Ausstellung

Farbe, Licht und schöne Frauen

„Tizian und die Renaissance in Venedig“ im Städel Museum

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelten die Künstler Venedigs eine eigenständige Malerei, die auf rein malerische Mittel und die besondere Wirkung von Licht und Farbe setzt. Einer ihrer wichtigsten Vertreter ist Tizian (Tiziano Vecellio, um 1488/90–1576), der zeitlebens die zentrale Figur in der venezianischen Kunstszene blieb. Derzeit widmet sich das Städel Museum in Frankfurt in der groß angelegten Sonderausstellung „Tizian und die Renaissance in Venedig“ der venezianischen Renaissancemalerei und zeigt, wie folgenreich dieses Kapitel der europäischen Kunstgeschichte ist. Die Ausstellung mit über 100 Meisterwerken ist bis zum 26. Mai 2019 zu sehen.

Mit über 20 Werken von der Hand Tizians versammelt die Frankfurter Schau die umfangreichste Auswahl, die je in Deutschland gezeigt wurde. Darüber hinaus sind unter anderem Gemälde und Zeichnungen von Giovanni Bellini (um 1435–1516), Jacopo Palma il Vecchio (1479/80–1528), Sebastiano del Piombo (um 1485–1547), Lorenzo Lotto (um 1480–1556/57), Jacopo Tintoretto (um 1518/19–1594), Jacopo Bassano (um 1510–1592) oder Paolo Veronese (1528–1588) zu sehen. Die Ausstellung bietet einen umfassenden Einblick in die künstlerische und thematische Bandbreite der Renaissance in Venedig und macht anschaulich, warum sich Künstlerinnen und Künstler der nachfolgenden Jahrhunderte immer wieder auf die Werke dieser Zeit beziehen.

In einer Folge von acht thematischen Kapiteln werden ausgewählte Aspekte vorgestellt, die für die venezianische Malerei des 16. Jahrhunderts charakteristisch sind. Dazu gehören etwa atmosphärisch aufgeladene Landschaftsdarstellungen, Idealbilder schöner Frauen (die sogenannten „Belle Donne“) oder die Bedeutung der Farbe für die Kunst der Venezianer. Die thematisch angelegten Sektionen ergeben ein systematisches Panorama des umfangreichen Materials. Neben dem venezianischen Bestand der Städelschen Sammlung, zu dem etwa Tizians Bildnis eines jungen Mannes (um 1510) gehört, werden hochkarätige Leihgaben aus mehr als 60 deutschen und internationalen Museen gezeigt. „Dieses wirkmächtige Klassikerthema der Kunstgeschichte ist in den deutschen Museen erst in jüngster Zeit stärker ins Blickfeld geraten. So erfüllt es uns mit großer Freude, dass wir in Frankfurt zum ersten Mal überhaupt in Deutschland ein so umfassendes, durch Schwerpunkte strukturiertes Panorama der venezianischen Malerei der Renaissance präsentieren können“, so Städel-Direktor Philipp Demandt.

Tizians Zeitgenossen wie Sebastiano del Piombo oder Lorenzo Lotto verbreiten die Innovationen bald auch außerhalb der Stadtgrenzen Venedigs. Ab den 1540er-Jahren tritt mit Jacopo Tintoretto, Paolo Veronese und Jacopo Bassano eine neue Künstlergeneration auf den Plan, die ebenfalls in der Serenissima um Aufträge wetteifert. Tizian setzt jedoch für Konkurrenten und Bewunderer gleichermaßen den Maßstab. „Kaum ein Bereich der Kunstgeschichte hat eine so kontinuierliche Rezeption erfahren. Tizian, Tintoretto und Veronese ist dabei eine Bewunderung zuteilgeworden wie sonst nur Michelangelo und Raffael“, betont Bastian Eclercy, Kurator der Ausstellung. Zum Auftakt des Ausstellungsrundgangs geht es zunächst exemplarisch ins Venedig des 16. Jahrhunderts: In dem von Anton Kolb verlegten Riesenholzschnitt Ansicht von Venedig (1498–1500; Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum), basierend auf einem Entwurf von Jacopo de’ Barbari, wird durch die ungewöhnliche Vogelperspektive die einmalige Topografie der Lagunenstadt mit erstaunlicher Präzision anschaulich.

