Zum 150. Geburtstag des deutschen Impressionisten
Misstrauen gegen das Fremde ist keine Erfindung unserer Tage. Und Ressentiments nisten sich bisweilen auch in der Kunstszene ein, der man gern Toleranz und Aufgeschlossenheit gegenüber dem Anderen attestiert. Als der Worpsweder Maler Carl Vinnen 1911 einen „Protest deutscher Künstler“ anstiftete, um vor dem vermeintlich übermächtigen Einfluss ausländischer Künstler in Deutschland zu warnen, trat ihm Max Slevogt mit deutlichen Worten entgegen: „Ich fürchte, ‚deutsch sein‘ soll wieder einmal so viel heißen, wie im Leiterwagen fahren, wenn alle Welt mit dem Auto fährt“, spottete Slevogt, gegen Vinnens Wagenburg-Mentalität aufbegehrend.
Er ging sogar noch weiter, indem er die Existenz einer wesensmäßig „deutschen Kunst“ schlichtweg bestritt: „Wir haben einige Meister, deutsche Künstler, aber eine deutsche Kunst haben wir nicht.“ Schließlich seien die „grossen Söhne der Nationen, sei’s Rembrandt, Velazquéz, Rubens, Dürer … eben grosse Maler der Menschheit, … Söhne der Kunst.“
In diese Ahnengalerie schloss Slevogt auch „die großen Maler Frankreichs“ ein. Damit meinte er nicht zuletzt die Impressionisten – damals hierzulande noch heftig umstritten. Als Protagonist der Freilichtmalerei fühlte Max Slevogt (1868–1932) sich ihnen besonders wesensverwandt. Deshalb macht es Sinn, dass eine Ausstellung zum 150. Geburtstag des deutschen Impressionisten, die das Saarlandmuseum, Moderne Galerie in Saarbrücken präsentiert, eben die Verbindung „Slevogt und Frankreich“ ins Blickfeld nimmt. Rund 180 Exponate führen diese Allianz opulent vor Augen. Das thematische Spektrum umfasst Porträts, Landschaften, Großstadtszenen, Stillleben, Bilder, die mit Bühne und Tanz in Zusammenhang stehen, Illustrationen zu Werken der Weltliteratur, vor allem zum „Don Quichote“, schließlich Szenen aus dem Ersten Weltkrieg – seinen Fronteinsatz als „Kriegsmaler“ an der Westfront hielt der rasch desillusionierte Künstler nur wenige Wochen durch.
Max Slevogts Gemälde und Grafiken formieren in Saarbrücken ein Tête-à-Tête mit Werken von 26 Künstlern aus Frankreich – beginnend mit Corot, Delacroix und Courbet, über Manet, Monet und Renoir bis hin zu Cézanne und van Gogh. Was die Kunst Slevogts angeht, so kann das Saarlandmuseum aus dem Vollen schöpfen: Immerhin 56 Gemälde, rund 3000 Arbeiten auf Papier und circa 6500 archivalische Dokumente bewahrt das Museum. Parallel zeigt das Landesmuseum Mainz die Ausstellung „Ein Tag am Meer. Slevogt, Liebermann & Cassirer“ (9. Oktober bis 10. Februar 2019). Im Mittelpunkt dieser Präsentation steht der künstlerische Austausch Slevogts mit seinen Kollegen Max Lieberman und Lovis Corinth. Zusammen bilden sie das „Dreigestirn des deutschen Impressionismus“ – eine suggestive und deswegen häufig zitierte Formulierung des Berliner Kunsthändlers und Verlegers Paul Cassirer, den die Mainzer Schau in besonderer Weise berücksichtigt.
Zurück zur Ausstellung in Saarbrücken, zurück zu Slevogt und Frankreich: Diese innige Beziehung war keine Liebe auf den ersten Blick; vielmehr nahm sie erst nach und nach Gestalt an. Als der junge Slevogt in den 1890er-Jahren an der Akademie der Bildenden Künste München studierte und in Paris das beinahe obligatorische Auslandssemester absolvierte, ließ ihn die Avantgarde der Seine-Metropole noch kalt. Das hatte sich rund zehn Jahre später geändert; damals reiste Slevogt erneut nach Paris– im Deutschen Pavillon der Weltausstellung wurde sein Bild „Scheherezade“ ausgestellt. Vor allem Édouard Manet zog ihn jetzt mächtig in den Bann. „Ich habe Manet so bewundert …, weil ich in ihm fand, was die Welt so schön macht“, notierte Slevogt.
