Ausstellung

An den Grenzen der Vollkommenheit

Albrecht Dürer in der Albertina in Wien

Seit fünf Jahrhunderten gilt Albrecht Dürer als einer der größten Künstler seiner Zeit und weit darüber hinaus: Bis heute ist er Inbegriff der Renaissance nördlich der Alpen, die er selbst – stolz und sich seiner eigenen epochalen Position bewusst– als die „Wiedererwachsung der Kunst“ feierte. Dürers Ruhm liegt in einem Werkbegründet, das an Qualität und Quantität seinesgleichen sucht: an die 100 Gemälde, die zu den Ikonen der Kunstgeschichte zählen, 300 der feinsten Druckgrafiken und annähernd 1.000 Zeichnungen. Damit und mit seinen kunsttheoretischen Aufzeichnungen, geplanten und realisierten Büchern, mit seinen Denkübungen und Gedichten stand er am Anfang der Idee des universal gebildeten und denkenden Künstlers.

Die Albertina in Wien hütet den weltweit wohl bedeutendsten Bestand an Zeichnungen Dürers. Zu den etwa 140 Blättern zählen der berühmte Feldhase (der aufgrund der Empfindlichkeit des Aquarells seit 1873 bisher nur neun Mal öffentlich gezeigt wurde), die Betenden Hände und das Große Rasenstück. Bis zum 6. Januar 2020 ist nun eine Fülle dieser Arbeiten in Wien zusehen: Die um wertvolle Leihgabenergänzte Ausstellung „Albrecht Dürer“ präsentiert mit über 200 Exponaten Dürers zeichnerisches, druckgrafisches und malerisches Werk. Die Florentiner Uffizien liehen Die Anbetung der Könige nach Wien aus, das schonungslose Selbstbildnis des nackten Albrecht Dürer kam aus Weimar, Jesus unter den Schriftgelehrten reiste ebenso aus Madrid an (Museum Thyssen-Bornemisza) wie Dürers wohl schönstes Männerporträt aus dem Prado. Die Marter der zehntausend Christen stammt aus dem Kunsthistorischen Wien, und sein malerisches Spätwerk der letzten niederländischen Reise, den Heiligen Hieronymus (Lissabon), präsentiert die Albertina mit allen dazugehörigen Studien.

Albrecht Dürer wurde am 21. Mai 1471 in Nürnberg als Sohn des Goldschmieds gleichen Namens geboren und absolvierte eine Malerlehre in der Werkstatt von Michael Wolgemut. Seine Wanderjahre von 1490 bis 1494 führten ihn an den Oberrhein, bevor er 1494 Agnes Frey heiratete und im Folgejahr zum ersten Mal nach Italien reiste. Ab 1496 wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit und baute seine Werkstatt auf, die sich auf hochwertige druckgrafische Produkte spezialisierte. Die Holzschnittserie Apokalypse gab er 1498 heraus. In den Jahren 1505 bis 1507 reiste er zum zweiten Mal nach Italien und erlebte seinen Durchbruch als Maler. Prestigeträchtige Aufträge folgten, so etwa die Marter der zehntausend Christen und der Heller-Altar. Darüber hinaus arbeitete er an seinen großen druckgrafischen Zyklen. Seit 1512 bis zum Tod des Kaisers 1519 arbeitete Dürer im Auftrag von Maximilian I., bevor er 1520/21 in die Niederlande reiste. In den folgenden Jahren widmete er sich seinen theoretischen Schriften „Unterweisung der Messung“, „Befestigungslehre“ und „Proportionslehre“; das geplante Lehrbuch zur Malerei blieb unvollendet. Albrecht Dürer starb kurz vor seinem 57. Geburtstag am 6. April 1528 in Nürnberg.

Dürers zeichnerisches Werk bietet ein lückenloses Bild seiner künstlerischen Entwicklung und seines Denkens über Kunst. Dieser Umstand ist auch seiner beispiellosen Sorge um den eigenen Werkstattfundus zu verdanken. Die etwa 140 Zeichnungen der Albertina sind ein seit dem 16. Jahrhundert geschlossen gebliebenes Konvolut. Dürer selbst dürfte schon in seiner Nürnberger Werkstatt die vielen Bildnisse der Familie, die herausragenden Tier- und Pflanzenstudien und die berühmten Hell-Dunkel-Blätter systematisch zusammengelegt haben. Daher konnte der Nürnberger Kaufmann Willibald Imhoff (1519–1580) in den 1550er-Jahren einen wohlgeordneten Zeichnungsbestand übernehmen. Dieser gelangte über die Prager Sammlung Kaiser Rudolfs II. schließlich 1796 dank der Initiative des Gründers der Albertina, des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, aus der Kaiserlichen Hofbibliothek in Wien in die Albertina.

Der Dürer-Spezialist und Kurator der Ausstellung, Christof Metzger, hat diesen bedeutenden Bestand in den vergangenen Jahren einer Neubewertung unterzogen. Am überraschendsten sind seine Überlegungen zu seinen großen Naturstudien und den Hell-Dunkel-Studien auf farbigen Papieren. Der Feldhase, der Flügel einer Blauracke oder Das Große Rasenstück gelten ihm als das eindrucksvollste Zeugnis eines Postulats des Künstlers, dass nämlich nur durch die Nachahmung der Natur die höchste Stufe der Kunst zu erreichen sei: „Denn warhafftig steckt die Kunst in der Natur. Wer sie herauß kann reissen, der hat sie.“ Dürers Arbeiten gehen in ihrer technischen, kompositorischen und künstlerischen Vollkommenheit weit über die Tradition der Musterblätter des 15. Jahrhunderts hinaus und führen an die Grenze des mit Feder und Pinsel Machbaren. Sie dokumentieren gleichsam seine technische Virtuosität – und die über das Studium der Natur gefundene perfekte künstlerische Form. Mit solchen Blättern hatte Dürer einen Schatz an der Hand, der jedem Besucher der Werkstatt seine Meisterschaft auf das Trefflichste vor Augen führen konnte – als vollkommenen Beweis seiner Kunst.


Die Ausstellung
„Albrecht Dürer“ ist bis zum 6. Januar 2020 in der Albertina in Wien zu sehen.

Kontakt
Albertina
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
info@albertina.at
www.albertina.at

Katalog

katalog-duerer-ausstellungAlbrecht Dürer, Christof Metzger (Hrsg.), 488 S. mit 260 farb. Abb., dt., Hardcover, Pappband, 24,5 x 28,5 cm, Prestel Verlag, ISBN 9783791359304

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