ZERO-Pionier und Grenzgänger: Zum 90. Geburtstag von Heinz Mack gratuliert der Düsseldorfer Kunstpalast mit einer Ausstellung des Frühwerks
Die Stunde null schlug für Heinz Mack im Jahre 1958. Damals gründete er gemeinsam mit Otto Piene in Düsseldorf die Künstlergruppe ZERO. Ein fundamentaler Neuanfang, eine Abkehr vom damals tonangebenden Informel, eine Hinwendung zu einer elementaren Ästhetik, verkörpert vor allem durch die lichtkinetischen Objekte, die Mack und Piene schufen. Es ging den Informel-Stürmern um „Reduktion alles Figürlichen und die puristische Konzentration auf die Klarheit der reinen Farbe und der dynamischen Lichtschwingung im Raum“. Mehr als sechs Jahrzehnte später ist Heinz Mack künstlerisch aktiv wie eh und je. Er, für den „das Auto das beste kinetische Objekt ist“, gibt nach wie vor Gas. Am 8. März feiert der in Mönchengladbach und auf Ibiza lebende Vollblut-Dynamiker seinen 90. Geburtstag.
Der Düsseldorfer Kunstpalast gratuliert dem Bildhauer und Maler mit einer Präsentation, die vor allem das Frühwerk ins Visier nimmt, also jene Werke, die in den 1950er- bis 1970er-Jahren entstanden sind. Rund 100 Arbeiten sind zu sehen, und man steht staunend vor der Vielfalt dessen, was Heinz Mack vollbracht hat: Gemälde, Skulpturen und lichtkinetische Installationen, Fotografien, Bühnenbilder und Architekturvorhaben, nicht zuletzt die Dokumentationen seiner Kunst im öffentlichen Raum und der Land-Art-Projekte – all das „Bruchstücke einer großen Konfession“, um Goethe zu zitieren.
Das Museum ist prädestiniert für eine solche Hommage. Bereits 1956 wurde am Düsseldorfer Ehrenhof eines von Heinz Macks ersten schwarzen Bildern gezeigt. Versteht sich fast von selbst, dass zum Bestand des Museums etliche Werke des international geschätzten Lokalmatadors gehören, darunter der ikonische Lichtraum (Hommage à Fontana), den Mack, Piene und Günther Uecker 1964 bei der documenta 3 präsentierten. Dank einer privaten Schenkung gelangte erst im vergangenen Jahr mit Kleiner Urwald ein monumentales Silberrelief von Heinz Mack in die Sammlung. Nicht zuletzt gab das Museum gemeinsam mit Mack, Piene und Uecker den Anstoß zur Gründung der ZERO foundation, die 2008 als gemeinnützige Stiftung in Düsseldorf ins Leben gerufen wurde, um die Archivalien dieser Avantgarde-Bewegung an einem zentralen Ort zu konzentrieren.
Der ZERO-Aufbruch verdeutlicht, dass die Redensart „Nicht kleckern, sondern klotzen“ bestens geeignet ist, die Strategie des Künstlers zu charakterisieren. Seine Expeditionen in die Sahara und in die Arktis sind Musterbeispiele dafür. Früh hatte der Künstler ein Manko ausgemacht; ihn störte, „dass Skulpturen in Museen oft wie Fremdkörper wirkten. Schon damals, als Student, habe ich intensiv empfunden, dass die Skulpturen dort keinen Raum haben, um zu atmen und sich virtuell auszubreiten.“ Seine wahrlich raumgreifende Alternative: die Sahara, ein Sehnsuchtsort seit der Kindheit. 1955 stieg der 24-Jährige in Düsseldorf in seinen VW-Käfer und fuhr über Spanien und Marokko nach Tunesien zu den Oasen Tozeur und Kebil. Damals, bevor der Flugverkehr die Erde zum globalen Dorf machte, ein Wagnis, allemal ein Kraftakt. Bei dieser Reise, der 1958 ein zweiter Aufenthalt folgte, entstand die Idee zu seinem Sahara-Projekt. Macks Vision: ein Jardin artificiel, also ein künstlicher Garten, bestehend aus Sandreliefs, Kuben, Spiegeln, Flügelreliefs, Segeln, Fahnen und monumentalen Lichtstelen. 1968, während der Dreharbeiten zur TV-Dokumentation „Tele-Mack“, konnte er seine künstliche und künstlerische Oase in größerem Rahmen verwirklichen.
