Einblicke in die belgische Kunstlandschaft im Märkischen Museum Witten
Noch bis zum 26. Januar 2020 zeigt das Märkische Museum Witten mit der Ausstellung „Belgian Thoughts“ einen Einblick in die aktuelle Kunstszene unseres Nachbarlandes Belgien. Zu sehen sind neun Künstlerinnen und Künstler, die sich in den verschiedenen Medien mit ganz unterschiedlichen Themen auseinandersetzen: Von der Neuinterpretation der barocken Bildsprache des Stilllebens und der Vanitas über die Hinterfragung der eigenen Leiblichkeit bis hin zur Fragen der Globalisierung wird in der Ausstellung ein breites Spektrum der zeitgenössischen belgischen Kunst gezeigt.
Belgien ist ein Land mit einer reichen und bewegten Vergangenheit. Diese prägt die Kunst und Kultur noch heute und spiegelt sich unter anderem in der Mehrsprachigkeit verschiedenen Landesteile wider. Auch in der bildenden Kunst spielt die Auseinandersetzung mit den eigenen Traditionen eine wichtige Rolle. Nach der Renaissance und der altniederländischen Kunst mit Vertretern wie Jan van Eyck und Rogier van der Weyden war insbesondere die Zeit des Barock im späten 16. und 17. Jahrhundert eine Blütezeit der flämischen Kunstproduktion. Flandern stand unter der Herrschaft der spanischen Krone, während in den nördlichen Niederlanden der Protestantismus vorherrschte. Während sich dort die neue erstarkte Bürgerschaft in der Kunst verewigte, repräsentierte sich in der flämischen Malerei die Prachtentfaltung und die Opulenz der katholischen Kirche und des spanischen Könighauses sowie die Ziele der Gegenreformation. Maler wie Peter Paul Rubens, Jan van Dyck, Jacob Jordans oder die Malerfamilie Brueghel verbinden in ihren Werken religiöse und mythologische Themen mit sinnlichen Genüssen sowie einer opulenten und realistischen Fleischlichkeit. So türmen sich beispielsweise in den flämischen Stillleben Früchte, Blumen, Wild, Pasteten zusammen mit chinesischem Porzellan, feinsten Glaswaren und allerlei Exotika aus fernen Ländern auf mit Seide und Brokat gedeckten Tischen. Die dargestellten Gegenstände verweisen in ihrer Symbolik nicht nur auf christliche Themen und den Glauben an die eigene Vergänglichkeit und das Leben nach dem Tod. Sie zeugen auch von den kartografischen und wissenschaftlichen Entdeckungen der Welt in dieser Zeit und der allgemein herrschenden Faszination über neue exotische Länder und Kulturen.
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche im Surrealismus, eine kritische Reflexion des Kunstmarktes und eine große Portion Humor spielen in der belgischen Kunst ebenfalls eine wichtige Rolle: als wichtige Vertreter sind hier unter anderem René Magritte und Marcel Broodthaers zu nennen.
Die in der Wittener Ausstellung vertretenen Künstlerinnen und Künstler setzen sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit diesen Traditionen und der Geschichte ihres Heimatlandes auseinander. Sie beziehen sich aber auch auf aktuelle gesellschaftliche Diskussionen und entwickeln eigene Zukunfts-Utopien.
Im ersten Raum begegnen man zwei großen fotografischen Arbeiten von Marie-Jo Lafontaine (*1950 in Antwerpen). In ihren seriellen Arbeiten reflektiert sie die Möglichkeiten – oder auch Unmöglichkeiten – der fotografischen Repräsentation von einzelnen Individuen, die aber immer auch für eine größere Gruppe oder ein gesellschaftliches Phänomen stehen. Das weibliche Porträt beispielsweise ist Teil einer Serie von 17 jungen Frauen, deren Eltern aus unterschiedlichen Herkunftsländern stammen. Sie spiegeln damit die Globalisierung der Welt wider, die auch in der Physiognomie der Menschen in Erscheinung tritt.
