von 1919 bis 1934 Direktor der Städtischen Kunstsammlungen Düsseldorf, also der Vorgänger-Institution, sympathisierte mit der Bewegung und erwarb zahlreiche Kunstwerke für das Museum. Eine weitere Trumpfkarte der Schau ist das Ausstellungsgebäude selbst – gewissermaßen das größte Exponat: Entworfen hat das Ensemble am Ehrenhof der Architekt Wilhelm Kreis, einer der Mitstreiter im „Jungen Rheinland“. Dem Professor an der Kunstakademie Düsseldorf (sein bekanntester Schüler war der spätere Nazi-Bildhauer Arno Breker) übertrug man die Architektur für die „Große Ausstellung Düsseldorf 1926 für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen“ (GeSoLei). Klotzen, nicht kleckern, lautete die Devise dieser Baumaßnahme, die in puncto städtebaulicher Bedeutung den Vergleich mit dem Eiffelturm der Pariser Weltausstellung von 1889 nicht scheuen braucht. Bis in die Gegenwart prägen die vier Gebäude – das Museum, die heutige Tonhalle, das jetzige NRW-Forum sowie die benachbarte Rheinterrasse – das Erscheinungsbild der Düsseldorfer Rheinfront.
Kay Heymer und Daniel Cremer, die Kuratoren der Ausstellung, haben versucht, das diffuse Gesamtbild der Künstlervereinigung zu schärfen, indem sie zwölf Protagonisten in den Vordergrund rückten. Dazu gehören beispielsweise Dix, Max Ernst, Kreis, Heinrich Nauen, Karl Schwesig, Uzarski und Wollheim. Bloß zwei Künstlerinnen erhielten Einlass in diesen inneren Zirkel: Lotte B. Prechner und Marta Worringer. Eine lausige Quote. Zudem den etwas matten Werken von Prechner und Worringer bei Weitem nicht jene Faszination entspringt, die Johanna Ey, der eigentliche weibliche Power-Pol der Vereinigung, unvermindert ausübt. Dix porträtierte die in den Zwanzigern meistgemalte Frau Deutschlands 1924 in herrscherlicher Pose als Königin der Kunstwelt. Die ironische Hommage, heute im Besitz der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, ist jetzt eines der Glanzstücke der Schau im Kunstpalast.
Und als könnte es nicht anders sein, thront Mutter Ey im Zentrum der Zeitgenossen, die Arthur Kaufmann 1925 malte. Dieses Gruppenbild mit drei Damen, auf das der Besucher gleich im ersten Raum der Ausstellung trifft, unterstreicht den Außenseiter-Status der Frauen in der Künstlervereinigung „Das Junge Rheinland“ (sie stellten rund zehn Prozent der Mitglieder): Keine der Künstlerinnen wurde für wichtig genug befunden, um in diesem Tête-à-Tête der Schlüsselfiguren Aufnahme zu finden. Bei der Frau, die als zweite von rechts in der hinteren Reihe erscheint, handelt es sich nämlich nicht um eine Künstlerin, sondern um die Gattin des Düsseldorfer Pädagogen Hans Heinrich Nicolini. Und die Schauspielerin Hilde Schewior hatte Kaufmann nur deshalb in das Personal integriert, weil der an dieser Stelle vorgesehene Adolf Uzarski sich verweigerte – mit Gert H. Wollheim (sitzend, ganz links), dem er in inniger Abneigung verbunden war, wollte der streitlustige Literat partout nicht auf ein Bild.
Ein symptomatischer Konflikt: Die Geschichte des „Jungen Rheinland“ ist – wie bei vielen vereinsmäßigen Allianzen notorischer Individualisten – reich an Streitigkeiten, verbalen Attacken und Austritten. Schon im Juli 1921 verabschiedete sich die Künstlervereinigung selbst wegen einer Meinungsverschiedenheit aus der „Arbeitsgemeinschaft Düsseldorfer Künstler“. Im November 1923 krachte es erneut: Die sogenannte „Rheingruppe“ wandte sich vom „Jungen Rheinland“ ab. Bei einer Ausstellung von Adolf Uzarski in der Galerie von Johanna Ey war es zu einem Eklat gekommen, weil die Kunsthändlerin, wenig diplomatisch, Besucher schnurstracks ins Hinterzimmer führte; hier erwarte sie „richtige“ Kunst, beispielsweise Arbeiten von Max Ernst und Gert H. Wollheim. Eine daraufhin einberufene Generalversammlung des „Jungen Rheinland“ endete im Tumult – und in der Abspaltung der „Rheingruppe“-Opposition, die Johanna Ey der Parteilichkeit bezichtigte.
