In einer groß angelegten Ausstellung entdeckt das Städel Museum ab dem 23. November 2022 den einstigen Malerstar des italienischen Barock wieder: Guido Reni (1575–1642). Zu seiner Zeit war Reni einer der erfolgreichsten und gefeiertsten Maler Europas, begehrt bei den bedeutendsten Auftraggebern, zu denen etwa der Borghese-Papst Paul V., der Herzog von Mantua oder die englische Königin zählten. Im 19. Jahrhundert aufgrund anderer ästhetischer Vorlieben kaum geschätzt und später durch die einseitige Konzentration auf seinen zeitweisen Rivalen Caravaggio in die zweite Reihe verdrängt, hat er heute im allgemeinen Bewusstsein nicht mehr den Platz, den er verdient.
Erstmals seit über 30 Jahren führt das Städel Museum in Zusammenarbeit mit dem Museo Nacional del Prado in Madrid rund 130 seiner faszinierenden Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken zusammen und eröffnet einen neuen Blick auf Guido Reni. Der Maler war zutiefst religiös und zugleich abergläubisch, sagenhaft erfolgreich und hoffnungslos spielsüchtig, wie eine zeitgenössische Biografie mitteilt. Den ehrenvollen Beinamen Il divino (dt. „Der Göttliche“) erhielt Reni schon zu Lebzeiten – dieser bezieht sich auf seinen Ruhm als Künstlerstar, der sich im Wissen um sein Können gelegentlich auch divenhaft verhielt. „Der Göttliche“ verweist aber auch auf seine Themen: Reni ist der Maler des Göttlichen. Mit seiner Kunst prägte er die europäische Bildwelt tiefgreifend und übersetzte wie kein anderer die Schönheit des Göttlichen in Malerei – gleich ob es sich um den christlichen Himmel oder die antike Götterwelt handelte. Die enorme Wirkung seines Schaffens zeigt sich etwa in den unzähligen Varianten seiner Darstellungen des Hauptes Christi und Mariens mit zum Himmel gewandtem Blick, deren Reproduktionen sich noch heute als Einlegeblätter in katholischen Gebetsbüchern finden. Diese beispiellose Rezeptionsgeschichte hat Renis Image lange negativ geprägt und die eigentlichen Qualitäten sowie andere faszinierende Aspekte seiner Kunst aus dem Bewusstsein verdrängt.
Neben Hauptwerken aus der Sammlung des Städel Museums wie dem bedeutenden Frühwerk Himmelfahrt Mariens (um 1598/99) oder dem jüngst restaurierten Gemälde Christus an der Geißelsäule (um 1604) präsentiert die Ausstellung herausragende Arbeiten aus über 60 internationalen Museen und privaten Sammlungen, u. a. aus dem Museo Nacional del Prado, Madrid, der Pinacoteca Nazionale in Bologna, den Uffizien in Florenz, dem J. Paul Getty Museum und dem LACMA in Los Angeles, dem Metropolitan Museum of Art in New York und dem Louvre in Paris. Zudem ist eine Reihe von neu entdeckten und noch nie ausgestellten Werken Renis im Städel Museum zu sehen. Ergänzt wird diese Auswahl punktuell durch Gegenüberstellungen mit Werken von Vorbildern und Zeitgenossen, mit denen sich der Maler auseinandergesetzt hat (darunter Raffael, Parmigianino oder Annibale Carracci), sowie durch rare historische Dokumente, wie sein Rechnungsbuch der Jahre 1609–1612.
„Mit der Ausstellung ‚Guido Reni. Der Göttliche‘ im Städel Museum kann seit mehr als 30 Jahren der einstige Malerstar des italienischen Barock in Deutschland wieder entdecktwerden. Dank unserer großzügigen Leihgeber und Förderer können wir allein mehr als 130 Gemälde, Zeichnungen und Radierungen aus seiner Hand präsentieren – die größte Anzahl, die jemals an einem Ort versammelt wurde. Guido Renis Stellenwert in der europäischen Barockmalerei ist überragend. Die Rezeptionsgeschichte hat lange den Blick auf andere faszinierende Aspekte seiner Kunst verstellt. Denen werden wir uns in der Ausstellung widmen und zeigen, warum er im 17. Jahrhundert der erfolgreichste und meistgerühmte Maler Italiens war“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.
