Chaim Soutine im Düsseldorfer K20
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt in einer umfassenden Ausstellung die Werke des Künstlers Chaïm Soutine (1893 – 1943, geb. in Smilovitchi, gest. in Paris). Dessen expressive Gemälde werfen ein Licht auf sein Leben als jüdischer Auswanderer und sind zugleich Zeugnisse einer wechselhaften Existenz am Rand der Gesellschaft. Die Ausstellung im K20 konzentriert sich mit rund 60 Gemälden bewusst auf die frühen Meisterwerke des Künstlers und legt ihren Fokus auf die Serien, die zwischen 1918 und 1928 entstanden sind. Die Erfahrung von Flucht und Migration, die Soutines Leben aufs Tiefste geprägt hat, schwingt in seinen Werken mit und schafft damit eine Brücke bis heute.
Chaïm Soutine ist einer der großen Maler der klassischen Moderne. Seine einzigartigen Gemälde sind sensibel und drastisch zugleich. Mit heftigem Duktus, Farbexplosionen und Formverzerrungen schafft er Liebeserklärungen an das Leben und an die Menschen, die ihn umgaben. Pagen, Zimmermädchen, Köche, Messdiener und Chorknaben sind seine Modelle. Mit ihnen, wie mit den Gemälden von wankenden Landschaften und geschlachteten Tieren schafft er prägnante Bilder für eine ganze Epoche. Einer Generation, die durch Krieg, soziale Missstände und den unerbittlichen Widerstreit religiöser und politischer Weltanschauungen gezeichnet ist. Die Menschen und Motive berühren zutiefst, weil ihre Verletzlichkeit auch auf Existenzängste hinweist, die bis heute real erscheinen.
Chaïm Soutine wuchs in einem Shtetl in der Nähe von Minsk im heutigen Belarus auf. Er war das zehnte von elf Geschwistern. Obwohl Armut und Diskriminierung die Kindheit prägten, gelang es ihm als Vierzehnjähriger Malunterricht zu nehmen, zunächst in Minsk, dann an der Akademie in Vilnius und ab 1913 in Paris. Die Metropole wurde seine Ersatzheimat, aber Soutine blieb ein Außenseiter, der die Sprache zunächst schlecht beherrschte und dem die gesellschaftlichen Gepflogenheiten fremd blieben. Zu seinen wenigen Freunden zählte der italienische Künstler Amedeo Modigliani.
Die Zeit in Paris
Künstler*innengruppen ignorierte er ebenso wie die tonangebenden Richtungen des Surrealismus und Kubismus. Die Armut, die seit seiner Jugend den Alltag bestimmte, schien ihn in Paris wieder einzuholen. Seine Sozialisation und ein gravierendes Magenleiden erschwerten die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Daran änderte sich auch nichts, als im Winter 1922/1923 der US-amerikanische Sammler Albert C. Barnes 52 Gemälde des bis dahin nahezu unbekannten Malers kaufte und sich Soutines finanzielle Situation auf einen Schlag verbesserte.
Mit seinem Umzug nach Paris studierte Soutine die alten Meister im Louvre und bezog sich in umfassenden Werkreihen auf Motive von El Greco, Diego Velázquez, Rembrandt van Rijn und Jean Siméon Chardin.
Figurativ, expressiv und gegen den Strom
Mit aller Leidenschaft widmet er sich der Farbe als Medium und Ausdrucksträger seiner Gemälde. Die Ausstellung zeigt, dass sich Soutine früher als andere Zeitgenoss*innen einen individuellen Weg zwischen Abstraktion und Figuration bahnte. War Soutine durch sein Einzelgängertum zu Lebzeiten ein Spezialfall der Moderne, so wurde er nach seinem Tod gleichermaßen zum Urvater des Abstrakten Expressionismus und der Neuen Figuration erhoben. Nachfolgende Maler*innengenerationen verehrten ihn und beriefen sich auf ihn als Vorbild und Inspiration. Dazu gehörten Willem de Kooning, Jackson Pollock, Jean Dubuffet und vor allem Francis Bacon. Später kamen Georg Baselitz, Marlene Dumas, Anish Kapoor und andere dazu. Während Soutine in Frankreich und Nordamerika zu den zentralen Vertreter*innen der Moderne gehört, ist er in Deutschland vor allem in Künstler*innenkreisen bekannt. Neben der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen weisen hierzulande nur wenige weitere Museen Gemälde von Soutine in ihrem Bestand auf. Die letzte Museumsausstellung fand 1981 im Westfälischen Landesmuseum in Münster statt.
Ungebrochene Faszination
Auch heute noch fällt Soutines Name ungewöhnlich häufig, wenn zeitgenössische Künstler*innen nach Schlüsselfiguren in ihrer Biografie befragt werden. Obwohl bereits vor rund 100 Jahren entstanden, scheint seine Malerei in Technik und Sujet von faszinierender Zeitlosigkeit zu sein. Einer der Dreh- und Angelpunkte dieser Ausstellung ist deshalb die Frage nach der Aktualität der Malerei Soutines. Als Brücke von der Moderne bis in die Gegenwart wurde begleitend zur Ausstellung eigens ein Interviewfilm von Louisiana Channel produziert, der der Frage nachgeht, was die ungebrochene Faszination an den Werken und an der Person dieses besonderen Künstlers bis heute ausmacht.
Ausstellung
Chaim Soutine. Gegen den Strom
Bis 14.01.2024
Digital Guide: Chaim Soutine
Kontakt
K20
Grabbeplatz 5
40213 Düsseldorf
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag, Feiertag
11 – 18 Uhr
www.kunstsammlung.de