Mit seinem im Jahr 2000 gestarteten Projekt „The Cosmopolitan Chicken Project“ behandelt Koen Vanmechelen (*1965 in Sint-Truiden) ebenfalls die Phänomene der Globalisierung. Für ihn steht dabei aber nicht der Mensch im Vordergrund, sondern das Huhn – welches er als Stellvertreter für die Menschheit ansieht. In seinem Projekt kreuzt er unterschiedliche Hühnerrassen miteinander und erschafft so neue, bisher nicht vorhandene Rassen. Dabei geht es ihm nicht um eine Ökonomisierung des Tiers als Fleisch- oder Eierlieferant, sondern um die Durchmischung von unterschiedlichen Genpools. Alles begann mit der Kreuzung einer belgischen und einer französischen Hühnerrasse, aus der in der zweiten Generation die Rasse Mechelse Bresse entstand. Inzwischen gibt es mehr als zehn Generationen, die in Form von Fotos, als Präparate und digitale Collagen ausgestellt werden.
Michael Aerts (*1979 in Dendermonde), ein junger, aufstrebender Künstler, setzt sich in seinen Skulpturen und Grafiken mit der europäischen Geschichte und der Aneignung der Welt durch die Kartografie auseinander. Die Skulpturen der Minerva und eines antiken Philosophen werden in surrealistischer Tradition verfremdet und aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst. In seinen Collagen verfremdet er historische Militär-Karten. Damit nimmt er Bezug auf die Transformation der dreidimensionalen Landschaft in die Zweidimensionalität des Papiers und auf die für Ungeschulte nicht entschlüsselbaren Codierungen dieser Karten.
Das Reisen, die Symbolik der Nautik und damit auch die Sehnsucht nach der Fremde, die oft als falsch verstandenes Paradies angesehen wird, sind Thema der Arbeiten von Andy Wauman (*1975 in Wilrijk). Mit seinen sechs kleinen Skulpturen „My personal favorites“ aus indonesischem Stein hat er in Originalgröße Dinge wiedergegeben, die auf Reisen begleiten oder mitgebracht wurden. Er gibt uns damit einen ganz persönlichen Einblick in seine Lebenswelt, die natürlich doch auch immer Bezug zu den jeweiligen eigenen Erfahrungen der Betrachterinnen und Betrachter hat.
Von Jan de Cock (*1976 in Etterbeek) sind zwei Arbeiten aus der Werkreihe „nature morte“ in der Ausstellung vertreten. Hier beschäftigt er sich mit der Tradition des Stilllebens und überführt diese in die Gegenwart. In seinen aus ganz unterschiedlichen alltäglichen Dingen zusammengesetzten Plastiken sind alle möglichen Gegenstände des häuslichen Alltags verarbeitet. So finden sich dort mit Farbe übergossene Nüsse, verschiedenes Geschirr, Küchenhandtücher oder auch Gewürze. Auf Sockel arrangiert und somit ganz bewusst als Kunst aus dem Alltag herausgelöst, bieten sie zahlreiche Anspielungen zur barocken Bildsprache, der Repräsentation von Häuslichkeit und ihrer religiösen Symbolik.