Sylvia von Metzler, Vorsitzende des Vorstands des Städelschen Museums-Vereins e. V.: „Mit Engagement und Leidenschaft unterstützen unsere über 9.000 Mitglieder das Städel Museum bei all seinen Vorhaben – so auch im Jahr 2014 mit der Erwerbung von Guido Renis Meisterwerk Himmelfahrt Mariens zum 200. Jubiläum des Museums. Wir sind sehr stolz, dass dieses Gemälde nun den Ausgangspunkt der großen Guido-Reni-Ausstellung bildet. Es ist ein Werk von beeindruckender Qualität und Programmatik sowie das erste einer Reihe weiterer Gemälde desselben Themas, die Reni schuf. Dass die Himmelfahrt Mariens des Städel Museums nun erstmals zusammen mit ihren Pendants aus dem Madrider Prado und der Londoner National Gallery gezeigt wird, ist ein einzigartiger Moment.“
„Reni war ein Visionär. Die herausragenden Qualitäten seiner Kunst wurden bereits von seinen Zeitgenossen hochgeschätzt. In direkter, erstmaliger Gegenüberstellung von Renis eigenhändigen Gemälden und Arbeiten auf Papier greifen wir auf die Forschungsarbeit der letzten Jahre zurück und stellen auch jüngste Entdeckungen vor. Dabei spielen seine künstlerische Position und Entwicklung genauso eine Rolle wie die Vielfalt seiner Bildthemen, insbesondere seine sakralen Sujets. Guido Reni ist der Maler der Himmelsvision: Wie kein anderer verlieh er dem Göttlichen anschauliche Gestalt. Mit der Ausstellung zeigen wir, wie der ‚göttliche Guido‘ zu seinem transzendenten Stil fand“, sagt Kurator Bastian Eclercy.
Rundgang durch die Ausstellung
Die Ausstellung präsentiert Guido Renis Schaffen anhand zehn chronologischer Kapitel, teils mit thematischen Schwerpunkten. Ebenso spielen Aspekte seiner Lebensgeschichte, in die eine 1678 erschienene Biografie des Bologneser Gelehrten Carlo Cesare Malvasia (1616–1693) umfassenden Einblick gibt, eine Rolle.
Den Auftakt der Ausstellung bildet eine noch nie zuvor zusammengetragene Gruppe von Gemälden der Himmelfahrt Mariens, darunter die beiden Fassungen der Himmelfahrt und Krönung Mariens von ca. 1602/03 (Madrid, Museo del Prado) und ca. 1607 (London, National Gallery) sowie die großformatige spätere Variante Immaculata Conceptio von 1627 (New York, Metropolitan Museum of Art). Das Thema erstreckt sich über Renis gesamtes Œuvre und hat ihn immer wieder aufs Neue beschäftigt. In der Sammlung des Städel Museums befindet sich seine früheste Version der Himmelfahrt Mariens von ca. 1598/99, in der bereits alle wesentlichen Motive der späteren Ausführungen angelegt sind und die von Renis revolutionärer Auffassung des Themas zeugt. Sie verdeutlicht als ein Programmbild seiner künstlerischen Ambitionen die von Zeitgenossen ganz besonders geschätzten „himmlischen Ideen“, wie Malvasia sie nennt. Neben dieser exemplarischen Einführung in Renis Werk stellt die erste Sektion auch die komplexe Persönlichkeit des Malers vor – etwa in Gestalt von Bildnissen und des von ihm eigenhändig geführten Rechnungsbuches (1609–1612; New York, Morgan Library & Museum), ein rares Dokument, das hier erstmals ausgestellt wird.