1976 folgte eine spektakuläre Doppel-Expedition. Gemeinsam mit dem „Stern“-Journalisten Axel Hecht und dem Fotografen Thomas Höpker ging es im März zunächst zum Sandmeer des Grand Erg Oriental in Algerien. Mit Spiegeln, Folien, Rasterblechen und Aluminiumstelen schuf der Grenzgänger eindrucksvolle Land-Art-Ensembles, die von Höpker kongenial fotografiert wurden. Im Juni schloss sich Teil zwei der Unternehmung an. Damit verbunden war ein Ortswechsel, wie er radikaler kaum vorstellbar ist: In den Eislandschaften der arktischen Baffin Bay installierte Mack schwimmende Plexiglaskörper, Licht-Blumen, Licht-Pyramiden, Eiskristalle und ein Feuer-Floß. Thomas Höpkers Fotos hielten auch diese temporären Aktionen für die kunsthistorische Ewigkeit fest. Sahara und Arktis, diese so unterschiedlichen geografischen Zonen betrachtet Heinz Mack als artverwandtes Biotop seiner Kunst: „Ob Eiswüste oder Dünenmeer – die Reinheit und Grenzenlosigkeit des Raums ist identisch.“
Sucht man nach Begriffen, um Macks Schaffen auf den Punkt zu bringen, kommt man unweigerlich auf den Terminus „Struktur“. Die Idee, dass Natur und Kunst Ausprägungen eines geordneten Gefüges sind, veranschaulichen schon jene Fotografien, die der junge Heinz Mack Mitte der 1940er-Jahre anfertigte, also noch vor seinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, das er 1950 begann. Im hessischen Lollar, seinem Geburtsort, durchstreifte Mack mit der Leica-Kamera, die er von seinem Onkel geborgt hatte, Wald und Wiesen. Gezielt hielt er jene natürlichen Strukturen fest, die sich beispielsweise an gepflügten Äckern oder Waldrändern ablesen lassen. Diese Fotografien, von denen eine Auswahl in der Düsseldorfer Ausstellung vertreten ist, markieren den Ausgangspunkt seines Kunstwollens, das später seine Fortsetzung in linearen oder rasterartigen Arbeiten erfuhr. Schon 1958 hatte er erklärt: „Ich gebe der Farbe eine Vibration, d.h. ich gebe der Farbe eine Struktur, oder: Ich gebe der Farbe ihre Form. Von Formbildung im bisherigen Sinne kann keine Rede mehr sein.“
Struktur, das ist es auch, was den Künstler an der Musik fasziniert. Der passionierte Klavierspieler und Bach-Verehrer („Bach ist und bleibt doch der Größte“, so wird er im Katalog zitiert) bringt in seinen Werken dynamische Strukturen und minimalistische Variationen zum Vorschein, die sich durchaus mit Klangerlebnissen vergleichen lassen. Kein Zufall wohl, dass Mack in zeitlicher Parallelität zur elektronischen Musik eines Karlheinz Stockhausen oder György Liget Bilder, Reliefs und Skulpturen anfertigte, in denen musikalische Phänomene visuelle Gestalt annehmen. Hierfür stehen Arbeiten wie Das Klavierkonzert (1958), Meine kleine Klaviatur (1960), Cantus Firmus (1986) und Concerto grosso con colori (2004), um nur einige Beispiele zu nennen. Seine Tuschezeichnung Notation, entstanden bereits 1956, bereitete den Weg für zeitgenössische Künstler, die Notationen und Partituren zum Gegenstand ihrer Werke machen; zu nennen wären hier beispielsweise Jorinde Voigt und Brigitte Waldach.