Was mag er damit gemeint haben? Nun, Manet (1832–1883), gerühmt als „peintre de la vie moderne“, als „Maler des modernen Lebens“, hatte die Impressionisten gelehrt, dass der Alltag, das normale Leben mit seinen banalen Vergnügungen mindestens ebenso viele ästhetische Sensationen bereithält wie historische Stoffe oder zeremoniöse Anlässe. Und Slevogt, ein Vollblutmaler, den nahezu jedes Sujet reizte, erwies sich als ebenso gelehriger Schüler. Kathrin Elvers-Švamberk, Kuratorin der Saarbrücker Ausstellung, analysiert das Vorbild Frankreich im Katalog: „Was die ruhmreichen Franzosen für die Nachfolgenden so bedeutsam machte, war ihre Kultur, Seheindrücke mit äußerster Konzentration zu fassen und mit wenigen geistvollen und erfindungsreichen Gesten auf der Leinwand ein Äquivalent dazu zu schaffen.“
Sucht man nach einem Datum, um die Symbiose zwischen Max Slevogt und der französischen Avantgarde zeitlich festzumachen, so bietet sich der Herbst 1899 an: Damals zeigte der Berliner Galerist Paul Cassirer 35 Werke des Deutschen zusammen mit Arbeiten von Manet, Edgar Degas und Pierre Puvis de Chavannes. Cassirers Botschaft war eindeutig: Den 31-jährigen sah er auf Augenhöhe mit den französischen Meistern. Das Publikum folgte dieser Sicht – die Schau bescherte Slevogt den Durchbruch. Zwei Jahre später sollte er seinen Lebensmittelpunkt nach Berlin verlegen. Sein dortiger Triumph wurde wohl auch dadurch möglich, dass Hugo von Tschudi, der progressive Direktor der Berliner Nationalgalerie, französische Kunst im großen Stil ankaufte. Slevogts in Saarbrücken zu sehendes wunderbar intimes Bildnis der Frau des Direktors, Angela von Tschudi (1902 entstanden, eine Leihgabe der Neuen Pinakothek in München), demonstriert, dass Slevogt seine ‚französische Lektion‘ gründlich gelernt hatte: Dem Bildnis fehlt alles Feierlich-Pompöse, die Dargestellte verschmilzt beinahe mit dem locker hingetupften bräunlichen Hintergrund.
Ein Sujet, das die Impressionisten besonders gern aufgriffen, nämlich die Freizeit-Aktivitäten der Großstädter, findet bei Slevogt eine kongeniale Ausprägung in seinem Gemälde „Segelboote auf der Alster am Abend“ (1905, Staatliche Museen zu Berlin – Nationalgalerie). Wegen eines Porträtauftrags hielt sich der Künstler im Sommer 1905 mehrere Wochen in Hamburg auf. Seine dort entstandenen Wasserlandschaften stehen der spontanen Peinture der französischen Impressionisten in keiner Weise nach. Gleiches gilt für einen anderen Lieblingsschauplatz von Malern wie Daumier, Degas, Renoir oder Toulouse-Lautrec: Bühne und Varieté, Tanz und Tingeltangel zogen den vielseitig interessierten Slevogt, von Jugend an eifriger Besucher von Konzerten und Theaterstücken, unwiderstehlich an: Sein Porträt des berühmten portugiesischen Baritons Francisco d‘Andrade in der Rolle des Don Giovanni, 1902 in einer Ausstellung der Berliner Secession präsentiert, sorgte beim Publikum für Furore. „Slevogts Bilder gerade dieses Motivkreises zeichnen sich in besonderer Weise durch eine fantasievolle, gleichsam ‚fabulierfreudige‘ Pinselschrift, durch eine gesteigerte Leuchtkraft des Kolorits und ein gelockertes Kompositionsgefüge aus“, analysiert Kathrin Elvers-Švamberk im Katalog.
Zwischen Bühne und Literatur gibt es manche Berührungspunkte. So überrascht es nicht, dass Max Slevogt als Illustrator literarischer Werke in Erscheinung trat. Auch auf diesem Feld erweist sich der bibliophile Künstler als Virtuose. Beeinflusst vor allem von Honoré Daumier, dem französischen Maler und Karikaturisten, läuft Slevogt, ein scharfsinniger Realist mit Sinn für derben Humor, bei den Illustrationen des Romans „Don Quichote“ zu Höchstform auf. Der wackere Ritter von der traurigen Gestalt avanciert zum Lieblingshelden seines literarisch-bildlichen Kosmos‘. Aber auch Shakespeares „Sommernachtstraum“ hat Slevogt wiederholt illustriert.
Es entbehrt nicht der Tragik, dass ausgerechnet dem frankophilen Slevogt durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs der geistig-bildnerische Nährboden entzogen wurde. Frankreich galt fortan als Erzfeind, und den Impressionismus diffamierte man als undeutsch und oberflächlich. Die heiteren, liebenswürdigen Galanterien von Monet, Renoir oder Sisley schienen auf einmal einer Welt von gestern anzugehören. Im Oktober 1914, kurz nach seinem 46. Geburtstag, kam Slevogt mit der Bayerischen 6. Armee an die Westfront in Flandern. Angesichts der unfassbar grausamen Kampfhandlungen, möglich gemacht durch moderne Waffentechnik, verschlug es dem „Kriegsmaler“ die visuelle Sprache. Nach drei Wochen schon beendete er seine Mission. Die an der Front entstandenen Zeichnungen und Aquarelle, teils 1917 durch den Verleger Bruno Cassirer publiziert, wirken eigentümlich unbeteiligt, lassen den Betrachter fast kalt. Die Sonnenseite des Daseins in der Kunst widerzuspiegeln – darin erreichte Max Slevogt hohe Meisterschaft. Das Abgründige, auch Barbarische der menschlichen Existenz in der Malerei auszuloten, das lag außerhalb seines Kunstwollens.
Auf einen Blick
Ausstellung: Slevogt und Frankreich
Dauer: bis 13. Januar 2019
Ort:
Saarlandmuseum, Moderne Galerie
Bismarckstraße 11–15
66111 Saarbrücken
Internet: www.kulturbesitz.de/museen/saarlandmuseum-moderne-galerie.html
Publikationen
Die Ausstellung begleitet ein 286 Seiten starker, reich illustrierter Katalog, herausgegeben von Roland Mönig: Slevogt und Frankreich, hrsg. Roland Mönig, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, ISBN 9783932036958
Anlässlich des Slevogt-Jahres hat das Saarlandmuseum zudem erstmals seinen großen Bestand an Briefen und Karten des Künstlers in einer illustrierten und kommentierten Ausgabe publiziert: Max Slevogt. Briefe 1898–1932, hrsg. Roland Mönig, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz, ISBN 9783932036934.
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