Ausstellung

Plastic fantastic!

Ein kontroverses Material im Vitra Design Museum

Schon im Klang dieses Wortes erstehen Welten vor dem inneren Auge: P-L-A-S-T-I-K! Und zwar solche des grenzenlosen Versprechens einer bunten, praktischen und heiteren Zukunft für alle – und der Untergangsvision angesichts der drohenden Selbststrangulation der Menschheit durch das als Müll den Planeten überschwemmende Synthetikmaterial. Die Ironie des Fortschritts gibt sich tatsächlich selten so krass: Die Entstehung der fossilen Rohstoffe Kohle und Erdöl, aus denen Kunststoffe hergestellt werden, dauerte gut 200 Millionen Jahre – dass ihr Siegeszug zu einem der größten globalen Umweltprobleme führte, brauchte dann nur noch 100 Jahre… Das Vitra Design Museum (Weil am Rhein) nimmt sich in dem verdienstvollen Ausstellungsprojekt „Plastik. Die Welt neu denken“ vor, die Geschichte, Gegenwart und mögliche Zukunft des kontroversen Stoffes zu beleuchten.

Vielleicht markieren die späten 60er-, frühen 70er-Jahre den Höhepunkt des Enthusiasmus für das Plastik, in dem sich Designer, Hersteller und Konsumenten trafen. Was ist das denn für ein Ding, wird sich mancher fragen, der Toot-a-Loop entdeckt: rasant in dreidimensionaler S-Form geschwungen, hochglänzend orange, mit Schlitzen und Skalen versehen. Das Gerät, beim japanischen Hersteller Panasonic auch unter der profanen Bezeichnung R-72S geführt, ist ein am Handgelenk zu tragendes Radiogerät, das durch die Drehung der beiden Teile gegeneinander die Senderwahlscheibe freigibt. Das Design passt zum Raumfahrerhelm und dem figurbetonten Stretch-Einteiler: Das Space Age ist Ende der 1960er in vollem Gang! Futuristische Form, Pop-Farbigkeit und wortspielerischer Name von Toot-a-loop entsprechen einer Gesellschaft, die auf der Reise in eine unendlich hedonistische Zukunft unterwegs ist. Kunststoff ist ihr Material, denn dergleichen Formen wären in keinem anderen Werkstoff realisierbar – und schon gar nicht zu diesem Preis.

Nichts ist so phantastisch plastisch formbar wie – eben das Plastik. Ebenso futuristisch liebt man es auch zu Hause, wenn man es sich bequem macht in Eero Arnios Pallo / Ball Chair, einer kuscheligen privaten Raumkapsel. Oder, ein wenig konventioneller, in Verner Pantons legendärem Panton Chair. Der ist zugleich ein beredtes Beispiel für die Notwendigkeit eines genaueren technischen Blicks auf Kunststoffe: Entworfen schon 1958 für glasfaserverstärktes Polyester, wurde der Stuhl erst Jahrzehnte später tauglich für die Serienproduktion (durch die Entwicklung hochbelastbarer Polypropylene). Und noch ein Stuhl: Der ebenfalls aus Polypropylen gefertigte Monobloc war ein Triumph, technisch wie sozial – endlich, ein alter Designertraum, ein aus nur einem einzigen Teil bestehender Stuhl zum volkstümlichen Preis.

Der Monobloc, heute in angeblich 1 Milliarde(!) Exemplaren über die ganze Welt verbreitet, ist inzwischen zum Inbegriff des schäbigen und banalen Plastiks geworden. Ähnlich erging es der Plastiktüte: Ihr Siegeszug als Symbol der allseits Üppigkeit bescherenden Marktwirtschaft kehrte sich um, sie wurde zum geschmähten Synonym der Wegwerfmentalität, die zunehmend Kritiker auf den Plan rief: „Jute statt Plastik!“. Die einstmals so hochschäumende Beliebtheit des Kunststoffs wurde im Gefolge der Ölkrisen der 1970er-Jahre deutlich eingebremst, auch wenn der durch diese verursachte Preisanstieg des Rohmaterials Erdöl (vorläufig!) nur von kurzer Dauer war.

Dass der Weg in die „Petromoderne“ durchaus nicht gradlinig verlief (und überraschende Kurven einschloss) wird anschaulich. Die Ausstellung wurde vom Vitra Museum erarbeitet zusammen mit dem V&A im schottischen Dundee und dem MAAT in Lissabon, alle drei Häuser übrigens auch für sich genommen architektonische Schaustücke. Zu den Vorläufern von petrochemisch erzeugtem Plastik – in der ehemaligen DDR sprach man technisch präziser von „Plasten und Elasten“ – zählten Kunststoffe aus pflanzlichen und tierischen Rohstoffen. Bois Durci („gehärtetes Holz“) war eine 1855 erfundene Mischung aus tierischem Bluteiweiß mit Holzmehl aus Palisander oder Ebenholz.

