Ausstellung

Familienaufstellung mit Maria

Karin Kneffels neue Serie „Face of a Woman, Head of a Child“ in Kleve

Marienbilder der Spätgotik standen Pate bei Karin Kneffels jüngster Serie „Face of a Woman, Head of a Child“. In den als Diptychon angelegten Porträts holt die Düsseldorfer Malerin die Madonna und das Christuskind auf die Erde.

Maria und das Christuskind – kein Thema ist in der christlichen Kunst häufiger dargestellt worden als diese spirituell aufgeladene Mutter-Kind-Beziehung. An die seit dem 3. Jahrhundert bestehende Tradition knüpft Karin Kneffel mit ihrer aktuellen Serie an, obwohl die Düsseldorfer Malerin nach eigenem Bekunden nicht religiös ist. Gleichwohl zieht es Kneffel immer wieder in Kirchen. Fasziniert ist sie vor allem von spätgotischen Marien-Skulpturen. Aus ihnen spricht Glaubenszuversicht ebenso wie Mutterliebe. Göttliches und Allzumenschliches gehen hier eine Allianz ein, die Christen tief berührt und Atheisten nicht kalt lässt. Fotografien von Madonnen des 15. und 16. Jahrhunderts bilden die Ausgangsbasis von Kneffels Serie „Face of a Woman, Head of a Child“, die jetzt im Museum Kurhaus Kleve gezeigt wird.

Ein ideales Ambiente, besitzt das Museum doch zum einen zahlreiche spätmittelalterliche Skulpturen. Zum anderen findet sich hier die größte Sammlung mit Werken des rheinischen Bildhauers Ewald Mataré (1887–1965). Buchstäblich herausragend seine 2,70 Meter hohe Holzfigur „Mutter und Kind“ (1930/31). Matarés Werk und die Skulpturen aus dem Herbst des Mittelalters bilden nun den Resonanzboden der von Valentina Vlašić kuratierten Kneffel-Schau. Nicht als kunsthistorisch akkurate Kopien wollen diese Werke verstanden werden, sondern als freie Variationen, als Nachempfindung und Fortentwicklung.

In der Tat hat Karin Kneffel dem Klassiker der religiösen Kunst ein überraschendes Update verpasst. Überraschend zunächst in ikonografischer Hinsicht: Maria von Nazareth und der zukünftige Heiland, sie werden in den Gemälden geerdet, sie erscheinen wie Bilder aus einem Familienalbum, wo die Konterfeis von Mutter und Kind auf einer Doppelseite angeordnet sind. Überraschend aber auch von einem formalen Standpunkt aus: Die dreidimensionalen Madonnen übersetzte Kneffel ins flächige Medium der Malerei, die zudem seriell und konzeptuell verfasst ist: Treten uns die Marienskulpturen im sakralen Raum in der Regel als Solitär entgegen, so entfaltet „Face of a Woman, Head of a Child“ sein eigentliches Potenzial erst durch die Wiederholung ein und desselben Grundmotivs. Der konzeptuelle Schritt, den Kneffel gegangen ist, besteht in der Wahl des Diptychons als Klammer der paarweise angeordneten Bildnisse.

Die zweiteiligen, ursprünglich zusammenklappbaren Tafeln gehen zurück auf die Antike. Als kostbare Elfenbeinreliefs oder in Form von Gemälden waren Diptychen bis in die frühe Neuzeit verbreitet – vor allem als Haus- und Reise-Altärchen sowie als Doppelporträt, das anlässlich von Verlobung oder Hochzeit in Auftrag gegeben wurde. Das Diptychon zergliedert das Paar, isoliert es auf separaten Tafeln – Tuchfühlung suchen Mutter und Kind in den Bildern von Karin Kneffel eher zum Betrachter als zueinander.

Makellos und vielschichtig ist das alles gemalt, opulent, sinnlich, feinstofflich, gleichsam zum visuellen Anbeißen. So wie man es aus Karin Kneffels berückenden Obstbildern kennt. „Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren“: Sollte Oscar Wilde Recht haben, so offenbaren Kneffels Porträts Geheimnisvolles, obwohl es ihr nicht vorrangig darum geht, dass der Betrachter in den Zügen der Dargestellten liest.

Gleichwohl handelt es sich um eine sehr persönliche Ausstellung. Ehemann, Sohn, Schwiegertochter und Enkel zählen ebenso zum Personal der Heiligen Familie wie eine Darstellung von Muttergottes und Christuskind, die Kneffel mithilfe von Künstlicher Intelligenz generiert hat. Als die Serie in ihrem Atelier hing, machte sich die Künstlerin bisweilen einen Spaß daraus, Gäste zu fragen, welches der Doppelbilder wohl aufgrund der Anweisungen von Kneffel durch die KI generiert worden sei. Die meisten tippten daneben. Spoiler Alert für Ausstellungsbesucher: Die spöttisch-kokett dreinblickende Maria und ihr Sohn, dessen Augenpartie im Verhältnis zum Mund seltsam verzogen erscheint, sie verdanken ihre Entstehung den magischen Algorithmen.

