„Zarte Männer in der Skulptur der Moderne“
im Georg Kolbe Museum Berlin
Sprach man einst von Frauen gern als dem „zarten Geschlecht“, so nimmt das Georg Kolbe Museum bei dieser – mittlerweile etwas antiquiert wirkenden – Redewendung einen originellen Rollentausch vor: „Zarte Männer in der Skulptur der Moderne“, so lautet der Titel einer Themenschau in dem Berliner Bildhauer-Museum. „Zarte Männer“, diese Wortkombination lässt auch in Zeiten fließender Gender-Grenzen noch aufhorchen. Und das umso mehr, als es hier um Skulpturen geht.
Julia Wallner, Direktorin des Museums und Kuratorin dieser spannenden Präsentation über den Wandel von Geschlechterbildern, kann deutlich machen, dass der empfindsame und grazile Mann in diesen rauen Zeiten als Gegenentwurf eine wesentliche, bislang unterschätzte Rolle spielte. Vertreter dieser sensiblen Gattung finden sich nicht nur in der Malerei und Skulptur. Die „hommes fragiles“ bevölkern auch die Literatur; man denke an Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl oder den Kreis um Stefan George (im Katalog hat Claudia Liebrand diese literarischen Ausprägungen des androgynen Männerideals in einem eigenen Aufsatz behandelt). Nicht zuletzt stehen die feingliedrigen, schlanken Jünglinge (das Durchschnittsalter der hier dargestellten Männer dürfte bei 20 Jahren liegen) im Einklang mit Jugendkult, Schwulen-Bewegung, Lebensreformern, freizügigen Nacktkulturanhängern oder Sport- und Bewegungsenthusiasten. Obwohl die zartbesaiteten Männer meist in sich verharren, bisweilen regelrecht introvertiert wirken (Musterbeispiel: Georg Minnes „Kniender“ von 1906), geht von ihnen eine gesellschaftspolitische Botschaft aus. Im Katalog interpretiert Julia Wallner die Plastiken „als bewusste Gegenbewegung zur Ökonomisierung und Rationalisierung der Zeit“.
Mit dieser Ausstellung setzt das Kolbe Museum seine Aufarbeitung der Skulptur im 20. Jahrhundert fort. Bereits in diesem Frühjahr war hier eine Präsentation über „Bildhauerinnen der Berliner Moderne“ zu sehen. Die aktuelle Parade bildet den Auftakt eines ambitionierten Forschungsprojekts, das sich unter dem Titel „Körperkult und Rassenwahn“ den Körperbildern der modernen Aktplastik widmet. Im Vordergrund soll dabei die NS-Zeit stehen.
Wirft man einen Blick auf die Produktionsbedingungen dieser Kunstwerke, so zeugen die „Zarten Männer“ vom Boom der Bildgießereien, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge des Denkmalkults einsetzte. In Berlin beispielsweise spezialisierte sich die Gießerei Gladenbeck auf verkäufliche Kleinbronzen. Eine Reihe dieser „Ladenbronzen“ ist jetzt auch in der Ausstellung vertreten. Zu den Bestsellern der wilhelminischen Ära zählte der „Knabe vom Berge“ des dänischen Künstlers Jeremias Christensen. Die geleckte Bronze eines spärlich bekleideten Hirten fällt aus dem Rahmen dieser Präsentation: Die „Zarten Männer“ im Georg Kolbe Museum zeichnen sich zwar durch den Willen zur Idealisierung aus, doch überschreiten sie nur selten die Grenze zum Kitsch.
Die Exponate verkörpern einerseits einen alternativen Zeitgeist. In Reinkultur begegnet er uns in Nikolaus Friedrichs „Sandalenbinder“, Arthur Volkmanns „Ganymed“, Aristide Maillols „Radrennfahrer“ oder Georg Kolbes Bildnis des Tänzers „Nijinsky“. Andererseits wurzeln diese Skulpturen in der Antike und der Renaissance. Amor, Narziss, Pygmalion oder Ganymed, all diese Jünglinge von makelloser Schönheit entstammen schließlich der griechischen Mythologie. Im 18. Jahrhundert, als der Klassizismus erneut die Antike zum idealen Zeitalter verklärte, erfreuten sich diese Adonis-Varianten immenser Beliebtheit in öffentlichen und privaten Skulpturensammlungen.
In der modernen Skulptur entfällt der Zwang, die erotische Darstellung nackter männlicher Körper durch die Mythologie zu legitimieren. Zu Beginn der Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts schuf Adolf von Hildebrand mit seinem „Stehenden jungen Mann“ die erste autonome Aktplastik in Deutschland. Und so sind die langgliedrigen, schmalhüftigen Akteure der Ausstellung im Kolbe Museum überwiegend in alltägliche Zusammenhänge eingebettet. Auffällig ferner bei vielen dieser Plastiken eine zur Schau gestellte Melancholie, ein Hang zum Narzissmus.
Gewissermaßen den chronologischen Abschluss der Ausstellung im Georg Kolbe Museum markieren die Werke von Hermann Blumenthal, Joachim Karsch und Gerhard Marcks. Allesamt verachteten sie die Nazi-Ideologie. Ausstellungsverbote und die Entfernung ihrer Werke aus Museen und Galerien zermürbten ihren künstlerischen Elan. Karsch, von dem jetzt unter anderem die Skulptur „Trinkender Knabe“ (1937) präsentiert wird, schrieb 1941 voller Bitternis: „Wir sind, wie sich zeigt, die Generation, die von der Geschichte einfach verbraucht worden ist. Der Abfall, der bei der großen Umschaltung herausgefallen ist. Nach diesem Kriege werden wir alte Leute sein, und eigentlich haben wir ja noch gar nicht gelebt.“ 1945 nahm sich Karsch gemeinsam mit seiner Frau das Leben. Der Reiz einer Welt, in der „zarte Männer“ selbstversunken ihre Schönheit zur Schau stellen, hatte da schon längst seine Anziehungskraft eingebüßt.
Auf einen Blick
Ausstellung
Zarte Männer in der Skulptur der Moderne
Ort: Georg Kolbe Museum, Berlin, Sensburger Allee 25, 14055 Berlin
Dauer: bis 3. Februar 2019
Internet: www.georg-kolbe-museum.de
Öffnungszeiten
täglich 10–18 Uhr
Katalog
Zarte Männer in der Skulptur der Moderne, Texte von Julia Wallner, Elisa Tamaschke und Claudia Liebrand, erschienen im Eigenverlag (ISBN 9783000606595)
Kommentare sind geschlossen.