Schon früh beginnt Reni ab etwa 1584 in seiner Heimatstadt Bologna eine Ausbildung in der Werkstatt von Denys Calvaert (1540–1619). Aufgrund eines Zerwürfnisses mit seinem Meister tritt er 1595 für drei Jahre in die Akademie der Carracci ein, die ihm kleinere, auf eigene Rechnung ausgeführte Aufträge überlassen. Die Ausstellung präsentiert seine ersten Altar- und Andachtsbilder sowie virtuose Kreidezeichnungen, die in diesen Jahren entstehen. Jene frühen Werke verdeutlichen, wie Reni den Spätmanierismus Calvaerts, die Reformmalerei der Carracci und sein Studium der Meister der Hochrenaissance, vor allem von Raffael (1483–1520) und Parmigianino (1503–1540), zu einer ganz eigenständigen Formensprache vereint.
Ab 1601 lebt und arbeitet Reni in Rom; diese Jahre erweitern seinen Erfahrungshorizont und prägen seinen Stil maßgeblich. Dort nimmt er mehrere bedeutende Aufträge von Kardinal Paolo Emilio Sfondrati an und trifft sowohl auf Caravaggio (1571–1610) als auch auf den Cavalier d’Arpino (1568–1640), dem er sich anschließt und der ihn laut Malvasia als ‚Anti-Caravaggio‘ zu etablieren sucht. Dennoch wird Reni bald zu einem ‚Caravaggisten‘ der ersten Stunde und interpretiert dessen Kunst zwischen ca. 1604 und 1606 auf eine sehr individuelle Weise. Renis jüngst restauriertes Meisterwerk Christus an der Geißelsäule (um 1604) aus der Sammlung des Städel Museums veranschaulicht den Einfluss Caravaggios genauso wie das große Altarbild mit dem Martyrium der Hl. Katharina (um 1606; Albenga, Museo Diocesano) oder der David mit dem Haupt des Goliath (um 1605/06; Orléans, Musée des Beaux-Arts), für den sich Reni auch an einer antiken Skulptur orientiert.
In Rom steigt Reni innerhalb weniger Jahre zum führenden Maler der Stadt auf. Zwischen 1607 und 1614 gewinnt er Papst Paul V. Borghese und den Kardinalnepoten Scipione Borghese als Auftraggeber, die ihn für einige Jahre als ‚Hofkünstler‘ beschäftigen. Für die Familie der Borghese führt er große Freskenprojekte aus: im Vatikanischen Palast, in San Gregorio Magno, im Quirinalspalast und in Santa Maria Maggiore sowie das Aurora-Fresko im Casino des Pallavicini Rospigliosi, das zum Hauptwerk des ‚barocken Klassizismus‘ wird. Die Ausstellung zeigt dies anhand einer Auswahl von Zeichnungen für diese Projekte, darunter seine Kompositionsstudien in Feder sowie Detailstudien in Kreide, die Renis Entwurfspraxis und Zeichenkunst eindrucksvoll vor Augen führen.
1614 kehrt Reni nach Bologna zurück und muss sich dort als maßgeblicher Maler erneut etablieren. Seine Erfahrungen aus Rom entwickelt er hier zu einem kraftvoll-monumentalen und höchst eigenständigen Stil mit plastischen Einzelfiguren oder kleinen Figurengruppen vor meist dunklem Hintergrund weiter. In diese prima maniera (wieder ein von Malvasia geprägter Begriff) fließen Elemente seiner Beschäftigung mit Caravaggio ein, etwa in Halbfigurenbildern wie Loth und seine Töchter (um 1614/15; London, National Gallery). Wie die erst jüngst wiederentdeckte Bekehrung des Saulus (um 1616–1619; Madrid, El Escorial) zeigt, setzt er sich außerdem mit der manieristischen Tradition seiner Lehrer auseinander.
Schon zu Lebzeiten hochgeachtet sind Renis ‚Ausdrucksköpfe‘ (arie di teste) in schwarzer und roter Kreide mit ihrem „himmelnden Blick“, die den Zustand geistiger Entrückung in himmlische Sphären verbildlichen. Dieser innig nach oben gewandte Blick wird mit dem Stil des Malers gleichgesetzt und oft nachgeahmt. Virtuose Kreidezeichnungen und einige Gemälde in der Ausstellung demonstrieren den Entwicklungsprozess dieser Pathosformel, für den Reni auf die antike Skulptur zurückgreift. Auch beschäftigt sich Reni mit den Kopfstudien Raffaels sowie mit extremen Emotionen und Alterszügen.
