Raumfahrtstationen, Operationssäle, Freizeitparks: Die große Werkschau „Nature & Politics“ von Thomas Struth im Museum Folkwang zeigt Bilder künstlich geschaffener Wirklichkeiten. Ein makroskopischer Blick auf die Welt.
Es sind höchst unterschiedliche Orte, die Thomas Struth in den letzten Jahren fotografiert hat. Alle wurden von Menschen geschaffen und haben eines gemeinsam: Sie sind hochkomplex, auch wenn sie sehr unterschiedliche Zwecke erfüllen. Festgehalten in großformatigen Bildern, bleiben sie trotz des Detailreichtums geheimnisvoll. Die Ausstellung im Essener Museum Folkwang umfasst 34 Fotografien aus den Jahren 2005 bis 2015. Nüchtern zeigen sie uns Apparaturen, Strukturen und Konstruktionen, die unsere Lebenswelt prägen, dem Blick der Öffentlichkeit aber meist unzugänglich sind. Struth hat diese Objekte in leuchtenden Farben abgebildet und bringt mal heldenhafte, mal verzweifelte Versuche ans Licht, die Grenzen des technisch Möglichen zu erweitern und mittels künstlicher Welten die Natur zu überbieten. Durch den makroskopischen Blick wird das Wahrgenommene zum Gegenstand visueller Reflexion über den Zustand unserer Gesellschaft. Dabei vermeidet der Becher-Schüler jede Art von vordergründiger Dramatisierung seiner Motive und konzentriert sich ganz auf die Analyse des Gezeigten. Mit diesem Anspruch schlenderte er schon in den 1970er-Jahren durch Düsseldorf, um Orte abzubilden, die normalerweise nicht thematisiert und von der alltäglichen Wahrnehmung ausgeblendet werden. Die visuelle Diagnose wurde sein Markenzeichen – ob in Museumsbildern, Familienporträts, Urwaldaufnahmen oder Architekturfotografie.
Für „Nature & Politics“ suchte Struth gezielt nach Orten, die als Zeichen für den Fortschrittsglauben der westlichen Welt gedeutet werden können, und begab sich dorthin, wo die Natur auf dem Prüfstand steht. Festgehalten hat er Industrieanlagen wie „Hot Rolling Mill, ThyssenKrupp Steel, Duisburg 2010“ oder Operationssäle wie „Figure II, Charité, Berlin 2013“ mit der Plattenkamera, die viel genauer und feiner Gegenstände aufspüren kann. Die unbearbeiteten Fotos faszinieren durch präzise herausgestellte Details und malerische Farbakzente. Die Tiefenschärfe verleiht allem eine theatrale Präsenz.
Nicht immer erfasst der Betrachter sofort, was tatsächlich zu sehen ist − hier sind Bildtitel wie „Vacuum Chamber, JPL, Pasadena 2013“ auch eher irreführend als hilfreich. Struth macht sichtbar, erklärt aber nicht. Und wie so oft, wenn Dinge sich nicht konkret benennen lassen, bleiben ein leises Unbehagen und die Erkenntnis, dass der wissenschaftliche und technische Fortschritt unserer Zeit hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die Ausstellung macht den Versuch, das Unsichtbare zu dokumentieren, die technischen Umwälzungen, die Prozesse der Globalisierung, und lädt ein zu einem spannenden Streifzug durch die Welt.
Thomas Struth (*1954) zählt zu den international wichtigsten Künstlern seiner Generation. Er studierte in den 1970er-Jahren an der Kunstakademie Düsseldorf, zunächst Malerei bei Gerhard Richter, danach Fotografie bei Bernd und Hilla Becher. Zusammen mit weiteren Becher-Schülern, darunter Andreas Gursky, Thomas Ruff und Candida Höfer, gehört er der sogenannten Düsseldorfer Fotoschule an. Struth lenkt den Blick auf Strukturen der Gegenwart, die er mit Detailschärfe dokumentiert und hinterfragt. Seine Aufnahmen gleichen Studien, die historische, funktionale und soziale Zusammenhänge abbilden. Ob das undurchdringliche Dickicht asiatischer Dschungel, großformatige Museumsszenen („Audiences“) oder die jüngsten Aufnahmen in technischen Groß-Anlagen: Immer wieder thematisiert er in seinen typischen Bildfolgen das Verhältnis von Betrachter und Betrachtetem und fragt damit nach der Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft.
Auf einen Blick:
Ausstellung: Thomas Struth, Nature & Politics
Ort: Museum Folkwang, Essen
Zeit: 4. März bis 29. Mai 2016
Internet: www.museum-folkwang.de
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