Ausstellung

Konstrukteure künstlerischer Form

Die Künstlergruppe „B 1“ im Märkischen Museum Witten

Im Jahr 1969 schlossen sich zehn im Ruhrgebiet lebende und arbeitende Künstler zur Gruppe „B 1“ zusammen. Gemeinsam wollten sie die ehemalige Bundesstraße 1 – heute A 40 – mit künstlerischen Interventionen neu beleben. Die monotone Tätigkeit des Autofahrens sollte durch künstlerische Markierungspunkte unterbrochen werden, Kunst und Landschaft sollten sich am sogenannten Ruhrschnellweg unmittelbar miteinander verbinden und die Sehgewohnheiten der Menschen neu beleben. Die von der Gruppe geplanten Projekte konnten aus verschiedenen Gründen nie realisiert werden. Allerdings wurden in späteren Jahren von fast jedem der zehn Künstler Kunstwerke im öffentlichen Raum im Ruhrgebiet und anderenorts verwirklicht – so auch an Autobahnen oder alten Industriebauten.

Die Ausstellung „B1 – Konstrukteure künstlerischer Form“ im Märkischen Museum Witten stellt die zehn Künstler der Gruppe vor. In ihren Skulpturen, Objekten, Malereien und Grafiken war ihnen das Prinzip der Nicht-Gegenständlichkeit in ihrer Gestaltungsweise gemein. Inspiriert von den technischen Errungenschaften der Gegenwart und der Lebenswirklichkeit des Industrie- und Ballungsraumes an der Ruhr, verwendeten sie meist Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Konsumobjekte oder Industrieprodukte. So experimentieren die Künstler unter anderem mit Schaumstoff, Plastik, Aluminium, Leuchtfarben, Stahl und Kunststoff, Beton und Neonröhren.

Die Künstlergruppe B1 war eine eher informelle Verbindung von zehn jungen, individuell arbeitenden Künstlern. In einem Manifest von 1969 formulierten sie die Korrelation zwischen der industriell geprägten Umwelt der Ruhrregion und ihren eigenen künstlerischen Ansprüchen einer rationalen Objekt-Kunst:

  • B 1 macht objekte, projekte, plastiken, bilder, räume
  • B 1 arbeitet kinetisch und statisch, mobil und stabil
  • B 1 ist produktiv
  • B 1 ist auf fabrikation und industrie eingestellt
  • B 1 spielt und ist immer neugierig
  • B 1 sind 10, die an der B 1 leben
  • die B 1 führt zu B 1
  • die umwelt an der B 1 wird von B 1 mitgeprägt.

Folgende zehn Künstler waren Gründungsmitglieder der Gruppe „B 1“. Im Rahmen der drei gemeinsamen Ausstellungen, bis sich die Gruppe schon 1970 wieder auflöste, wurden auch andere Künstler, die ähnliche Herangehensweisen und künstlerische Ideen verfolgten, ausgestellt:

Der Künstler Helmut Bettenhausen (*1935 in Wanne-Eickel; lebt in Herne) kommt aus dem Bereich des Designs und war lange beruflich im konstruktiven Ingenieurbau tätig. So entwickelt er Objekte, die seriell in allen Größenordnungen und prinzipiell in verschiedenen Materialien herstellbar sind. Seine geometrischen Objekte und Strukturen sind oft miteinander verbindbar und sollen der Veränderung des Raumes und auch der gesamten Lebensumwelt dienen. Seine Reliefs aus Kunststoff und Spiegeln sind dreidimensional strukturiert und unter dem Verzicht auf Farbe durch Addition gleichartiger Elemente konstruiert.

Bernd Damke (*1939 in Gräfendorf; lebt in Berlin) arbeitet hauptsächlich im Bereich der Grafik und Malerei. Seine Arbeiten sind von einer großen Reduktion auf einzelne Formen, Farben und Flächen geprägt. Dabei werden kontrastierende Farben und Formen gegeneinandergesetzt und so miteinander verbunden, dass sich ein ausgewogenes und harmonisches Gesamtbild ergibt. Aus den stets scharf voneinander abgegrenzten Farbflächen ergeben sich räumliche, visuelle Seheindrücke, die auf einer optischen Illusion beruhen. So scheinen beispielsweise drei schwarze Balken, die oben und unten angeschrägt sind und auf einer weißen Grundfläche liegen, wie Lamellen nach vorne oder hinten zu kippen.