Auch der heilige Josef ist Teil der Serie – für das fiktive Porträt, das den „Nährvater“ Jesu als würdigen Patriarchen mit mächtigem Rauschebart in Szene setzt, saß Karin Kneffels Ehemann Modell. Bekanntlich ist der Zimmermann aus Nazareth im Neuen Testament nicht viel mehr als eine Staffagefigur. Dennoch erweist ihm die Künstlerin ihre Reverenz, „weil er ein uneheliches Kind großzog“, wie sie anmerkt. Da Maria vom Heiligen Geist geschwängert wurde, wäre Eifersucht hier allerdings fehl am Platz.

Die religiöse Verehrung, die Werken der christlichen Kunst über viele Jahrhunderte entgegengebracht wurde, verlor ihre Selbstverständlichkeit spätestens mit der Aufklärung. Georg Wilhelm Friedrich Hegels „Vorlesungen über die Ästhetik“ (1835–1838) bringen den Wandel des Zeitgeistes auf den Punkt: „Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen – es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr.“

Ein Prozess der Entfremdung, der sich in der Moderne in beschleunigter Form vollzog. An die Stelle von Frömmigkeit trat Distanzierung. Oder Ironie – wie in Max Ernsts Bildsatire „Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler“ (1926). In Karin Kneffels Serie ist von Ironie nichts zu spüren. Anders als Max Ernst, der rheinische Surrealist, reizt es sie nicht, wider den Stachel der Heiligendarstellungen zu löcken. Vielmehr begreift sie die Zeugnisse des Marienkultes als physiognomische Muster, die sie aufgreift und in einer weltlichen Sphäre fortentwickelt. Aus Symbolismus wird Realismus, aus der Heiligen Sippe eine Familienaufstellung.

Ähnliches gilt für weitere religiöse Motive, die in der Klever Ausstellung zu finden sind. Vom Apfel als Verweis auf den Sündenfall war schon die Rede. Die Trauben, die in Kneffels Bildern mit eindrucksvoller haptischer Qualität wiedergegeben sind, erinnern an den Wein, der in der christlichen Liturgie für das Blut Christi steht.

Die Kerze zählt nicht nur zu den geläufigsten Vanitas-Motiven; zugleich versinnbildlicht ihr Licht im christlichen Verständnis das neue Leben, an dem wir dank der Auferstehung des Messias teilnehmen dürfen. Interessant in diesem Zusammenhang, dass Gerhard Richter in den achtziger Jahren eine Serie von schlicht-subtilen Kerzenbildern gemalt hat, die innerhalb der zeitgenössischen Kunst als ikonische Werke betrachtet werden. An den Kerzen ihres einstigen Lehrers nahm Karin Kneffel Maß – ihre Bilder halten dem Vergleich stand.

Schließlich die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde, Luft: Eine Reihe von großformatigen Bildern in der Ausstellung nimmt darauf Bezug. Die Vierfalt der Grundelemente verkörpert jene Totalität des Daseins, die auch der Glaube ins Visier nimmt. So gesehen, ist Karin Kneffels Ausstellung, die im kommenden Frühjahr ins Museum Franz Gertsch im schweizerischen Burgdorf weiterwandert, eine ganzheitliche Annäherung an Existenzielles. Im Museum Kurhaus Kleve gibt es viel zu sehen – und viel zu bedenken.


Ausstellung
Karin Kneffel: Face of a Woman, Head of a Child

Orte und Laufzeit
Bis 18. Februar 2024
Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung, Tiergartenstraße 41, 47533 Kleve
www.mkk.art/museum

23. März bis 1. September 2024
Museum Franz Gertsch, Platanenstraße 3, CH-3401 Burgdorf
www.museum-franzgertsch.ch

Katalog
Karin Kneffel. Face of a Woman, Head of a Child

Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V. (Hrsg.), Beiträge von Harald Kunde, Valentina Vlašić, Julia Voss und Anna Wesle, Hardcover im Schuber, 180 S., 32 x 21,5 cm, Schriftenreihe Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung Nr. 86, ISBN 9783934935945

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Profile

Karin Kneffel wurde 1957 in Marl geboren. Von 1981 bis 1987 studierte sie an der Kunstakademie Düsseldorf bei Johannes Brus, Norbert Tadeusz und Gerhard Richter, dessen Meisterschülerin sie wurde. Seit 2008 hat sie eine Malerei-Professur an der Akademie der Bildenden Künste München. Ihre erste Einzelausstellung wurde 1984 in der Münchner Galerie Rüdiger Schöttle präsentiert. Seitdem zahlreiche Werkübersichten in Museen und Galerien.

[Karin Kneffel im Atelier, Foto: Eberhard Knauber, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023]

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