Karl Hagemeister – die Wiederentdeckung eines deutschen Impressionisten
„Leben Sie doch auch so einsam in der Natur wie ich! Verlassen Sie sich darauf, es ist die einzig richtige Art, wie sich ein Künstler entwickeln kann und muss. Ich wusste aus der Kunstgeschichte, daß, wenn sich eine Kunst überlebt hatte, wieder die Rückkehr zur Natur gelehrt wurde. Da sagte ich mir, wozu soll ich mich denn überhaupt von der Natur trennen […] Der Zweck ist doch der, nicht ein Bild zu machen, sondern ein seelisches Erlebnis hinzuschreiben […] mit der Sprache, die sich der Künstler mit seinen eigenen Augen vor der Natur gebildet hat.“
Diesen Rat erteilt der Maler Karl Hagemeister (1848–1933) seinem Schweizer Künstlerkollegen Emil Thoma, den er 1921 kennengelernt hat. Da blickt der Wegbereiter der modernen Landschaftsmalerei bereits auf eine 50 Jahre währende Künstler-Karriere zurück. Das Zitat ist dem Buch „Karl Hagemeister: ‚…das Licht, das ewig wechselt.‘ – Landschaftsmalerei des deutschen Impressionismus“ zu entnehmen, das diesen fast in Vergessenheit geratenen deutschen Impressionisten würdigt.
Obwohl Karl Hagemeister Gründungsmitglied der Berliner Secession war und von vielen Künstlern geschätzt wurde, blieb ihm die öffentliche Anerkennung schon zu Lebzeiten lange vorenthalten. Im Ringen um die Kunst pflegte der urwüchsige Außenseiter sein Leben lang Kontakt und intensiven Austausch mit Künstlern wie Theo von Brockhusen, Lovis Corinth, Philipp Franck, Walter Leistikow, Max Liebermann, Carl Schuch, Franz Skarbina, Max Slevogt oder Lesser Ury. Als der Maler 1914 zum Königlich Preußischen (Ehren-)Professor ernannt wird, hält er fest: „Vierzig Jahre hat sich kein Mensch um mich gekümmert, nun mit einem Male bin ich anscheinend ein berühmter Mann geworden. Die Kunsthändler interessieren sich für mich, ich werde ausgestellt und auf Antrag der Akademie der Bildenden Künste ist mir der Professorentitel verliehen worden.“
Der Sohn eines Obstzüchterpaares wird 1848 im brandenburgischen Werder geboren. 1871 geht er zu Friedrich Preller d. Ä. nach Weimar, der ihn zum Naturstudium ermuntert. Im Anschluss an das Studium folgen zwischen 1873 und 1883 zahlreiche und intensive Reisen in verschiedene europäische Länder. Karl Hagemeister lässt sich von Kunstausstellungen und anderen Künstlern inspirieren. Seine Vorliebe für das große Format nimmt hier in seinen Zeichnungen ihren Anfang.
Anschließend kehrt Karl Hagemeister an den Schwielowsee zurück und bleibt. In Pastellen und Ölgemälden widmet er sich als malender Naturbursche seiner Heimat. Die Mark Brandenburg mit ihren unbeständigen Licht-, Wind- oder Wolkenverhältnissen, mit ihren vielen Seen, Sumpfgebieten und weiten Wiesenlandschaften liefert ihm zu allen Jahreszeiten Motive. Sie befeuert seine Ideen und seine malerische Intuition. Hier entwickelt der passionierte Jäger seinen vollkommen eigenständigen, unverwechselbaren künstlerischen Ausdruck mit ausgeprägten Gestus rein aus der Naturbeobachtung. „Ich erkannte, daß nicht die Tonigkeit die Hauptsache für die Bilder sei, sondern das Licht, das ewig wechselt,“ notiert er 1883 in seinem Notizbuch.
Wie viele Künstler seiner Zeit begreift Karl Hagemeister die unmittelbar erlebte Natur als bildwürdiges Sujet. Wie kein anderer deutscher Impressionist jedoch setzte er sich ihr mit allen Unwägbarkeiten aus, ist ganz in ihr gegenwärtig. Nur in diesem direkten Kontakt konnte er die Natur malen, wie er sie empfand. Die Natur war Hagemeisters Atelier: „Wer Landschaften malt, muß sich aufhalten, wo die Landschaft ist, wer Prinzessinnen malt, muß dort sein, wo die Prinzessinnen sind,“ lautete sein Credo.
Weil ihm die Pastelle im Gegensatz zur Ölfarbe erlauben, „viel mehr Bewegung von Luft und Licht“ darzustellen und er die Natur in ihrer Wirklichkeit treffen will, in Form und Farbe, fängt er an, „jahrelang nur Pastelle zu malen.“
1907 geht Hagemeister nach Swinemünde, um das Meer zu malen. Es war der Beginn einer malerischen Leidenschaft, für die er viele Jahre immer wieder für einige Monate nach Rügen reiste. „Hier konnte ich den Kampf der Elemente fühlen, die Allmacht in der Welt des Meeres, den Kampf der alten Buchen mit Wind und Wetter und das kosmische Leben offenbarte sich mir ganz,“ schreibt er in seinen Notizen. Die eindrucksvollen Meeres- und Küstenbilder, die an der Ostsee entstanden, zeigen Brandungswellen, die an dunklen Felsen zerbrechen und unzählige Schaumtropfen in alle Richtungen fliegen lassen. Sie machen den Wind spürbar, der durch zierliche Seedorn-Zweige fegt oder Laub aufwirbelt und alles mit seinem eigenen Rhythmus mitreißt.
„Hagemeisters Meeresbilder wirken auch heute noch spektakulär. Steht man unvorbereitet vor einem dieser Gemälde, ist man überwältigt von der Wucht des visuellen Zugriffs aus der Nahsicht, von der Großzügigkeit und Größe der aus der stetig wiederholten Bewegung des Wassers herausgesehenen Form, von der Dynamik des Farbauftrags und dem ausgeprägten Relief der Farbe, das dieser Maler in nur wenigen Stunden eines ununterbrochenen Arbeitsganges mit Fäusten, Fingern, Handballen und ein paar Pinselhieben erzeugt hat. […] Er verstand sich auf die graphischen Strukturen, die bewegtes Wasser an der Oberfläche bildet, ebenso wie auf die Lichtereignisse und Schattentiefen, die der Himmel dorthin projiziert,“ beschreibt Katrin Arrieta das Spätwerk Hagemeisters in dem eindrucksvollen Bildband.
Die im Wienand Verlag erschienene Hagemeister-Monografie ist großzügig illustriert. Handschriftliche Notizen und fotografische Skizzen aus dem Nachlass des Künstlers sowie „Beobachtungen zu maltechnologischen Besonderheiten“ geben tiefe Einblicke in dessen Ansichten und Arbeitsweise. Weitere Texte betrachten Werkphasen und Bildsujets. Sie verorten Hagemeisters Werk innerhalb der Kunstgeschichte, der impressionistischen Malerei und im Kontext seiner Zeitgenossen. Diese hochwertig aufgemachte Monografie gibt einen aufschlussreichen Überblick über einen Künstler, der es wert ist, entdeckt zu werden.
Das Buch begleitet eine Ausstellungskooperation zwischen dem Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte (bis September 2020), dem Museum Georg Schäfer in Schweinfurt (18.10.2020–21.02.2021) sowie dem Kunstmuseum Ahrenshoop (10.04.–05.09.2021).
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