Für Galalith (seit 1898) wurde in Formen gepresstes Milcheiweiß (Kasein) mit Formaldehyd gehärtet. Diese frühen „Biokunststoffe“ waren am Markt erfolgreich, denn daraus ließen sich unzählige vielfarbige Haushalts- und Gebrauchsartikel produzieren: Knöpfe, Schachteln, Messergriffe, Schreibgeräte und vieles mehr. Und dann der Markterfolg Celluloid (ab 1870), ein thermoplastischer Kunststoff aus Cellulosenitrat: ihn konnte man aussehen lassen wie Horn, Elfenbein, Schildpatt, Koralle oder sonst noch was. Ein Moment, das das Image der Kunststoffe noch lang plagen sollte, der Makel des „Ersatzes“.

Aber dann: Im Jahre 1910 begann das eigentliche Plastikzeitalter dank Henry Baekeland, der in Erkner bei Berlin den ersten vollsynthetischen Kunststoff erfand. Bakelit, ein Phenolharz, bekam augenblicklich enorme technische Bedeutung. Als Isolierstoff in der Elektroindustrie, als Material für Zahnräder und Gerätegehäuse war Bakelit vielseitig, es ließ sich in mannigfache Formen gießen und spanabhebend bearbeiten. Das im Griff angenehme, feste, zumeist schwarz-braune Material konnte mit Holzmehl oder anderen Füllstoffen unter Hitze und Druck verpresst werden und bereitete so den Weg für moderne „maßgeschneiderte“ Kunststoffe. Diese Qualitäten nutzten Richard Schadewell und Marcel Breuer für ihr Tischtelefon.

Eine interessante Beobachtung hier am Rande: Den Entwerfer Breuer kennen wir ja vom Dessauer Bauhaus – an dieser Musterschule moderner Formgestaltung fanden erstaunlicherweise aber die Möglichkeiten der neuen Kunststoffe keine Beachtung. Das hinderte andere freilich nicht, Deutschland in dieser Zeit zu einem der Zentren des modernen Materials zu machen, auch wenn viele Werksentwürfe bei Dynamit-Nobel, AEG und Siemens anonym blieben. Auch der „Volksempfänger“ der NS-Zeit wäre ohne Kunststoff nicht machbar gewesen Der bald einsetzende Krieg unterbrach zwar die zivile Produktion, trieb aber die Entwicklung von Kunststoffen massiv voran: Plexiglas für aerodynamische Flugzeugkanzeln oder Nylon für Fallschirme.

Nach dem Krieg war der Kunststoff, vulgo: Plastik, eigentlich überall. Eine seiner Eigenschaften, das geringe Gewicht, machte ihn zum idealen Partner einer wachsenden Mobilität: Zum spacigen Radio empfahl sich als Begleiter das knallrote Picknickgeschirr. Tja, doch dann kamen die Probleme, staunend (und etwas störrisch) nahm man zur Kenntnis, dass der „Club of Rome“ keineswegs eine angesagte Diskothek am Tiberstrand war … Und so kommt es, dass der utopische Glanz des Plastiks zwar heute längst verblasst ist – aber das Material ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und hierbei sollte man nicht vergessen, dass die Kunststoffe eben nicht nur Quelle von Problemen sind – begrenzte fossile Rohstoffe, die Müllfrage –, sondern beispielsweise im medizinischen Sektor oder im Fahr- und Flugzeugbau erhebliches Zukunftspotenzial eröffnen. Auch im Bekleidungsbereich führt bei der Suche nach Ersatzstoffe für Leder etwa kein Weg an synthetischen Materialien vorbei. Dabei kommt es zu einem erstaunlichen Revival der alten organischen Kunststoffe: innovative Materialien, die nicht aus fossilen, sondern aus nachwachsenden organischen Rohstoffen bestehen. Das sogenannte Bio-Plastik verspricht Lösungsansätze nicht nur dank seiner nicht-fossilen Herstellung, sondern auch beim biologischen Abbau nach dem Ende des Nutzungszyklus.

Die Ausstellung „Plastik!“ im Vitra Museum fordert daher im Untertitel: „Die Welt neu denken“, ein so optimistischer wie wohl unumgänglicher Ansatz!

 


Auf einen Blick


Ausstellung: Plastik. Die Welt neu denken.

Ort: Vitra Design Museum, Charles-Eames-Straße 2, 79576 Weil am Rhein

Dauer: bis 4.September 2022

Internet: www.design-museum.de

Öffnungszeiten: täglich 10:00 bis 18:00 Uhr

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Profile

Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein zählt zu den führenden Designmuseen weltweit. Es erforscht und vermittelt die Geschichte und Gegenwart des Designs und setzt diese in Beziehung zu Architektur, Kunst und Alltagskultur. Im Hauptgebäude von Frank Gehry präsentiert das Museum jährlich zwei große Wechselausstellungen. Parallel dazu werden in der Vitra Design Museum Gallery temporäre Ausstellungen gezeigt, die einen aktuellen und oftmals experimentellen Ansatz vefolgen. Das Vitra Schaudepot von Herzog & de Meuron präsentiert circa 400 Schlüsselobjekte seiner umfangreichen Sammlung. Erweitert wird die Präsentation um jährlich drei bis vier sammlungsbezogene Wechselausstellungen.Grundlage der Arbeit des Vitra Design Museums ist eine Sammlung, die neben Schlüsselstücken der Designgeschichte auch mehrere bedeutende Nachlässe umfasst.

Bild: Vitra Design Museum, Frank Gehry, 1989
© Vitra Design Museum, Foto: Thomas Dix

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