Mit der Exaktheit eines Ingenieurs konstruierte Günter Dohr (*1936 in Münster; † 2015 in Krefeld) seine Lichtobjekte. Mit Hilfe technischer Mittel erschuf er körperlose „Malerei“, die als konkrete Kunst Farbe in Licht und Bewegung übersetzt. Es sind oft einfache Konstruktionen, die die dahinterliegende Technik nicht verbergen, sondern dem Betrachter offen zeigen. Die „Cylindrogramme“ erzeugen durch Verbindung von rotierenden Scheiben, Licht und transparenten Acrylglas-Zylindern sich ständig verändernde optische Effekte. Seine „Statischen Licht-Objekte“ eröffnen im Zusammenspiel mit der Architektur selbst neue, farbige und immaterielle Lichträume.

Rolf Glasmeiers (*1945 in Pewsum; † 2003 in Gelsenkirchen) Arbeitsmaterialien sind serielle Produkte der Industrie, unscheinbare Objekte des täglichen Gebrauchs wie Besenstielhalter, Fenstergriffe oder Lüftungsklappen, die er zu Reliefs zusammenfügte. Durch Drehen, Biegen, Schieben oder Klappen können diese zu immer neuen Kompositionen umarrangiert werden. Der Betrachter wird bei Glasmeiers „Kaufhausobjekten“ zum aktiven Gestalter, der in einer spielerischen Aktion den aus dem gewohnten Kontext enthobenen Gegenständen eine neue ästhetische Dimension verleiht.

Der Maler Kuno Gonschior (*1935 in Wanne-Eickel; † 2010 in Bochum) schuf seit 1959 seine eigene Form eines „abstrakten Pointillismus“. Nur um ihrer selbst und ihrer optischen Wirkung willen, setzte er unterschiedlich dichte Felder farbiger Punkte auf Leinwände, überlagerte sie mit ähnlichen Strukturen. Er erschuf so optische Reizbilder, welche die Wahrnehmung des Betrachters teilweise überfordern und illusionistische Seheindrücke auslösen. Mit der Verwendung von industriellen Leuchtfarben werden die Wirkung von Komplementärkontrasten und das optische „Vibrieren“ noch gesteigert.

Die Ästhetik der Industriearchitektur mit ihren Röhren und kubischen Formen war die Inspirationsquelle von Friedrich Gräsel (*1927 in Bochum; † 2013 in Osnabrück). Mit den Ausgangsmaterialien Stahl, Eisen, Kunststoff oder Beton formte er Bogen- und Röhrenkonstruktionen, die komplexe Einzel- und Gesamtformationen bilden. Frei von figurativen Vorstellungen sind seine Gebilde auf sich selbst verweisend und fordern den Betrachter zur optischen Dekonstruktion auf.

Ewerdt Hilgemanns (*1938 in Witten; lebt in Amsterdam, NL) ästhetisches Prinzip ist die Darstellung der Ordnung und Struktur des Raumes durch „mathematisch organisierte Formationen“. In seinen „Raumobjekten“ ordnet er Stab- und Zylinderelemente als Reliefs auf Holzplatten geometrisch an und erzeugt räumliche Momente, die sich je nach der Bewegung des Betrachters und dem Einfall des Lichtes verändern. Konstruiert aus einem System seriell gefertigter, regelmäßig zu Treppen- und Pyramidenformen angeordneter gleich- oder verschieden hoher Stabserien, dienen Hilgemanns Objekte auch als Modelle für reale Räume, in denen die Raumerfahrungen gleichwohl intensiviert sein würden.