Solche Querelen klingen nach Revoluzzertum – ein Eindruck, der täuscht. Stilistisch, das macht die Düsseldorfer Ausstellung (mitunter schmerzlich) deutlich, waren die meisten Künstler eher gemäßigt. Mit seiner Formel „Das Junge Rheinland will keine Revolution. Es will Entwicklung” traf Karl Koetschau den Nagel auf den Kopf. Kein Zufall also, dass die Abstraktion kaum einen Künstler der Vereinigung reizte – für manche war sie sogar ein rotes Tuch. Nicht nur Uzarski und Wollheim, die beiden Leitwölfe, hielten an der figurativen Malerei fest; diskutiert wurde allenfalls darüber, wie expressiv der Grad der Wirklichkeitsverfremdung sein dürfe. Max Ernst, der 1919 die Kölner Dada-Gruppe mitbegründet hatte, kam zwar regelmäßig nach Düsseldorf. Doch mit seinen frechen Collagen fiel er aus dem Rahmen dessen, was die Maler des „Jungen Rheinland“ als Kanon verinnerlicht hatten: Porträts, Aktmalerei, Stillleben, Landschaften, Szenen aus dem rheinischen Karneval, nicht zuletzt Darstellungen, in denen das Trauma des Ersten Weltkrieges Gestalt annimmt; hervorzuheben hier die Radierungen von Otto Dix und Adolf Uzarskis Zyklus Ein Totentanz oder die Zeichnungen Gert H. Wollheims (Der Aufschrei, Westfront, beide 1917).
Jedenfalls scheint das Gros der Exponate Lichtjahre entfernt von den anarchischen Ideen des Dada-Max. Franz Westendorps Blick auf das Pantheon (1912) oder das Gurkenstillleben von Ernst te Peerdt (1917) schwimmen noch im Fahrwasser des Impressionismus. Den rheinischen Expressionismus repräsentieren beispielsweise die Vier Mädchen von August Macke (1913) und die Große Felsenlandschaft von Walter Ophey (1914–1919). Erstaunlich die Prominenz religiöser Darstellungen – zum Beispiel in der Flucht nach Ägypten von Hans Schüz (1918) oder Lotte B. Prechners Skulptur Pietà (1920er-Jahre). Wollheims Gemälde Abschied von Düsseldorf entstand zwar erst fünf Jahre nach der Gründung des „Jungen Rheinland“, also 1924, doch mutet das exaltierte Bild wie ein Fanal an. Der Künstler, auf dem Absprung nach Berlin, inszeniert sich mit Frack und Zylinder als Zentralfigur einer modisch-morbiden Soiree. Doch was hat am unteren Bildrand der kleine, alles andere als ansehnliche Hund mit Halskrause zu suchen? Offenbar wollte Gert H. Wollheim damit auf Adolf Uzarskis Roman „Möppi“ anspielen – in dem sehr erfolgreichen Buch schildert er das Leben in Düsseldorf aus der Sicht eines Hundes. Darf man den notorischen rheinischen Humor als Stich mit dem Florett charakterisieren, so gehört Wollheims Verunglimpfung seines Künstlerkontrahenten in die Kategorie „Säbelrasseln“.
Auf einen Blick
Ausstellung
Bis 2. Juni 2019: „Zu schön, um wahr zu sein.“ Das Junge Rheinland
Öffnungszeiten
Dienstag, Mittwoch, Freitag bis Sonntag 10:00–18:00 Uhr
Donnerstag 11:00 bis 21:00 Uhr
Katalog
Das junge Rheinland. „Zu schön, um wahr zu sein“. Von Daniel Cremer, Kay Heymer (Hrsg.), mit Beiträgen von Isgard Kracht, Anne Rodler, Jens-Henning Ullner, Andrea von Hülsen-Esch und Carolin Wurzbacher, 280 S., 23,5 x 28,5 cm, Wienand Verlag, ISBN 9783868325041
Kontakt
Kunstpalast Düsseldorf, Ehrenhof 4–5, 40479 Düsseldorf
Dauer: bis 2. Juni 2019
Internet: www.kunstpalast.de
Social Media
Der Kunstpalast kommuniziert die Ausstellung in den Sozialen Medien mit dem Hashtag #JungesRheinlandKunstpalast
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