Das zentral positionierte Großformat Ruhe auf der Flucht nach Ägypten (um 1572; Sarasota, FL, The John and Mable Ringling Museum of Art) von Paolo Veronese führt unmittelbar in das erste Kapitel des Rundgangs ein, in dem eine typisch venezianische Variante des in Italien dominierenden Marienbildes thematisiert wird. Das exotische Altarbild gilt in seiner malerischen Ausführung als ein Hauptwerk der venezianischen Renaissance und markiert gleichzeitig End- und Höhepunkt der Entwicklung einer Bildgattung, der sogenannten „Sacra Conversazione“ („Heiliges Gespräch“). Diese erfährt im 16. Jahrhundert eine Belebung durch die verstärkte Interaktion der abgebildeten Figuren. Besonders in Venedig wird die traditionelle Madonna mit Kind häufig zu einer Gruppe verschiedener Akteure erweitert.

Von den Mariendarstellungen in üppiger Landschaft geht der Rundgang unmittelbar zum Thema der Landschaftsmalerei über – einer der großen Errungenschaften der venezianischen Renaissance. Zwar bleibt die Landschaft stets an Figurenerzählungen geknüpft, erlangt jedoch erstmals eine zentrale Funktion als Stimmungsträger. In diesem Teil der Ausstellung werden sowohl die lyrischen Landschaften des frühen Tizian als auch die dramatisch aufgeladenen Darstellungen von Veronese oder Bassano gezeigt. Diese bilden die Grundlage für die spätere Etablierung der Landschaft als autonome Gattung. Vor allem bei mythologischen Themen lassen die Maler das in der antiken Dichtung romantisierte Arkadien als idealen Ort wiederaufleben.

Die Ausstellungsräume öffnen sich im Anschluss in eine von Arkaden durchzogene Architektur. Inhaltlich wird die zuvor bereits angedeutete Inspiration durch die Dichtkunst als eigenes Genre beleuchtet. Die mythologische Malerei des venezianischen Cinquecento gibt sich nicht mehr nur mit der Illustration literarischer Stoffe zufrieden, sondern beansprucht einen ebenbürtigen Status in der poetischen Freiheit der Erfindung. Stellvertretend hierfür stehen unter anderem Tizians Knabe mit Hunden in einer Landschaft (um 1570–76; Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen) und das auf den ersten Blick ähnlich anmutende Werk Paolo Veroneses Amor mit zwei Hunden (um 1580; München, Alte Pinakothek), deren Deutung bis heute Rätsel aufgibt.

Im letzten Abschnitt des ersten Ausstellungsteils werden die Besucherinnen und Besucher nur scheinbar zurück in die Realität geführt. Denn wirklichkeitsgetreue Frauenbildnisse sind in Venedig selten, die „Idealbildnisse“ schöner Frauen jedoch zahlreich vertreten. Oftmals werden sie der Porträtmalerei zugeordnet. Bei den abgebildeten „Belle Donne“ handelt es sich aber wohl nicht um konkrete Personen, sondern vielmehr um ein poetisches Ideal weiblicher Schönheit. Sebastiano del Piombos faszinierende Dame in Blau mit Parfümbrenner (um 1510/11; Washington, National Gallery of Art), die hier durch eine neue Deutung erstmals als frühes Beispiel dieser Gattung identifiziert werden konnte, zeigt jenen Frauentypus exemplarisch: ein rundliches Gesicht, volle Lippen, ein geheimnisvoller Blick und dunkelblondes Haar. Ein Exkurs in dieser Sektion beschäftigt sich anhand des Kostümbuchs „De gli habiti antichi et moderni di diverse parti del mondo“ („Über die alten und modernen Kostüme der verschiedenen Teile der Welt“, 1590) von Cesare Vecellio, einem Cousin Tizians, mit der zeitgenössischen Mode in Venedig und darüber hinaus.

Der zweite Teil des Rundgangs befindet sich im ersten Obergeschoss des Ausstellungshauses. Ausgehend vom Frankfurter Jünglingsbildnis aus Tizians Frühwerk wird zunächst untersucht, wie das venezianische Männerporträt im Cinquecento zur Blüte gelangt und die europäische Bildnismalerei nachhaltig beeinflusst. Charakteristisch sind die auf Baldassare Castigliones „Libro del cortegiano“ („Das Buch vom Hofmann“, 1528) basierenden Porträts lässig-eleganter junger Männer in Schwarz, etwa von Tizian oder Tintoretto. Aber auch kostbar gekleidete Hermelinträger oder Bildnisse der Dogen, der Staatsoberhäupter der Republik Venedig, prägen das Bild jener Zeit. Im Zentrum des Raumes stehen drei Darstellungen von Männern in prachtvoller Rüstung. Die besondere Virtuosität, die dem Maler dabei abverlangt wird, zeigt sich beispielhaft an Sebastiano del Piombos Mann in Rüstung (um 1511/12; Hartford, Wads worth Atheneum Museum of Art) oder Tizians Bildnis des Alfonso d’Avalos (um 1533; Los Angeles, The J. Paul Getty Museum), deren changierende Effekte auf den Rüstungen fast einem realen Lichteindruck gleichen.