Rudolf Knubel (1938 in Münster; lebt in Essen) arbeitet als Maler, Grafiker und Bildhauer. Seine Arbeiten sind von der Serialität und den kleinen Varianzen innerhalb der Arbeiten geprägt. Nach eigner Aussage ist er „ein totaler Klassizist, der mit ganz strengen Kanones arbeitet“. So benutzt er nicht von der Industrie bereits vorproduzierte Produkte, sondern entwickelt sein eigenes System von verwandten und vordefinierten Elementen. Diese spielt er beispielsweise in allen potenziellen Variationen der Durchdringung von Kubus und Kreis durch.

Schaumstoff ist das zentrale künstlerische Material von Ferdinand Spindel (*1913 in Essen; † 1980 in Neuenkirchen). Dieses formte er zu Tableaus, Objekten und ganzen Rauminstallationen in Weiß und Babyrosa. Aufgrund der Fragilität und des hohen Zersetzungsgrades des synthetischen Materials sind viele von Spindels Kunstwerken inzwischen nicht mehr existent oder können nicht mehr ausgestellt werden. Die Wittener Ausstellung zeigt frühe Arbeiten des Künstlers aus den 1965er-Jahren, die noch zur informellen Kunst gezählt werden können. Schon hier zeigen sich die runden, amorphen Formen und die Arbeit in die Dreidimensionalität hinein, die für die späteren Schaumstoff-Arbeiten prägend sind.

Günter Tollmann (*1926 in Gelsenkirchen; † 1990 in Hannover) schuf sogenannte „Objekt-Grafiken“, bei denen er auf verformte Kunststoffplatten serielle Positiv- und Negativformen mit opartiger Wirkung druckte. Auch in seinen sogenannten „Beweglichen Plastiken“ – die in vielen Städten des Ruhrgebiets im öffentlichen Raum zu finden sind – ist eine Verbindung von gleichförmigen Elementen und deren Zusammenspiel von zentraler Bedeutung. In den kinetischen Objekten, mit ihren zentralen oder dezentralen Drehachsen, ist das durchgängige System der gegeneinandergesetzten Zylinder kaum noch erkennbar. Die Volumina der einzelnen Elemente werden in der Bewegung so miteinander in Beziehung gesetzt, dass sich ständig neue Seheindrücke ergeben.

Die Künstler der Gruppe „B 1“ sind Teil einer Entwicklung in der Kunst ab Mitte der 1950er-Jahre, welche die Alltagswelt und die industrielle Dominanz des Lebens in ihren Arbeiten aufgreifen. Technik, neue Materialien und vorproduzierte Bauteile werden konsequent in das künstlerische Schaffen einbezogen und sollen so ihre Wirkung unmittelbar in der Gesellschaft entfalten. Alle zehn Künstler haben ihre ganz eigene künstlerische Ausdrucksweise entwickelt und fortgeführt.

Auf einen Blick

Ausstellung: B 1 – Konstrukteure künstlerischer Form
Ort: Märkisches Museum Witten, Husemannstraße 12, 58452 Witten
Dauer: bis 22. September 2019

Internet: https://www.kulturforum-witten.de/maerkischesmuseumwitten/

Öffnungszeiten:
Mittwoch, Freitag bis Sonntag        12.00 bis 18.00 Uhr
Donnerstag                                          12.00 bis 20.00 Uhr

montags, dienstags und an Feiertagen geschlossen.

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Profile

Das Märkische Museum Witten verfügt über eine Sammlung mit rund 5.000 Werken deutscher Malerei und Grafik des 20. Jahrhunderts. Einen Schwerpunkt bildet das deutsche Informel. Die wichtigsten Protagonisten, wie zum Beispiel K.O. Götz, Peter Brüning, Winfred Gaul, Gerhard Hoehme, Emil Schumacher, Fred Thieler und viele andere, sind in der Sammlung vertreten. Das Museum spiegelt die Entwicklungen der Abstraktion in der Kunst in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Ein ausgesuchter Bestand an Werken der Expressionisten bildet den Grundstock der Sammlung. Neben den wechselnden Sammlungspräsentationen stellen die Ausstellungen zeitgenössischer Kunst einen weiteren Schwerpunkt des Hauses dar. Hierbei werden aktuelle Entwicklungen der deutschen und internationalen Gegenwartskunst vorgestellt.

[Foto: Jörg Fruck]

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