Auch in den zwei großen Tafeln von Jan Fabre (*1958 in Antwerpen), die aus Tausenden Flügeln von Prachtkäfern zusammengesetzt sind, finden sich traditionelle Symboliken wieder. Der Totenschädel und die Uhr stehen für die Vanitas – die Vergänglichkeit des Lebens – und der Hund ist ein Symbol für Treue und Verlässlichkeit. Doch auch Jan Fabre bricht diese Symbolik und interpretiert sie auf humoristische Weise neu: So lässt er die Loyalität in den Mund des Todes urinieren. Wie dies nun von der Betrachterin oder dem Betrachter gedeutet werde kann, lässt er offen. Die Faszination des Künstlers für Insekten zeigt sich ebenfalls in der Videoarbeit „Een Ontmoeting/Ein Treffen“. Dort trifft Jan Fabre auf den russisch-stämmigen Künstler Ilya Kabakov. Beide begegnen sich auf dem Dach des Studios von Kabakov in New York und sprechen in ihrer jeweiligen Muttersprache miteinander über die unterschiedlichsten Themen. Und während sie einander zuhören und auf die Sätze ihres Gegenübers antworten, gestikulieren und tanzen sie. Das Absurde daran ist, dass sie beide von Fabre selbst hergestellte Insektenkostüme tragen. Ilya Kabakov verwandelt sich in dem Video in eine russische Fliege und Jan Fabre in eine flämische Schabe. Das Gespräch wurde vorab von beiden Künstlern aufgeschrieben und genau durchgeplant, da sie sich während der Performance gar nicht untereinander verständigen konnten. Denn Kabakov versteht kein Flämisch und Fabre spricht kein Russisch. Die englischen Untertitel machen das Gespräch für die Zuschauerinnen und Zuschauer verständlich. Die Absurdität dieser Aktion ist ganz typisch für die Arbeiten von Jan Fabre, der alltägliche Handlungen demonstrativ hervorhebt und in ihrer Widersprüchlichkeit sichtbar werden lässt.
Der menschliche Körper, die Präsenz der Leiblichkeit und aber auch die Verletzlichkeit von Leib und Seele sind wichtige Aspekte in den Arbeiten von Berlinde de Bruyckere (*1964 in Gent). Ihre Skulpturen und Installationen habe eine fast unheimliche reale Präsenz und Ausstrahlung. Sie verbindet Gegenstände aus dem Alltag mit aus Wachs und Kunstharz künstlich hergestellten Körpern und Körperteilen. So ist die in der Ausstellung gezeigte Figur mit mehreren Wolldecken behangen, die den Körper nach unten zu ziehen scheinen, aber auch ein Gefühl von Wärme und die Suche nach Geborgenheit ausdrücken.
Der Künstler Panamarenko (*1940 in Antwerpen) ist etwas Besonderes in der belgischen Kunstszene. Sein ganzes Leben lang hat er sich der Entwicklung von Maschinen und unterschiedlichen Fahrzeugen für die Luft, die Straße, das Wasser oder sogar den Weltraum gewidmet. Er bedient sich wissenschaftlicher Methoden, stellt komplizierte Berechnungen an und entwickelt eigene Theorien. Und doch grenzt er sich ganz deutlich von den Ingenieuren und Wissenschaftlern ab. Es geht ihm nicht darum, etwas zu entwickeln, was allgemein anwendbar ist und was dem gesellschaftlichen Fortschritt dient. Seine Gefährte sind künstlerische Objekte, die die Möglichkeiten des Menschen ausloten, ohne dabei auf wirkliche Nutzbarkeit angelegt zu sein. In Zeichnungen und Modellen entwickelte er seine Fahrzeuge, um sie dann in Originalgröße zu bauen und auszuprobieren. Dabei ist die Möglichkeit des Scheiterns immer auch ein wichtiger Aspekt seiner Arbeiten
Weiterhin sind in der Ausstellung zwei grafische Arbeiten von Kris Martin (*1972 in Kortrijk) vertreten. Auch dieser Künstler setzt sich auf sehr humorvolle Weise mit künstlerischen und religiösen Traditionen auseinander. So verkaufte er mit der Arbeit „Life after Death“ Zertifikate, die dem Käufer das Leben nach dem Tod garantieren …
Auf einen Blick
Ausstellung: Belgian Thoughts
Zeit: bis 26. Januar 2020
Ort: Märkisches Museum Witten, Husemannstraße 12, 58452 Witten
Öffnungszeiten: Mi, Fr–So 12–18 Uhr, Do 12–20 Uhr (montags, dienstags sowie an Feiertagen geschlossen)
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