Farbe und Effekte – die Renaissance in Venedig zeichnet sich im Gegensatz zu der stärker auf der Zeichnung basierenden Malerei in Florenz und Rom vor allem durch die Kunst der Farbe, den sogenannten „Colorito“ aus. Es wird deutlich, wie Venedig als Zentrum des Farbenhandels die Malerei begünstigt. Das venezianische Kolorit reicht vom Beerenton bis zum düsteren Schwarz, vom Helldunkel bis hin zur leuchtenden Buntfarbigkeit. Im Unterschied zu den meist porzellanhaft glatten Oberflächen, wie sie die Florentiner bevorzugen, belassen die Venezianer den Pinselstrich als Spur des Malakts oft deutlich sichtbar.

Das vorletzte Kapitel der Schau erörtert die Rezeption der Florentiner Kunst im venezianischen Cinquecento. An der florentinischen Kunst beeindruckt die Venezianer vor allem die an der Antike geschulte Darstellung muskulöser männlicher Aktfiguren, die Michelangelo perfektioniert. Die Männerakte Tizians, wie seine Frankfurter Studie für den heiligen Sebastian (um 1520) und der Heilige Johannes der Täufer (um 1530–33; Venedig, Gallerie dell’Accademia), oder Tintorettos Heiliger Hieronymus (um 1571/72; Wien, Kunsthistorisches Museum) zeugen von einer eingehenden künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Vorbild und einer gegenseitigen Beeinflussung.

Im Schlusskapitel der Ausstellung sind einige exemplarische Arbeiten aus dem weiten Feld der Wirkungsgeschichte versammelt. Viele der bedeutendsten Künstler schulen sich an der farbgewaltigen Malerei und exportieren diese, wie etwa El Greco nach Spanien. Von Tizian und Veronese lernen beispielsweise auch die großen französischen Maler des 19. Jahrhunderts, wie etwa Théodore Géricault. Thomas Struth macht zuletzt die zeitgenössische Musealisierung der venezianischen Malerei zum Gegenstand seiner Fotografien und kehrt das Verhältnis um: Die Betrachtenden der Bilder werden im Bild selbst zu Betrachteten. In diesem Fall von den Besucherinnen und Besuchern im Frankfurter Städel.

Auf einen Blick

Bis 26. Mai 2019
Tizian und die Renaissance in Venedig

Rahmenprogramm
Die Ausstellung wird von einem umfassenden Rahmenprogramm begleitet. Eine aktuelle Übersicht findet sich unter www.staedelmuseum.de.

Donnerstag, 2. Mai 2019, 19.00 Uhr:
Prof. Dr. Hans Aurenhammer (Goethe-Universität Frankfurt am Main):
„Allzu menschliche Götter? Parodistisches in venezianischen Mythologien von Bellini bis Tintoretto“.
Anmeldung unter Tel. +49-(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de

Katalog
Tizian und die Renaissance in Venedig
Bastian Eclercy, Hans Aurenhammer (Hrsg.), 272 S., 198
farb. u. 8 s/w Abb., 23 x 28 cm, Hardcover m. SU, Prestel,
ISBN 9783791358123

Kontakt
Städel Museum
Schaumainkai 63
60596 Frankfurt am Mai
www.staedelmuseum.de

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Profile

Das Städel Museum in Frankfurt am Main ist eines der bedeutendsten deutschen Kunstmuseen. Seine Sammlung umfasst mehr als 4000 Gemälde aus allen Epochen sowie eine umfangreiche Grafische Sammlung, Fotografien und Skulpturen. Die Stiftung erfolgte durch das Testament des Frankfurter Bankiers und Kunstsammlers Johann Friedrich Städel (1815). Der heutige Standort am Museumsufer wurde 1878 bezogen. 1990 kam ein von Gustav Peichl entworfener Erweiterungsbau hinzu. Eine weitere unterirdische Expansion, fertiggestellt 2012, verschaffte dem Städel rund 3000 Quadratmeter mehr Fläche für die Präsentation der Gegenwartskunst. Direktor des Museums ist seit Oktober 2016 Philipp Demandt.

[Foto: Städel Museum, Außenfassade Foto: Städel Museum / Norbert Miguletz]

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