Melanie Manchot im Märkischen Museum Witten
Das Märkische Museum Witten präsentierte in Kooperation mit Urbane Künste Ruhr anlässlich des „Ruhr Ding: Schlaf“ 2023 die Einzelausstellung „Dancing is the best revenge“ der Künstlerin Melanie Manchot (*1966 in Witten, lebt und arbeitet in London).
Ihre künstlerischen Medien sind Fotografie, Film, Video und Ton, mit denen sie im Besonderen das komplexe Verhältnis von Menschen zu urbanen Strukturen und Architekturen untersucht und darstellt. Hierbei bewegt sie sich stets zwischen inszenierter und dokumentarischer Erzählung. Inhaltlich steht oft das Verhältnis von multiplen, individuellen Subjektivitäten zu kollektiven Erfahrungen im Mittelpunkt. Die Künstlerin geht der Frage nach, inwiefern wir als soziale Wesen unsere Identitäten – eine Idee des Selbst – kontinuierlich produzieren. Wie empfinden wir unsere Körper in den Städten, die wir prägen und durch die wir geprägt worden sind? Wie beeinflusst und steuert die urbane Architektur unser Verhalten im öffentlich sichtbaren Gesellschaftskontext? Während Manchot in ihrem Frühwerk nur Frauen fotografierte, interessiert sie sich ab 2000 immer mehr für die Befragung und Darstellung von Vielschichtigkeiten und Verhaltenskodexen sozialer Gruppen und Gemeinschaften im öffentlichen Raum.
Die Wittener Schau versammelte sowohl ausgesuchte zentrale Werke der letzten 20 Jahre als auch ganz aktuelle Arbeiten aus Fotografie, Film und Videoinstallation. Beim Betreten der Räume wurden die Besucher*innen direkt von der Fotoserie „Inversions (London)“ (2021–2023) umringt, in der die Künstlerin eine Kamera-zentrierte Performance durchführt.
Durch das selbsterlernte „Auf-Händen-Stehen“ begann Manchot während des zweiten Londoner Lockdowns 2021 eine fortlaufende Serie von Handstandbildern zu produzieren, in der sie ihre umgekehrte Form mit der Londoner Architektur ins Verhältnis setzt. In Bezug auf Valie Exports Body Configurations (1972–1982) hinterfragt die Künstlerin das Verhältnis vom weiblichen Körper zur Stadtarchitektur und steht somit in der Tradition von feministischer Performancefotografie. Das Mittelschiff des Altbaus präsentierte die Videoarbeit „Dancing is he best revenge“ (2020), die auch Namengeber*in für die Ausstellung ist. Verschiedene Gruppen von Tänzer*innen, die jeweils einen bestimmten Stil aufführen, verschmelzen in den abendlichen Straßen der Stadt und versammeln sich schließlich in einem Bewegungsgewirr auf einem Platz. Die Arbeit betrachtet Tanz als Formen körperlicher Sprache und untersucht Ideen zu Gleichheit und Unterschiedlichkeit.
In Cornered Star (2018) ließ Manchot ein Pferd durch die brutalistische Architektur Marls traben und ihr Werk Dreamcollector (2008) zeigte schlafende Menschen in einem öffentlichen Park. Hierzu gesellte sich die Video- und Fotografiearbeit Kiss / Fight (2009, 2010), die intime und gefühlvolle, aber auch gewaltsame körperliche Gesten thematisiert. Das hintere Seitenschiff wurde von Auszügen der Fotorafieserien Groups & Locations (2004) und The Ladies (2018) eingenommen, denen sich Videoarbeiten in den Kabinetten anschließen.
Unerwartete Einblicke in die Arbeitswelt von Pole-Tänzerinnen gewährte Melanie Manchot in der Videoarbeit Golden Girls (2023), die in der Golden Girls Table Dance Bar in Bochum entstanden ist. Sie zeigt die sich vorbereitenden und wartenden Tänzerinnen kurz bevor die Bar öffnet. Die endlos kreisende Kamera dokumentiert und veranschaulicht, ohne Wertung oder Empathie die verstreichende Zeit.
Eine weitere Arbeit thematisiert die besondere Herausforderung des Agierens vor der Kamera von Zivilpersonen. In Security (2005) werden sieben Türsteher gefilmt, die auf Ibiza den Einlass der sieben Superclubs bewachen und entscheiden, wer in den Club darf, oder wem das Innere des Clubs verwehrt bleibt. Im grellen Tageslicht kommen die Türsteher an ihren Arbeitsplatz und ziehen sich aus, entledigen sich sinngemäß ihrer Rolle, bis sie nackt vor der Kamera stehen. So wie diesen Räumen eine gewisse Intimität eigen ist, waren die anderen Ausstellungsbereiche sehr offen und aufgrund ihrer besonderen Inszenierung und Ausstellungsarchitektur auf das Erlebnis der Begegnung ausgerichtet. Nicht nur den Arbeiten wurde im Märkischen Museum Witten begegnet, sondern auch die Besucher*innen begegneten einander im gemeinsamen Erlebnis und Schauen der Kunst, sodass auch neue Perspektiven und Gedanken zu den Werken entstehen können.