Die Doppelexpedition in die Sahara und die Arktis, die der begeisterte „Stern“-Herausgeber Henri Nannen unterstützte, belegt, dass Mack seine Kunst nicht zuletzt als Medienereignis verstand. Heute, im Zeitalter omnipräsenter Sozialer Netzwerke, eine Selbstverständlichkeit; damals aber, als Künstler sich gern im Atelier isolierten und viele eine Scheu davor hatten, mit den Medien zu paktieren, eine bemerkenswerte Allianz. Heinz Mack war anders, weltzugewandt, zugleich geprägt vom Drang, in die Ferne aufzubrechen, wohin ihm das Kunstpublikum nicht folgen konnte; deshalb waren Fotografie und Film als Bindeglied für ihn unverzichtbar.
Hier kommt Gerry Schum ins Spiel: Der Düsseldorfer Kameramann und Filmemacher, Initiator einer „Fernsehgalerie“, ließ Mack in seinem 1968 gesendeten Fernsehfeature „Konsumkunst – Kunstkonsum“ zu Wort kommen. O-Ton Heinz Mack: „Mein Plan ist es, eine Ausstellung zu machen, die nicht mehr in einem Museum stattfindet, nicht in einer Galerie stattfindet, sondern die ausschließlich und nur einmalig im Fernsehen erscheint. Alle Objekte, die ich in dieser Ausstellung zeigen werde, können nur durch das Fernsehen dem Publikum bekannt gemacht werden und werden auch von mir wieder zerstört.“ Wer dächte bei einem solchen Statement nicht an Marshall McLuhans prophetische Aussage „The Medium is the Message“! Aus finanziellen Gründen kam die Zusammenarbeit mit dem früh verstorbenen Schum nicht zustande. Beim Film „Tele-Mack“, der 1968 im Auftrag des Saarländischen Rundfunks und des WDR entstand, führte Hans Emmerling Regie. Den Schauplatz, die tunesische Wüste, verwandelte Mack mit diversen Lichteffekten und Montagetechniken in ein ausgedehntes kinetisches Experimentierfeld.
1959 schrieb Heinz Mack in einem Text über sein Sahara-Projekt: „Morgen werden wir auf der Suche nach einer neuen Dimension der Kunst auch neue Räume aufsuchen müssen, in denen unsere Werke eine unvergleichliche Erscheinung gewinnen werden. Solche Räume sind: der Himmel, das Meer, die Antarktis, die Wüsten. In ihnen werden die Reservate der Kunst wie Inseln ruhen.“ Natürlich ein rein äußerliches Zusammentreffen, dass wenige Wochen vor der Eröffnung der Düsseldorfer Ausstellung der Mars-Rover „Perseverance“ auf dem Roten Planeten landete und fantastische Bilder vom Jezero-Krater übermittelte. Gleichwohl mag sich manch ein Besucher der Präsentation im Kunstpalast ausmalen, wie sich die Werke von Mack, die in der Sahara solch eine suggestive Dynamik entfalten, wohl vor dem Hintergrund des ehemaligen, 3,5 Milliarden Jahre alten Flussdelta ausnehmen würden. Und zu dem Schluss kommen, dass die Kunst von Heinz Mack unbedingt marstauglich wäre.
Auf einen Blick
Ausstellung: Heinz Mack
Ort: Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf
Der Kunstpalast öffnet für Besucher ab Mittwoch, den 10. März 2021!
Dauer: bis 30. Mai 2021
Internet: https://www.kunstpalast.de
Anlässlich der Eröffnung haben Heinz Mack, Generaldirektor Felix Krämer und die Kuratorin Heike van den Valentyn ein Gespräch vor ausgewählten Kunstwerken in der Ausstellung geführt, das auf der Website abrufbar ist.
Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag: 10–19 Uhr
Donnerstag: 10-21 Uhr
Montag geschlossen
Katalog
Heinz Mack –Kunstpalast 2021
hrsg. von Heike van den Valentyn, Beitr. von Barbara Hess, Barbara Könches, Felix Krämer, Stefan Kröpelin, Thomas A. Lange, Matthieu Poirier, Nina Schallenberg, Heike van den Valentyn und Magdalena Zorn, dt., geb., 208 S. mit 250 (130 farb.) Abb., 23,5 x 28,5 cm, Köln, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, ISBN 9783960989233
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