In den Jahren der prima maniera befasst sich Reni immer wieder mit dem männlichen Akt, sei es als Bacchus, Samson oder Apoll, und setzt die Figuren in einer Reihe von großformatigen Gemälden wie Skulpturen ohne großes Beiwerk ins Bild. Muskulöse Körper von feingliedriger Eleganz und schönliniger Bewegtheit wie in Hippomenes und Atalante (um 1615–1618; Madrid, Museo del Prado) oder Bacchus und Ariadne (um 1614–1616; Los Angeles County Museum of Art) lassen seine Beschäftigung mit der Antike und der Natur gleichermaßen erkennen.
Ab den späten 1620er-Jahren hellt sich Renis Farbpalette zunehmend auf. Seine seconda maniera ist Resultat einer Weiterentwicklung, die mit einem teilweise freieren Farbauftrag, einer abgemilderten Licht-Schatten-Führung sowie einem ‚silbrigen‘ Kolorit einhergeht. Das reichlich verwendete Bleiweiß gibt seinen Gemälden eine bis dahin unbekannte Strahlkraft und findet sich in seinen Visionsdarstellungen mit seitlich hereinbrechendem Licht wie bei der Vision des heiligen Andrea Corsini (um 1629/30; Florenz, Uffizien). Ein bevorzugtes Motiv Renis in dieser Phase ist der leidende, aber unversehrte Christus, wie er ihn in seinem Christus am Kreuz (1636; Modena, Galleria Estense) darstellt. Auch greift Reni in Werken wie zum Beispiel Herkules und die Hydra (um 1635–1640; Florenz, Galleria Palatina) oder Amor (um 1637/38; Madrid, Museo del Prado) immer wieder mythologische Themen auf.
In all seinen Schaffensphasen ist Reni auch als Druckgrafiker tätig. Seine knapp 40 eigenhändigen Radierungen entstehen unabhängig von den Gemälden. Von einem Großteil besitzt das Städel Museum Abzüge und zeigt diese zum ersten Mal. Ebenso ist eine Kopie nach Parmigianinos Grablegung Christi (1524–1526) als eine Hommage an den von ihm verehrten Meister zu sehen, dessen Technik er sich durch das Kopieren aneignete.
Eine bedeutende Gruppe von Gemälden hat sich aus Guido Renis letzten Jahren erhalten. In unterschiedlichen Graden unvollendet, gewähren sie einen faszinierenden Einblick in die Arbeitsweise des Malers. Die Farbe ist mit großer Dynamik und Freiheit aufgetragen, das Kolorit erscheint stark zurückgenommen und tendiert fast zur Monochromie, wie bei der Büßenden Magdalena (um 1635; Baltimore, The Walters Art Museum). Bestimmte Partien einiger Werke, zum Beispiel Salome mit dem Haupt Johannes’ des Täufers (um 1638–1642; The Art Institute of Chicago), verbleiben im Skizzenhaften. Umstritten ist, ob es sich beim non finito in Renis Spätwerk um ‚fertige‘, absichtlich skizzenhafte Gemälde oder aber um ‚unvollendete‘, nur mit Pinselvorzeichnungen und ersten Lasuren angelegte Bilder (abbozzi) handelt. Wie die Ausstellung zeigt, sind beide Phänomene zu beobachten: Oft hat Reni Gemälde auf Vorrat begonnen und ihre Vollendung aufgeschoben; gleichzeitig setzt er das non finito aber auch bewusst als Gestaltungsmittel ein. So beschließen diese faszinierenden Bilder sein Werk als malerisches finale furioso.
Eine Ausstellung des Städel Museums in Zusammenarbeit mit dem Museo Nacional del Prado, Madrid.
Auf einen Blick:
Ausstellung: GUIDO RENI. DER GÖTTLICHE
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Information: www.staedelmuseum.de
Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr